Eine Begegnung der ganz anderen Art

Während es im Stadion ruhig blieb, fanden die Schlägereien vor dem Spiel um den Hauptbahnhof statt  ■  PRESS-SCHLAG

Geh doch vor dem Spiel noch ein wenig durch die Stadt, in die Kneipen. Du verstehst doch, was die holländischen Fans so reden, was sie an witzigen Losungen kreieren und schreien.“ Ein bißchen was Skurriles oder Komisches sollte sich doch finden lassen, meinten die Kollegen; die Fußballfreunde in Orange und mit den Rasta-Perücken gelten als fantasievoll, und die Begegnung mit den Deutschen ist getragen von alter Rivalität.

Doch Rotterdam bietet an diesem Mittwoch nicht den Stoff für skurile Rahmengeschichten. Rotterdam Centraal gleicht bereits am frühen Nachmittag einer Festung. Oranje und dunkelblau färbt sich zusehens die Gegend um den Hauptbahnhof. Hunderte von niederländischen Fans warten voller Ungeduld auf die Ankunft der ersten Sonderzüge aus Köln. In der Bahnhofshalle observieren Dutzende Zivilbeamte von einer Empore die Bewegungen der heranrückenden deutschen Front.

Eins haben die „drinnen“ und jene „draußen“ gemeinsam: Sie haben keine Eintrittskarte. Das stört sie nicht besonders, sie fiebern einer Begegnung der ganz anderen Art entgegen. Das Gedränge ist groß. Ströme von normalen Reisenden bringen sich eilig in Sicherheit. Ein schon älteres US -amerikanisches Pärchen mit Rucksack weiß nicht recht, ob es die Szenerie als bleibende Erinnerung verbuchen oder sich lieber schleunigst aus dem Staub machen möchte. Es entscheidet sich schließlich, von berittenen Polizisten eskortiert, für den Abzug und steigt ins Taxi.

1.600 Mitarbeiter hat die Rotterdamer Polizei im Einsatz an diesem Tag. Dennoch können auch die gut ausgerüsteten Spezialeinheiten nicht verhindern, daß gleich der erste Ausbruchsversuch der Gäste gelingt und sich die Kontrahenten auf der Lijnbaan, dem Modernen Einkaufszentrum der Hafenstadt, eine stundenlange blutige Schlacht liefern, bei deren Ende 45 Verletzte und 30 Festnahmen zu verbuchen sind.

Vorausschauende Ladeninhaber haben die Stahlgitter schon frühzeitig runtergelassen. Ein Kneipier, der seinen Gästen zur Einstimmung auf das Spiel gerade ein Videoaufzeichnung der EM-Partie beider Mannschaften vorführt, muß leidvoll zusehen, wie gegnerische Skin-Einheiten seinen Laden stürmen und zu Bruch schlagen. Zwei junge Männer bleiben, von Messerstichen verletzt, zurück, als die Meute glaubt, die Zeit sei nun reif für die entscheidende Schlacht an der Südkurve. Am Stadion sehen sie sich wieder.

„Deutschland, Deutschand, alles ist vorbei“, „Auf Wiedersehen“ und ihr gefürchtetes „Aanvalluuuh“ (Attacke!) gröhlen die Oranje-Bataillone; in ihren Zwingern heulen die zum engagierten tete-a-tete angereisten Deutschen vor Wut. Die Polizei knüppelt jeden Ausbruchsversuch nieder.

Stunden später, die Begegnung ist längst zu Ende, Spieler und Zuschauer schon unterwegs nach Hause, treibt die Polizei die solcherart um ihr Erlebnis Betrogenen zurück auf den Bahnsteig und rein in den bereitstehenden Sonderzug der Bundesbahn.

„Sollen sie den doch demolieren“, macht ein müder Einsatzleiter seinem Haß auf die Deutschen Luft. Auf Wiedersehen...

Henk Raijer