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Quanten und Quoten

■ Ansätze einer feministischen Kritik der Naturwissenschaften

Elvira Scheich

Kann es Frauenforschung in den Naturwissenschaften geben? Das wollte 1986 die hessische Kulturministerin Vera Rüdiger wissen und forderte alle Institute der hessischen Universitäten auf, dazu Stellung zu nehmen. Die Antwort verzögerte sich, kam auf Druck von oben dann aber doch zustande. Sie lautete meist kurz und bündig: „Nein“. Wenn man(n) sich etwas mehr Mühe gemacht hatte, dann hieß es noch, im Prinzip seien mehr Frauen in den naturwissenschaftlichen Fachbereichen durchaus erwünscht. Warum sie aber den Naturwissenschaften fernblieben, schien den Fachbereichsvorständen ein Rätsel zu sein.

Obwohl Frauen in den Naturwissenschaften nicht auf eine breite Tradition zurückgreifen können, ist es lohnend, ihre Geschichte als Außenseiterinnen auszugraben. Durch die Untersuchung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen wird in beispielhafter Weise die innere Struktur des Wissenschaftsbetriebes und sein Funktionieren als Machtapparat deutlich. Ausgegrenzt aus den etablierten Disziplinen und ihren autoritären Strukturen, treffen wir Frauen häufig in jenen innovativen Forschungsfeldern an, in denen mit den hergebrachten Antworten nichts mehr anzufangen war: in der Kernphysik, zur Zeit ihrer Entstehung, dann in der Informatik und der Molekulargenetik bzw. Gentechnologie waren verhältnismäßig viele Frauen an der Entwicklung neuer Konzepte beteiligt. Lise Meitner, deren gemeinsame Arbeit mit Otto Hahn und Fritz Straßmann zur Durchführung der Kernspaltung führte, war von der modernen Physik „wie ein Kind von der Märchenwelt fasziniert, ohne sich zu fragen, wie und wo man in diese Welt hineingehört“. Mit diesen Worten reflektierte sie als eine der wenigen selbstkritischen KernphysikerInnen ihre Begeisterung an den neuen Entdeckungen zu Beginn dieses Jahrhunderts. Neben der wissenschaftshistorischen und -soziologischen Aufgaben die Spuren, die Motivationen und Widerstände der Frauen aufzufinden, die an der Herausbildung heutiger Naturwissenschaft beteiligt waren und sind, gilt es auch, Traditionen überhaupt erst zu bilden. Denn vielleicht hätten Mädchen mehr Vergnügen beispielsweise an Mathematik, wüßten sie, daß Pythagoras eine Frau war1.

Ein weiterer Schritt in Richtung naturwissenschaftliche Frauenforschung, der ganz unmittelbar zu unternehmen wäre, besteht darin, Forschungen zu frauenrelevanten Themen - vor allem in der Biologie und der Medizin - zu beginnen und zu fördern, das heißt Frauen, ihre Andersartigkeit, den gesellschaftlichen und vor allem auch den natürlichen Unterschied der Geschlechter verstärkt zum Thema zu machen. Das Wissen darüber entpuppt sich oft als blanke Ideologie, und das wenigste von diesen „naturwissenschaftlichen Tatsachen“ kann einer Überprüfung der Methoden und einer (nicht unbedingt) feministischen Kritik Stand halten. Wechselwirkungen

Beide Ansätze von Frauenforschung in den Naturwissenschaften rütteln jedoch nicht an den grundlegenden Vorstellungen, mit denen die Natur theoretisch begriffen und technisch kontrolliert wird. Weder haben sie (oder werden sich) die „heimlichen“ Ziele naturwissenschaftlicher Forschung durch die bloße Beteiligung von Frauen verändern, noch eröffnet die Kritik an den Vorurteilen über die Minderwertigkeit der Frau eine weitergehende Perspektive. Denn damit wird wissenschaftliche Objektivität bestätigt - und es zeigt sich, daß sie nicht nur verdammenswert ist -, aber eine Kritik daran ist so nicht möglich. Setzt sich die feministische Auseinandersetzung an den Naturwisschaften jedoch das Ziel, die vorhandenen Methoden, Fragestellungen und Aufgabengebiete zu überschreiten und zu Herrschaftskritik überzugehen, so treffen wir auf wissenschaftstheoretische Probleme. Auf dieser Ebene erst läßt sich die Frage formulieren nach dem Verhältnis von Anwendung und Theoriestruktur, nach dem Zusammenhang von den modernen wissenschaftlichen Modellen der Natur und der Frauenfeindlichkeit des Wissenschaftsbetriebes, nach der Wechselwirkung zwischen der Ausgrenzung von Frauen als Subjekten der Naturerkenntnis und ihrer Diskriminierung als deren Objekte. Und hier endlich steht der patriarchalische Charakter der neuzeitlichen Naturwissenschaften zur Diskussion.

Die Abstraktion der Naturwissenschaften von den gesellschaftlichen Bedingungen ihres Denkens und Handelns aber auch der Gefühle, die dabei eine Rolle spielen - stellt nicht nur die feministische Kritik vor ein Problem. Denn nicht nur Frauen, sondern Menschen überhaupt und was es bedeutet, daß sie historische und gesellschaftliche Wesen sind, werden in den Erkenntnissen dieser Wissenschaften grundsätzlich vernachlässigt. Das wird besonders deutlich in der Quantentheorie, die von sich behauptet, die klassische Spaltung von Subjet und Objekt überwunden zu haben. Aber das bedeutet bislang kaum mehr als die Anerkennung der Tatsache, daß die Mikroobjekte nicht zu untersuchen sind, ohne ihr Verhalten gleichzeitig zu beeinflussen. Die Eigenschaften des Subjekts erschöpfen sich in diesen Betrachtungen dann auf die einer Meßlatte. Abstraktionen

Die neuzeitliche Naturwissenschaft produziert objektive, angeblich alternativlose Wahrheiten über ihren Gegenstand, die Natur. Jede Naturwissenschaftskritik steht vor dem Problem zu erklären, wie eine ursprünglich befreiende Idee, der Anspruch auf Objektivität und die Neutralität des Wissens sich in die Herstellung und Absicherung gesellschaftlicher Ungleicheit verkehrte. Dieser Wandel hat eine konkrete wissenschaftspolitische Geschichte: Die Finanzierung der großen wissenschaftlichen Gesellschaften durch die absolute Monarchie, die ersten selbständigen Institutionen der neuen Wissenschaft im 17.Jahrhundert, war gebunden an den Verzicht auf gesellschaftspolitische Äußerungen und Aktivitäten. Das hatte Rückwirkungen auf die Inhalte der Naturwissenschaft: Das einzige Kriterium für die Wahrheit ihrer Theorien war der technische Erfolg. Wenn die politische Verfassung des Staates, dem die Naturwissenschaften verpflichtet sind, sich auch inzwischen sehr verändert hat, diese Reduktion ihres Erkenntnisanspruchs ist dieselbe geblieben.

Die wissenschaftstheoretische Frage, die sich hier stellt, ist alles andere als einfach: In welcher Weise bergen die Abstraktionen des naturwissenschaftlichen Denkens einen geheimen Sinn, in dem Naturbeherrschung und Herrschaft über den Menschen miteinander verschmolzen sind? Nur soviel dazu an dieser Stelle: Die scheinbar neutrale Betrachtung der Naturvorgänge stellt sich als ein Wissen und Denken heraus, das in den gesellschaftlichen Verhältnissen seinen Ursprung und seine Form findet. Und über diesen Weg lassen sich auch seine patriarchalen und androzentrischen Verzerrungen aufspüren. Der neue Beitrag eines feministischen Ansatzes zur Kritik der Naturwisschenschaften liegt in den Erkenntnissen über den Zusammenhang von gesellschaftlichem Geschlechterverhältnis und wissenschaftlichem Naturverhältnis. Aufspaltungen

Es Es läßt sich zeigen, daß der neuzeitliche Begriff der Kraft in der Physik und des Wertes in der Ökonomie eine gemeinsame Geschichte haben. Den Hintergrund zur Entstehung dieser begrifflichen Abstraktionen bildet die reale, gesellschaftliche Abstraktion von der Reproduktionsarbeit in Ökonomie und öffentlicher Kultur sowie der Zuweisung dieser Arbeit an die Frauen mit dem Argument, das dies ihrer Natur entspräche und deshalb keine Arbeit sei, also nicht berücksichtigt werden muß. Diese Bestimmung von Weiblichkeit wird in der biologischen Evolutionstheorie zugrundegelegt, in der das Weibliche nur noch als eine Funktion der männlichen Genealogie erscheint. Die Funktionalisierung entsprach der allgemein gewordenen Realität einer geschlechterspezifischen Arbeitsteilung, in der es dem gesellschaftlichen Selbstbewußtsein fraglos schien, daß jeder Fortschritt, jede Entwicklung allein auf das männliche Geschlecht zurückzuführen sei.

Die Ausgliederung der Frau aus der Gesellschaft und ihre Gleichbehandlung mit der Natur impliziert die Herrschaft über die Frau ebenso wie die eindeutige Identifizierung des Wissenschaftlers als Männliches. Gerade deshalb kann die feministische Kritik der Naturwissenschaften sich nicht auf die Definition von Weiblichkeit als Gegensatz zur Vernunft, die mit diesen Verhältnissen einhergeht, berufen. Die Idee der Vernunft, verkürzt auf Instrumentalität, und die Imagination des Weiblichen, als Repräsentation des „Anderen“, bilden ein einziges Gedankengebäude. Die gesellschaftliche Spaltung der Geschlechter hat Auswirkungen auf den Begriff, den sich die Wissenschaft von der Natur macht. Ausgangspunkt und Ziel dieses Denkens ist die Freiheit von Naturzwängen und nicht die Freiheit zur Hinwendung und Interaktion.

Im Kontext dieser Abspaltungen sind die „Prinzipien des Lebens“ jenseits aller objektiven Vernunft, die den Fortschritt für sich gepachtet hat, zwangsläufig auf der konservativen Seite angesiedelt. Auf diese Weise verschwindet der Unterschied von reaktionären und befreienden Vorstellungen über Naturumgang und Naturwissenschaft. Aber Frauen sind keinen Deut „naturhafter“ als Männer, und indem sie ihren subjektiven Willen und ihre gesellschaftlichen Interessen artikulieren, unterscheiden sie sich nicht nur von der Natur, sondern bringen auch die verborgene politische Differenz der Naturwissenschaftskritk wieder zum Vorschein. Die feministische Kritik der Naturwissenschaften und der Anwendung ihrer Erkenntnisse ist deshalb konsequenterweise auch die Kritik von Gesellschaft, der sozialen Ungleicheit der Geschlechter, denn die gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen untereinander schließen deren Beziehung zur Natur unmittelbar mit ein. Selbstreflexion

Ein gravierendes Problem stellt jedoch die Situation in den Naturwissenschaften selbst dar: Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsgeschichte und die öffentliche Diskussion über Forschungsprojekte, deren Ziele und Bedingungen, sind kein Bestandteil der naturwissenschaftlichen Arbeit und des naturwissenschaftlichen Selbstverständnisses; institutionell wurden sie aus der disziplinären Organisation ausgegliedert. Die Kritik der Physik wird nicht mehr als Physik betrachtet und als nicht-fachwissenschaftlich abqualifiziert. Was „richtige“ Naturwissenschaft sei, ist jedoch in (politischen) Auseinandersetzungen definiert worden, und diese Festlegungen sind heute historisch überfällig. Die Spaltung von Natur- und Gesellschaftswissenschaften, die Abspaltung der gesellschaftlichen Dimensionen naturwissenchaftlichen Denkens und Handelns sowie der Erkenntis, daß Natur - also die Gegenstände naturwissenschaftlicher Forschung wesentlich eine sozial geschaffene Wirklichkeit darstellt, ist ein Kernproblem heutiger Wissenschaft. Zurückzuweisen ist jeder Versuch, daraus ein Problem der Frauenforschung zu machen.

Naturwissenschaftskritik kann heute in Deutschland fast nur außerhalb der naturwissenschaftlichen Fächer, manchmal nur außerhalb des Wissenschaftsbetriebes überhaupt, stattfinden. Das gilt für die feministische Naturwissenschaftskritik in besonderem Maße, die deshalb nur schwer über ihre Anfänge hinauskommen kann. Ziel einer wirksamen Kritik kann kaum die pseudo-radikale Forderung nach ihrer Abschaffung sein, vielmehr geht es um eine Erweiterung des naturwissenschaftlichen Reflexionsvermögens, um die (Wieder -)Herstellung ihrer gesellschaftlichen Produktivität, die wir heute nicht mehr naiv voraussetzen können, und um die dringend notwendige Eindämmung ihrer Destruktivität. Man mag diese Ziele für reformistisch halten, doch befürchte ich, daß diese „Reformen“ überlebensnotwendig geworden sind und daß ihre Implikationen sehr weit reichen können, nämlich Naturwissenschaft als Kritik ermöglichen. Vieldeutige Sichtweisen

Das Thema feministische Naturwissenschaftskritik provoziert immer wieder die Frage, ob es eine andere, bessere, „weibliche“ Naturwissenschaft geben kann und sollte. Ich möchte dies entschieden mit Nein beantworten. Die Kritik an der patriarchal-verzerrten Sichtweise der Natur, den geschlechtsspezifischen Strukturen des Wissenschaftsbetriebes und den frauenfeindlichen Technologien kann sich nur dann entfalten, wenn die Charakterisierung der Natur als „weiblich“, der Frau als „naturhaft“ endlich verabschiedet wird. Damit wären die Wissenschaften von der Natur gezwungen, ihre schon seit Jahrhunderten verkündeten Ansprüche auf Gleichheit der Erkenntnissubjekte und vorurteilsfreie Erkenntnis endlich einzulösen. Die Hoffnung auf ein „richtiges“ feministisches Theoriemodell der Natur beinhaltet die magisch-patriarchale Vorstellung, die Modell und Wirklichkeit gleichsetzt. Demnach erscheint das „falsche“ Denken als verantwortlich für die Mißstände in den patriarchalen Naturwissenschaften. Verloren geht hierbei einmal die Differenz von Theorie und Politik, die Tatsache, daß es Handlungen von konkreten Personen sind - Männern und Frauen -, die gesellschaftliche Wirklichkeit gestalten. Die neuen Modelle und Theorien, die unter den Titeln „Selbstorganisation“ oder „Chaos-Theorie“ zu Lösungen der Misere stilisiert werden, bieten keinerlei Garantien gegen einen technischen oder ideologischen Mißbrauch, sie eröffnen allerdings neue Denkmöglichkeiten. Sie unterscheiden sich damit aber nicht von der klassischen Physik, der Quantenmechanik, der Evolutionstheorie oder auch der Ökosystemtheorie, denn das haben diese Ansätze ebenfalls geleistet.

Wenn der Wissenschaftler nicht ein Mann ist (oder eine Frau, die sich in ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit so verhalten muß) und die Natur nicht immer als weiblich angesehen wird, dann kann die Verschiedenheit der Erkenntnissubjekte zum Ausdruck kommen, und die Betrachtungsweisen der Natur verlieren ihre Eindeutigkeit. Und man könnte sich vorstellen, daß verschiedene Modelle für sogar dieselben Naturvorgänge Gültigkeit besitzen, je nachdem unter welcher Perspektive und mit welchem praktischen Ziel sie untersucht werden. Es wäre nicht mehr notwendig, alles demselben Naturgesetz unterzuordnen. Das wäre eine andere Form des Wissens.

Vielleicht wäre dies ein Motto für die Feministinnen einer solchen Wissenschaft: „Deswegen ist Wissen, das nur nach Befriedigung strebt, (nichts als) eine Kurtisane, die nur dem Vergnügen und nicht der Fruchtbarkeit und Fortpflanzung dient.“ Wir brauchen ja nicht Wertungen von Francis Bacon zu folgen, wenn wir uns nach langer Enthaltsamkeit das Vergnügen an Wissenschaft gönnen.

1 Er war natürlich keine Frau, aber wesentliche Teile des Werkes, das ihm als Ganzes zugeschrieben wird, stammen von Frauen.

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