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Neue Raketenpolitik Genschers?

Der BRD-Außenminister sei nicht mehr gegen die „Modernisierung“ der Lance-Raketen, berichten Vertreter der Friedensbewegung nach einem Gespräch mit Genschers belgischem Kollegen Tindemanns  ■  Aus Brüssel Andreas Zumach

Bundesaußenminister Genscher hat sich bei einem Treffen mit seinem belgischen Amtskollegen Tindemanns in der vergangenen Woche für die „Modernisierung“ der atomaren Kurzstreckenrakete Lance ausgesprochen.

Entsprechende Äußerungen Genschers, die im deutlichen Kontrast zu dessen bisherigen öffentlichen Stellungnahmen in dieser Frage stehen, habe Tindemanns mitgeteilt, berichtete der Vorsitzende der flämischen Friedensbewegung, Hugo Ongema. Genscher und er hätten übereinstimmend die Notwendigkeit des Ersatzes der veralteten Lance-Rakete durch neue Atomwaffen betont, sagte Tindemanns. Konsens habe auch darüber geherrscht, beim Nato-Gipfel Ende Mai mit Rücksicht auf die Wahlen in der Bundesrepublik Ende 1990 und die öffentliche Meinung in Belgien - wo bis 1992 ebenfalls Wahlen stattfinden - keinen ausdrücklichen Beschluß über die Stationierung neuer Waffen zu fassen.

Durch ein „allgemein gehaltenes Bekenntnis zur Strategie der atomaren Abschreckung und der Bereithaltung dafür benötigter moderner Waffensysteme“ solle lediglich sichergestellt werden, daß der US-Kongreß in diesem Jahr die Haushaltsmittel für die weitere Entwicklung der Lance -Nachfolgerakete zur Verfügung stellt. Der für die Bewilligung der Produktionsgelder durch den US-Kongreß erforderliche Nato-Beschluß über die ab 1993/94 vorgesehene Stationierung der neuen Rakete könne dann „rechtzeitig und ohne große Probleme“ 1992 - nach den bundesdeutschen und belgischen Wahlen - getroffen werden.

Tindemanns habe die bei dem Gespräch mit Genscher erzielte Übereinkunft den Vertretern der Friedensbewegung dargestellt. Ziel bei Verhandlungen mit der UdSSR über atomare Kurzstreckenraketen, für die sich beide Außenminister aussprachen, solle lediglich eine Verringerung, jedoch keine Null-Lösung bei diesen Waffensystemen sein. In einer Erklärung vor dem Verteidigungs- und dem Auswärtigen Ausschuß des belgischen Parlaments, die der taz vorliegt, hatte Premierminister Martens vergangene Woche dieselbe politische Linie beschrieben.

Genscher hatte sich in der Öffentlichkeit bislang immer gegen jegliche Festlegung auf eine „Modernisierung“ der Lance zum jetzigen Zeitpunkt gewandt und den Eindruck erweckt, als strebe er mittels einer Verschiebung eine europaweite Null-Lösung für die atomaren Kurzstreckenraketen an. Mit der gegenüber Tindemanns geäußerten Haltung wäre Genscher de facto auf die Linie von Bundeskanzler Kohl eingeschwenkt, mit der sowohl der Wahlsieg der Bonner Koalition im Dezember wie die „Modernisierung“ gesichert werden sollen.

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