: „Erbstarke und erbschwache Mannschaften“
■ Stellungnahme des DGB zur Genomanalyse: „Die genetische Beschaffenheit des Menschen darf nicht zum Spielball betrieblicher Interessensgegensätze werden.“
DOKUMENTATION
Die Fortschritte auf dem Gebiet der Entschlüsselung der menschlichen Erbanlagen, also der Analyse der Genoms, sind rasant. Bereits in wenigen Jahren wird es möglich sein, Erbkrankheiten bereits am Embryo zu diagnostizieren. Aber auch in der Arbeitsmedizin kann die Analyse der Gene von Arbeitnehmern eine Rolle spielen. Genomanalysen versuchen zum Beispiel festzustellen, ob bestimmte Menschen besonders anfällig für bestimmte gefährliche Arbeitsstoffe sind. Der DGB-Landesvorstand in Rheinland-Pfalz hat auf seiner letzten Sitzung ein Papier verabschiedet (mit der Stimme der IG Chemie), in dem das Verbot der Genomanalyse am Arbeitsplatz gefordert wird. Die taz dokumentiert Auszüge.
Die Gentechnologie eröffnet neue Möglichkeiten zur Ermittlung genetisch bedingter Eigenschaften der Menschen:
Mit Hilfe der Genomanalyse können unter anderem Erbanlagen für Krankheiten oder genetisch bedingte Empfindlichkeiten gegenüber Schadstoffen, Arzneimitteln und Nahrungsmitteln festgestellt werden. Sozial-, gesundheits- und gesellschaftspolitisch bedeutsame Anwendungsmöglichkeiten der Genomanalyse liegen auf den Feldern der genetischen Beratung und vorgeburtlichen Diagnose, bei der Anwendung von Suchtests an neugeborenen Kindern (Neugeborenen-Screening) sowie zur Feststellung genetisch bedingter Reaktionsweisen des menschlichen Organismus auf physikalische, chemische und biologische Umweltfaktoren (Öko- und Pharmakogenetik, Arbeitnehmer-Screening).
Der DGB ist der Auffassung, daß die Chancen genetischer Analysen an Arbeitnehmern zum Zwecke einer verbesserten arbeitsmedizinischen Vorsorge von den damit verbundenen Risiken übertroffen werden. Aus diesem Grund lehnt es der DGB ab, die Genomanalyse auf DNA-Ebene an Arbeitnehmern unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen. Der DGB fordert ein gesetzliches Verbot der Genomanalyse auf DNA -Ebene bei Arbeitnehmern im Rahmen arbeitsvertraglicher Beziehungen, das heißt im Rahmen arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen. (...)
Eine Genomanalyse bei Arbeitnehmern ist nach Auffassung des DGB mit der Gefahr verbunden, daß sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Arbeitsschutzbemühungen zur Verhütung oder Verringerung gesundheitlicher Risiken in der Arbeitsumwelt führen. Auf diese Weise wächst die Gefahr, daß das Grundprinzip des Arbeitsschutzes, der vorbeugende Schutz vor arbeitsbedingten Erkrankungen in einer die Gesundheit der Arbeitnehmer gefährdenden Arbeitsumgebung, in einen Schutz vor vermeintlich anfälligen Arbeitnehmern umgewandelt wird. Mit Hilfe der Genomanalyse wird es möglich, daß die Unternehmen von ihren bestehenden Fürsorgepflichten befreit und die Gesundheitsrisiken auf einzelne Arbeitnehmergruppen verlagert werden.
Dies nimmt der DGB zum Anlaß, ausgehend vom Anspruch der Arbeitnehmer auf Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit in der Arbeitswelt, alle Bemühungen zu mißbilligen und zurückzuweisen, die mit Verweis auf angeblich erblich bedingte Berufskrankheiten eine Aufweichung des Arbeitsschutzsystems vorbereiten. (...)
Die genetische Beschaffenheit des Menschen darf nicht zum Spielball betrieblicher Interessengegensätze werden. Wir müssen verhindern, daß wir über die genetische Analyse zu einer Aufteilung der Arbeitnehmer in erbstarke und erbschwache Mannschaften gelangen, was ja eine zwangsläufige Folge der genetischen Analyse wäre. Zudem sind wir der Meinung, daß bei dieser Diskussion das Ausmaß der gesundheitlichen Zerstörung in der Arbeitswelt völlig verkannt wird.
Es gibt genügend Beweise, daß diese Defizite sehr groß sind und daß wir keineswegs ein hochentwickeltes Arbeitsschutzsystem haben. Das Ausmaß der Gesundheitsgefährdung in der Arbeitswelt ist nachweisbar höher, als man es der allgemeinen Bevölkerung bei allgemeinen umweltpolitischen Gefährdungen zumutet. Es sei hier auf die polychlorierten aromatischen Kohlenwasserstoffe verwiesen. Arbeiter an Gasöfen haben Konzentrationen von Benzpyren, die der täglichen Inhalation von über 2.000 Zigaretten entsprechen. Die Konzentration von Asbest ist tausendmal so hoch wie das Bundesgesundheitsamt dem allgemeinen Volk als Höchstgrenze zumutet. (...)
Das Anliegen des DGB ist es deshalb in erster Linie, daß man sich um das kümmert, was im Arbeitsleben geschieht. Es wird darauf hingewiesen, daß 50 Prozent der Beschäftigten Frühinvaliden werden.
Die Weltgesundheitsorganisation sagt, daß in der Bundesrepublik Deutschland zwei Drittel aller Arbeitnehmer vor Erreichen der Altersgrenze verschlissen sind. Das können wir mit der Genomanalyse nicht ändern. Deshalb sollte man nicht nur auf dieses eine Instrument der Genomanalyse schauen, sondern sorgfältig auch die gesamten sozialen Sachverhalte prüfen.
Wenn man von den gegenwärtigen Anwendungsbeispielen ausgeht und unterstellt, daß die Genomforschung wegen ihrer massiven Förderung zu weiteren Erkenntnisfortschritten gelangt, muß man auf gemeinsame Tendenzen in den gesellschaftlichen Anwendungsbereichen schließen. (...)
Diese Tendenzen können als „Neuer (das heißt genomanalytisch und gentechnisch fundierter) Biologismus“ bezeichnet werden und bestehen a) im allgemeinen in einer zunehmenden Festlegung des Menschen auf seine genetische Determiniertheit, b) im besonderen in einer Verwischung der Grenzen der traditionellen Begriffe „Gesundheit“ und „Krankheit„/„Behinderung“.
Dadurch wird willkürlich eine Neufestlegung der Begriffe mit Bedeutungen in Gestalt des „biologischen (genetischen) Standards“ und der „biologischen (genetischen) Abweichung“ ermöglicht. Die anschließende Konsequenz ist die Individualisierung und Privatisierung der so als rein persönliche Abweichungen („Krankheit„/„Behinderung“) definierten Erscheinungsformen menschlichen Lebens.
Die begrifflichen Neufestlegungen von Standard und Abweichung sind, da sie willkürlich sind, Ausdruck gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse und Interessen.
Das langfristige politische Resultat dieser Tendenzen schließlich besteht in der Möglichkeit, beliebig differenzierbare Strukturen sozialer Ungerechtigkeit mit Hilfe solcher naturwissenschaftlicher Legitimationssysteme abzusichern, die durch ihre wissenschaftliche Komplexität und scheinbare Neutralität nahezu immun gegenüber gesellschaftlicher Kritik sind.
Die Würde des Menschen und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verbietet es, daß im betriebswirtschaftlichen Kalkül der Mensch zu einer optimalen Auswertung seiner Arbeitskraft auf seine genetischen Informationen reduziert und so als „gläserner Arbeitnehmer“ allein nach seinem voraussichtlichen ökonomischen Nutzen beurteilt wird. Hier ist eine Grenze, die nicht überschritten werden darf.
Es bedarf daher einer breiten öffentlichen Diskussion über die expliziten wie impliziten ideologischen Prämissen der Genomforschung, einer darauf aufbauenden relativ weit in die Zukunft reichenden gesamtgesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildung über das dieser zugrundezulegende Menschenbild sowie eine umfassende demokratische Kontrolle über die Ausrichtung der staatlichen Wissenschafts- und Technologiepolitik.
Der zehnseitige Text des DGB-Landesbezirks Rheinland -Pfalz ist in Mainz zu beziehen beim DGB, Kaiserstraße 26 -30, 6500 Mainz.
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