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Öffentlich wie die Hölle

■ Sonntagmorgenbesuch in der Kneipe nebenan, genau der, die wir nie betreten Warum sich die Männer zu Tode saufen und den Maikäfer machen

„Apfelsaft?“ Die blonde junge Frau war hinter der Theke weg zu den beiden merkwürdigen Gästen getreten, die sich unter den sattgelb rauchgeschwängerten Stores an einem der plüschbelegten Tische niedergelassen hatten, als einzige. Alle anderen, die vier jetzt und alle späteren auch, saßen

auf den aufgeschlitzen Polstern der Thekenhocker. Die Frau verstand nicht. Sie war, vielleicht, Jugoslawin und hatte das Wort noch nie gehört. „Apfelsaft“ kam ihr ein Thekensitzer zur Hilfe, „muß irgendwo da sein, der Wolfgang hat doch seinen Korn immer mit Apfelsaft getrunken.“

Aber eigentlich war grade nicht Wolfgang Thema, sondern Jimmy. Was der alles nicht mitkriegte, wenn der was getrunken hatte. Die andern sahen das auch so. Einer wieherte, einer trompetete, die Stimmung war gut. Sonntag, zwölf Uhr mittag. Hierher kam nur, wer immer kam.

Heimlicher als diese ist keine Öffentlichkeit. Jede und jeder könnte hereinkommen. Kommt aber nicht. Daß dies ein Raum ist, so öffentlich wie die Hölle, wissen die Umwohnenden, spätestens, wenn sich wieder jemand hilflos auf dem Gehsteig davor windet und so rum oder so rum nicht hoch kann; für Gebietsfremde sind die Stores Signal und das statt Speisekarte annoncierte vergilbten Blatt Papier.

So höllisch wie ich gedacht habe, ist es gerade gar nicht. Natürlich reden sie alle diese weiche schwerschleifende Sprache, aber sie fassen sich vertrauensvoll auf die Schulter, halten sich am anderen fest, wenn sie zu sehr schwanken auf dem Weg zum Klo. Wer reinkomt, wird begrüßt, wie jetzt: „Alles Ausländer. Auslän

der raus. Bist Du auch ein Ausländer?“ Die weiche Sprache ertränkt das Ätzende am Witz, der Reinkommende mit dem ausländischen Haarschnitt hat vorzügliche Manieren, fragt, ehe er die Musicbox zum Singen bringt, ruft die Kellnerin von ihrem Schemel, und sagt ihr ehrerbietig Anzügliches, ehrerbietiger jedenfalls, als der andere dahinten, der sie immer mal antatschen muß. Von jung bis ins „beste Alter“, die Jungens hier, warum saufen sie sich eigentlich tot? Bloß, weil sie Männer sind?

Einer kommt zu uns an den Tisch, will uns einen Korn ausgeben. Nicht? „Vom Glauben abgefallen?“ Er hat auch mal drei Monate nicht, war auch im Trockendock, aber wenn man allein ist, hält man das nicht durch, 16 Jahre verheiratet gewesen. „Ich bin Alkoholiker. Fertig, Leber kaputt.“ Wir stellen fest, daß wir beide Jahrgang 43 sind; aber ich, sagt Horst, hätte diesen klaren Blick und könnte ihn richtig angucken,

so durchdringend. Und ob ich mal in seine Augen gesehen hätte, ganz gelb, rot unterlaufen. Ob er es mal mit den Anonymen Alkolholikern versucht hätte? fragt mein Recherchepartner ungerührt. Und Horst: „Nee, dann säß ich ja nicht hier“, und daß man ohne Frau auch nicht kochen kann, sondern sich nur was aus'm Tiefkühlfach holen und morgen im Betrieb, wo er Vorarbeiter sei, werde er noch nicht nüchtern sein, auf keinen Fall.

An der Theke fehlt Horsts Kommunikationstalent, jetzt sitzen sie doch alle acht einzeln, immer zwei leere Hocker Abstand. Nein, ich werde Horst keinen Nachhilfeunterricht geben („nicht so, wie Sie jetzt denken, schriftlich!“), auch wenn ich mal Lehrerin war, und ein bißchen mit Schuld sein, daß er sich - frauenlos - zu Tode säuft. Der Apfelsaft ist ratzekahl aufgezecht, wir gehen, Horst auch, den „Maikäfer machen“, nicht den fliegenden, den liegenden.

Uta Stolle

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