: Uruguay stimmt über die Diktatur ab
In einem Plebiszit entschieden gestern die Uruguayer, ob die Militärs für ihre schweren Verbrechen während der Diktatur büßen sollen / Das Parlament hatte eine Amnestie verabschiedet / „Schweigende Mehrheit“ kurz vor der Abstimmung noch unentschieden ■ Aus Montevideo Gaby Weber
Werden die Militärs von Uruguay für die Verbrechen, die sie während der zwölfjährigen Diktatur (1973-1985) begangen haben, nun doch noch vor Gericht gestellt? Im Dezember 1986 hatte das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das Soldaten und Polizisten für tausendfache Menschenrechtsverletzungen amnestierte. Gestern wurden nun die Uruguayer zu einem Plebiszit über dieses Gesetz an die Urnen gerufen.
Die Volksabstimmung wurde über eine monatelange Kampagne erzwungen. 630.000 Uruguayer hatten ihre Unterschrift unter eine entsprechende Petition geleistet; das sind etwas mehr als ein Viertel aller Wahlberechtigten, und so war die Regierung verfassungsgemäß verpflichtet, zum Plebiszit aufzurufen. Wer am Sonntag gegen die Amnestie der Militärs war, tütete einen grünen Zettel in seinen Umschlag, wer für Straffreiheit war, einen gelben.
Seit Tagen war ganz Montevideo, die Hauptstadt des Landes, grün. Ein Thema dominierte den Alltag: „Voto verde“ - Wir wählen grün. In der Innenstadt stolperte man über grüne Info -Stände der „Kommission pro Referendum“. Das Straßenpflaster war grün bemalt, grüne Fahnen wehten von Häusern und Palästen, selbst in den vornehmeren Stadtvierteln.
Dennoch hing ein großes Fragezeichen in der Luft. Wie würde sich die „schweigende Mehrheit“ verhalten? Jüngste Umfragen ergaben, daß sich vier Tage vor dem Urnengang immerhin 39 Prozent noch für keine der beiden Farben entschieden hatten. Die Mehrheit der Unentschlossenen aber, so prophezeiten die Meinungsforscher, würden dann in letzter Minute aber doch den gelben Zettel in die Urne werfen, damit alles beim alten bleibt. Für Montevideo erwarteten sie 50 Prozent grüne Karten, für das Landesinnere gerade noch 40 Prozent. Wer ungültig stimmte, gab automatisch seine Stimme dem Status quo, also der Amnestie.
In Uruguay besteht Wahlpflicht. Wer sich weigert abzustimmen, muß nicht nur mit einer Geldstrafe rechnen, sondern hat auch Schwierigkeiten bei Gehalts- und Rentenzahlungen zu erwarten.
Im Fernsehen des Landes zogen Politiker der regierenden Colorado-Partei, die die Amnestie-Regelung durch ihre Leihstimmen ermöglicht hatten, alle Register für die gelbe Farbe unter dem Motto „Fahne, Sonne, Vaterland“, immer wieder aber auch: innerer Frieden. Bloß nichts tun, was die Militärs provozieren könnte. Man wolle keine Guerilla und keinen Terror wie in Kolumbien oder Peru, sorgte sich Enrique Tarigo, Präsidentschaftsanwärter der Colorados, auf dem Fernsehschirm. Sogar Staatsgäste der letzten Zeit mußten herhalten. Die „Gelben“ ließen Mitterand, Pertini und Gonzalez Höflichkeiten über die junge uruguayische Demokratie verbreiten, und auch der Papst und Schewardnadse wurden eingespannt. Die UdSSR-Botschaft hat bereits gegen den Mißbrauch der Begrüßungsrede des sowjetischen Außenministers zugunsten der Gelben protestiert. Die katholische Kirche hat sich auch distanziert.
Sämtliche „gelben“ Politiker hatten es abgelehnt, in einer Fernsehdiskussion gegen die Präsidentin der Kommission pro Referendum anzutreten. Matilde Guitierrez Ruiz ist die Witwe des 1973 ermordeten Kongreßpräsidenten, neben den Colorados die zweite große traditionelle bürgerliche Partei im Lande. Die Hintergründe des Mordes wurden nie aufgeklärt, weil er so die offizielle Version der Regierung - „von staatlichen Organen angeordnet“ war und damit für Richter und Staatsanwälte tabu ist. Bestimmte Straftaten wie Kindesentführung und Diebstahl hatte das Amnestiegesetz von der Straffreiheit ausgenommen, doch wurde weder das Schicksal der Kinder der Verschwundenen aufgeklärt, noch in solchen zahlreichen Fällen ernsthaft ermittelt, in denen Uniformierte in den Häusern der Verhafteten Geld und Sachmittel zuhauf stahlen.
„Mein Name ist Sara Mendez“, erzählt eine ehemalige Gefangene in einem „grünen“ Werbespot, „mein Sohn war 20 Tage alt, als er mir bei meiner Verhaftung aus den Armen gerissen wurde war.“ Das war 1976, und seitdem hat sie nichts mehr von ihm gehört. „Werden Sie mir am Sonntag helfen, meinen Sohn wiederzufinden?“ Trotz bereits fertiger Verträger weigerten sich alle Fernsehsender, den Spot zu veröffentlichen.
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