Bewährung für Strommastsäger

Urteil gegen drei vormals im Startbahnprozeß Angeklagte vor dem Oberlandesgericht Frankfurt verkündet / Gericht berücksicht die Motive der drei Angeklagten als „engagierte AtomkraftgegnerInnen“  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

Die einen meinten, es hätte schlimmer kommen können, andere sagten gar: „Ein weises Urteil“. Der 5.Strafsenat des Frankfurter Oberlandesgerichts hat gestern zwei Angeklagte zu Bewährungsstrafen verurteilt, deren Verfahren vom Prozeß um die tödlichen Schüsse an der Startbahn West im Herbst 1986 vor wenigen Wochen abgetrennt worden war. Bei einer Angeklagten sah das Gericht von einer Bestrafung ab. Die AtomkraftgegnerInnen hatten sich wegen des Umsägens von Strommasten und damit wegen des „gemeinschaftlichen Vergehens der Störung öffentlicher Betriebe“ verantworten müssen.

Die Kammer verurteilte die 49jährige Sigrun G. zu einer Bewährungs-Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Sie hatte die Beteiligung an zwei Mastsäge-Aktionen im Sommer 1986 gestanden. Die Bundesanwaltschaft hatte drei Jahre Haft für sie gefordert. Der Vorsitzende Richter Schieferstein wertete in ihrem Falle als strafmildernd, daß der wegen Mordes angeklagte Andreas Eichler sie damals dazu „aufgefordert, überredet“ habe „mitzumachen“. Das Gericht berücksichtigte auch die Motive der Angeklagten. Sie habe als „engagierte Atomkraftgegnerin“ gehandelt und endlich „auch mal was für die anderen machen“ wollen.

Die Tatbeteiligung des 26jährigen Michael M., der zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt wurde, sah das Gericht als relativ gering an. Seine Teilnahme bei einem der Anschläge sei „spontan“ gewesen, an den Vorbereitungen habe er sich nicht beteiligt. Auch habe er inzwischen eingesehen, „daß solche Aktionen nichts bringen“, und sich durch den Eindruck, den das Schicksal der dritten Angeklagten, Ursula J., auf ihn gemacht habe, glaubhaft von den Anschlägen abgekehrt.

Im Fall von Ursula J. (50) nutzte das Gericht die Möglichkeit des „Absehens von Strafe“. Sie sei durch die Verletzungen, die sie beim Umsägen eines Strommastes erlitten hatte, genug geschädigt worden. Sie war damals, als der Mast zur falschen Seite umstürzte, durch einen Lichtbogen lebensgefährlich verletzt worden.

Das Gericht begründete das Strafmaß auch damit, daß die Stromversorgung nur kurze Zeit gestört gewesen sei - beim ersten Mast nur sechs Minuten, beim zweiten sei lediglich ein kurzer Spannungsabfall zu bemerken gewesen. Der Sachschaden für die Firmen Preußen Elektra und die REW habe insgesamt 110.000 Mark betragen.

Außer zu Bewährungsstrafen verurteilte das Gericht die beiden Angeklagten Sigrun G. und Michael M. zu Geldstrafen von 1.500 beziehungsweise 1.000 Mark. Die gegen alle drei noch bestehenden Haftbefehle wurden aufgehoben.