piwik no script img

Der Hunger auf Bücher

■ Warum er in Tansania nicht gestillt werden kann

Vor der Unabhängigkeit Tansanias 1961 und auch bis zur Arusha-Deklaration 1967, die den Weg des Landes zu Sozialismus und Selbstversorgung ebnete, hatten sich mehrere Verlagshäuser von internationalem Ruf im Land niedergelassen. Unter den bekannteren waren MacMillan, Longman und Oxford-University-Press. MacMillan funktionierte in dieser Zeit sogar als halboffizieller Verlag und publizierte erfolgreich Bücher für Schulen, höhere Lehranstalten, Romane und Sachbücher zur Weiterbildung und für das allgemeine Lesepublikum.

Dann kam die Arusha-Deklaration und mit ihr die Vorstellung, daß der größte Teil der von ausländischen Verlagen produzierten Bücher unserer Kultur fremd sei und eine andere, uns fremde Kultur propagiere. Solche Bücher wollte man in einem sozialistischen Tansania nicht haben.

Kurz nach der Deklaration befanden Tansanias Ideologen, daß MacMillan - das Verlagshaus, das zum Hauptschuldigen gestempelt wurde - seine Zweigstelle aufzugeben habe. Man bat die Verleger um Mithilfe beim Aufbau eines nationalen Verlagsunternehmens, des Tansania Publishing House (TPH), und überredete sie, einen Teil ihrer Rechte als Starthilfe an das neue Nationalunternehmen zu verkaufen was MacMillan nach einigem Zögern auch tat.

Wie alle anderen nationalisierten und überstürzt gegründeten Unternehmen in ihrem Feld, so kontrollierte auch das Tansania Publishing House sämtliche Veröffentlichungen des Landes, einschließlich derer, die vorher MacMillan und anderen ausländischen Firmen gehört hatten. Bald auch verwehrte man ausländischen Firmen das Recht, die ihnen aus Geschäften in fremder Währung rechtmäßig zustehenden Profite aus dem Land herauszunehmen. Als nächstes verbot man die Einfuhr dringend notwendiger Bücher, die aus Gründen der Ökonomie außerhalb des Landes gedruckt worden waren. Die Bank von Tansania weigerte sich, für ihre Einfuhr Devisen zur Verfügung zu stellen, obwohl die Importeure in der Regel genug Devisen eingebracht hatten, um das Recht auf Zuteilung zu erhalten. All das bedeutete, daß ausländische Verlage weder im Land selbst weiterarbeiten konnten noch ihre Lager aus überseeischer Produktion auffüllen konnten. Die Druckereien des Landes aber waren weder modern noch effizient genug, um ihren Bedürfnissen zu genügen.

Als ihnen so nach und nach die Hände gebunden worden waren, packten die Verlage schließlich ihre Koffer und verschwanden, unter ihnen auch MacMillan, Longman und Oxford -University-Press. Mit ihnen verschwanden wichtige Bereiche der Publikation, nämlich alles, wofür die Rechte nicht an Tansania Publishing House verkauft worden waren. Aus Geldmangel hatte TPH nur das Copyright an den einfachsten und billigsten Produktionen aufgekauft. Die Rechte an den wichtigsten und am dringendsten gebrauchten Büchern gingen mit den ausländischen Verlagen weg.

Vor ihrem Weggang stellten einige dieser Verlage noch regionale Repräsentanten ein, die ihre noch verbliebenen, sehr geringfügigen Interessen auf dem Markt vertreten sollten, und zwar in der Hoffnung, daß die Situation sich vielleicht bald bessern würde. Die Nachzügler in diesem Gebiet jedoch, Heinemann etwa, etablierten sich gleich woanders, zum Beispiel in Nairobi (Kenia), da die technischen Schwierigkeiten einer Buchproduktion in Tansania schier unlösbar geworden waren.

Als Ergebnis dieser Restriktion des Buchmarkts hat sich das Land seit nunmehr zwanzig Jahren mit ernsten Problemen herumzuschlagen, unter anderem mit einem extremen Mangel an Schulbüchern und Lehrmaterial für Colleges und höhere Lehranstalten, dem fast völligen Fehlen jeglicher Bücher für das allgemeine Lesepublikum und gähnender Leere in den Regalen für naturwissenschaftliche, technische und Berufslehrbücher.

Seit der Übernahme von MacMillan hat sich das Verlagshaus TPH fast vollständig darauf beschränkt, ideologische Bücher zu produzieren - und selbst die werden in so geringen Auflagen gedruckt, daß man sie kaum irgendwo bekommen kann. Es gibt daher so gut wie gar nichts mehr in Tansania, das den Hunger auf Lese- und Lernmaterial befriedigen könnte.

Den Lesehunger der Bevölkerung versuchen nun Secondhand -Bücherstände in den Straßen von Daressalam und anderen größeren Städten zu stillen. Über diese Bücherstände gehen Schul- und Collegebücher zu ungeheuerlichen Preisen von Hand zu Hand, bis sie schließlich vollkommen zerlesen sind und bei der kleinsten Berührung auseinanderfallen. Neue Bücher bekommt man nur über Leute, die sich auf Reisen über die Grenze in Nairobi oder sonstwo Zugang zu weniger ärmlichen Büchermärkten verschaffen konnten.

Seit der Arusha-Deklaration von 1967 sind im Land einige Amateurverlage gegründet worden. Eine kürzlich in Daressalam abgehaltene Buchausstellung brachte mehr als zwanzig solcher Amateurverleger zusammen. Beim Anblick dessen, was da ausgestellt war, begriff man jedoch schnell, warum die Secondhand-Buchstände ein so blühendes Geschäft machen. Man könnte argumentieren, daß den lokalen Amateurfirmen eine Chance gegeben werden sollte - schließlich haben auch die großen internationalen Verlagshäuser einmal klein angefangen. Aber das käme dem Argument gleich, die Tansanier sollten keine Busse zum öffentlichen Transport oder Lastwagen für ihre Ernten kaufen, solange sie nicht in der Lage sind, ihre eigene Art von motorisiertem Transport zu erfinden und herzustellen.

Gibt es also die Freiheit des Buches in Tansania? Vor etwa drei Jahren wurde ein Schritt zur Liberalisierung des Handels gemacht, um die kranke Ökonomie wiederzubeleben; seitdem dürfen private Unternehmer und Händler Industriewerkzeug und Gegenstände des einfachen Konsumbedarfs importieren, wenn sie dafür die Devisen selbst aufbringen. Dies hat einigen Druckereien wieder aufgeholfen, deren Produktion durch fehlende Ersatzteile der Maschinen und extremen Mangel an Papier nahezu eingeschlafen war. Auch die Gründung einer eigenen Papierfabrik, der Southern Paper Mill, hat geholfen, die Probleme zu lindern. Aber all das reichte nicht aus, die Qualität der Publikationen selbst zu verbessern. Nach der Aufhebung der Papierrationierung können Verleger zwar Aufträge an Druckereien vergeben, die sie 24 Stunden am Tag in Bewegung halten. Und sie können, wenn es finanziell möglich ist, das gesamte Papier der Southern Paper Mill dafür aufkaufen. Das Ergebnis aber findet man weiterhin vor allem an den Märkten und Verkaufsständen des Landes wieder, in denen die vielen unverkauften Exemplare schließlich als Einwickelpapier enden. Auch die wenigen verkauften Exemplare fristen ihr Dasein schließlich als Einschlagpapier für Lebensmittel - nachdem man sie selbst für ungenießbar und substanzlos befunden hat. Der Hunger auf Bücher bleibt in Tansania also weiterhin ungestillt, obwohl sich Verleger auf diesem Feld versucht haben. Bei dieser beklagenswerten Tatsache darf es nicht bleiben.

Gerade ist die Verlegervereinigung von Tansania (PATA) gegründet worden, und sie wird sich um Mitgliedschaft in der Internationalen Verlegervereinigung (IPA) bewerben. Man sollte die Chance nutzen, um Seite an Seite mit den großen Verlagshäusern der Welt zu arbeiten und so den Standard der eigenen Arbeit zu verbessern, damit die Leser Tansanias endlich wieder richtige Bücher zu sehen kriegen. Internationale Kooperation sollte dabei im Vordergrund stehen, und nicht nationale Autonomie.

Ludovick Ngatara

Ludovick Ngatara ist Vorsitzender der Journalistenvereinigung Tansanias.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen