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Keine Chance für den Binnenmarkt

■ Trotz Euromissile, Eurocopter, Eurofighter - die Internationalisierung in der westeuropäischen Rüstungsindustrie verläuft anders

Teil 13: Jörg Huffschmid

Solange die Nato existiert, gibt es Versuche, den Markt für Kriegsgerät zu vereinheitlichen. Die Motive waren zunächst ebenso eindeutig wie durchsichtig: Die US-Rüstungskonzerne suchten Absatz für die Produkte ihrer im Krieg gebauten Waffenfabriken. Bekanntlich sind sie in den 50er und 60er Jahren vor allem in der Bundesrepublik überaus fündig geworden.

Diese Zeiten sind vorbei. Zwar spielen die USA in der Nato nach wie vor die Hauptrolle, der Vorsprung an Killertechnologie und Finanzkraft ihrer Konzerne besteht weiter. Doch es gibt mittlerweile wieder starke eigenständige Rüstungsindustrien in Westeuropa, vor allem in Frankreich, England, der Bundesrepublik und Italien. Auch in den Niederlanden und Spanien existieren Waffenhersteller von Bedeutung. Die militärische Produktion in den anderen EG -Ländern ist demgegenüber wenig entwickelt. Außerhalb der EG und der Nato gibt es noch in Schweden (SAAB, Boforss), der Schweiz (Bührle-Oerlikon) und in Österreich (Steyr-Puch) international bekannte Rüstungskonzerne.

Die Bestrebungen zur Herstellung eines einheitlichen westeuropäischen Rüstungsmarktes werden heute vor allem von den hiesigen Regierungen und Rüstungskonzernen getragen. In den 60er Jahren bildeten die europäischen Nato-Staaten die „Eurogroup“, 1976 richteten sie die „Independent European Planning Group“ (IEPG) ein. Ziel: Größere Selbständigkeit gegenüber den USA, mehr lukrative Geschäfte für die eigenen Waffenschmieden.

1986 legte der ehemalige holländische Verteidigungsminister Vredeling Empfehlungen „Für ein stärkeres Europa“ vor. Sie laufen auf zwischenstaatliche Marktöffnung und mehr Wettbewerb in der westeuropäischen „Wehrtechnik“ hinaus. So beschlossen es auch die IEPG-Tagungen 1987 in Sevilla und im November 1988 in Luxemburg. Liegen die Kriegslieferanten Westeuropas also voll im Trend, mit Perspektive auf den großen einheitlichen Binnenmarkt? Trotz markiger Erklärungen sprechen die bisherigen Erfahrungen ebenso dagegen wie die Struktur des Rüstungsgeschäfts.

Es ist nämlich auffällig, daß alle Vereinheitlichungsversuche bis heute fast völlig erfolglos geblieben sind. Es gibt genug Gründe für die Annahme, daß dies auch zukünftig so bleibt:

Erstens ist der Rüstungsmarkt vollständig durchpolitisiert. Die Nachfrage kommt allein vom Staat, und sie wird vor allem mit in der Öffentlichkeit kaum angreifbarer politischer Begründung ausgeübt: nationale Sicherheit, Souveränität und Freiheit.

Zweitens kommt ein großer Teil des Angebots von Staatsunternehmen: Die spanische, italienische und französische Rüstungsindustrie befinden sich - ungeachtet der jüngsten Teilprivatisierungen bei Matra - fast vollständig in öffentlichem Eigentum. Außer in der BRD werden Kriegsschiffe in Westeuropa fast nur in staatlichen Regiebetrieben, Kampfflugzeuge in öffentlichen Unternehmen gebaut. Nur die Bundesrepublik hat - ähnlich wie die USA eine überwiegend private Rüstungsindustrie. Aber selbst hier: MBB ist bislang mehrheitlich ein Unternehmen in öffentlichem Besitz.

Drittens: Staatlich oder privat - das Angebot an Kriegsmaterial ist fast überall hochkonzentriert. Für viele Waffensysteme oder Teile hiervon gibt es nur einen Anbieter pro Land: In Frankreich, England und der BRD liefert nur jeweils ein Konzern - SNECMA, Rolls-Royce, MTU - Triebwerke für Panzer, Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge. Für letztere gibt es in England, Italien und Spanien nur einen Hersteller (British Aerospace, Aeritalia, Casa), in Frankreich (Aerospatiale und Dassault) sowie der BRD (MBB und Dornier) jeweils zwei. Wo mehrere Anbieter existieren, teilen sie sich oft die Aufträge: Krauss-Maffei und Krupp MAK bauen ohne alle Konkurrenz den Leopard 2 zusammen. Auch den Zukunftsmarkt Militärelektronik beherrschen wenige Anbieter: Thomson CSF in Frankreich, General Electric und Plessey in England, Siemens und AEG in der BRD, SGS Microelettronica in Italien.

Die Folge dieser Strukturen: ein dichtes Netz von Verflechtungen zwischen den nationalen politischen Beschaffungsstellen - Ministerien bzw. Rüstungsbehörden und den öffentlichen oder privaten Waffenherstellern. Dieses Geflecht ist der Kern des militärisch-industriellen Komplexes. Seine Peripherie besteht ökonomisch aus vielen abhängigen Zulieferunternehmen, politisch aus den Feindbildfabrikanten, Militaristen und den Kräften, die durch den Aufbau militärischer Drohpotentiale politische Weltmachtpositionen besetzen wollen.

Derartige Komplexe sind durch und durch nationalstaatlich geprägt. Sie lassen sich weder liberalisieren noch internationalisieren. Einer Politik der Marktöffnung durch Beseitigung nationaler Grenzen stellen sie sich entschieden entgegen.

Zwar fordert das Binnenmarkt-Programm ausdrücklich auch die EG-weite Liberalisierung öffentlicher Aufträge. Für die Rüstungsunternehmen sind das Sprechblasen, die an der Wirklichkeit zerplatzen. Denn der EWG-Vertrag nimmt in Artikel 223 „die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit“ ausdrücklich vom Liberalisierungsgebot aus. Daran hat auch die Einheitliche Europäische Akte von 1987 nichts geändert. Rüstungsmärkte sind und bleiben abgeschottete nationale Märkte. (Zur Bedeutung von Daimler-Benz und MBB siehe taz vom 22.4.).

Dennoch - es klingt zunächst paradox - ist die Rüstungsproduktion in Westeuropa keine ausschließlich nationale Angelegenheit. Der Internationalisierungsdruck, der schließlich auch Triebkraft des europäischen Binnenmarktes ist, macht auch um Bomben, Kanonen und Raketen keinen Bogen:

-Erstens erfordert die militärische Integration in der Nato ein möglichst hohes Maß an Standardisierung und „Interoperabilität“ des militärischen Gerätes. Am leichtesten ist beides zu haben, wenn man die verschiedenen Armeen mit den gleichen Waffen ausrüstet.

-Zweitens besteht auch für die größten Rüstungsunternehmen in Westeuropa keine Chance, sich im Alleingang gegen die auf fast allen Gebieten übermächtigen US-Konkurrenten durchzusetzen.

-Drittens erfordert die Entwicklung neuer Waffensysteme einen derartig hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwand, daß einzelne Staaten als Finanziers dieser Aufwendungen überfordert sind.

-Viertens führen zunehmende politische Sensibilität und engere Finanzspielräume überall zu einer relativen Beschränkung der Rüstungsausgaben.

-Fünftens schließlich zerfließen mit der Verlagerung moderner Rüstung in den Bereich der Elektronik die Grenzen zwischen ziviler und militärischer Forschung und Entwicklung; damit wird die traditionelle Abschottung der Rüstungsmärkte relativiert.

Die Anpassung an diesen Druck führt aber nicht zur Herstellung eines großes europäischen Rüstungsmarktes. Sie erfolgt vielmehr vorwiegend über bilaterale oder multilaterale Zusammenarbeit von Staaten und Unternehmen für einzelne Waffenprojekte (siehe Tabelle). Diese Form der Rüstungszusammenarbeit bringt zwei Bündel von Tendenzen zusammen, die einander widersprechen: einerseits den politischen Drang nach nationaler Souveränität und militärischer Machtentfaltung sowie das ökonomische Interesse an nationalen Rüstungsgewinnen, andererseits die Notwendigkeit der Internationalisierung auch der militärischen Produktion.

Mittlerweile werden fast alle größeren neuen Waffensysteme in über 50 zwischenstaatlichen Projektkooperativen entwickelt und beschafft. Ihre politische Grundlage ist eine Vereinbarung zwischen den Regierungen der beteiligten Staaten, ihr organisatorisches Zentrum eine internationale Managementfirma, an der die Unternehmen in der Höhe des nationalen Finanzierungsanteils beteiligt sind. Von grenzüberschreitendem Wettbewerb kann dabei keine Rede sein: Die Auftragspakete werden entsprechend dem Finanzierungsanteil der beteiligten Staaten an die nationalen Rüstungsunternehmen verteilt. Wo dies nicht möglich ist, erhält die heimische Industrie einen „gerechten Ausgleich“ in Form anderer Aufträge.

Willkommene Nebenwirkung für die Rüstungsunternehmen der BRD: Mit Hilfe der Projektkooperation können sie die im Vergleich zu anderen Ländern der Nato strengeren Waffenexportbeschränkungen umgehen: Die vom deutsch -französischen (MBB-Aerospatiale) Gemeinschaftsunternehmen Euromissile hergestellte Exocet-Rakete dürfte von der BRD aus ebensowenig nach Argentinien exportiert werden wie der von dem deutsch-englisch-italienischen Gemeinschaftsunternehmen Panavia produzierte Tornado nach Saudi-Arabien. Also erfolgt die Lieferung über Frankreich bzw. England. MBB verdient in beiden Fällen daran.

Allerdings: Die Rüstungskooperation verläuft selten reibungslos. Sie wird durch unterschiedliche militärische Optionen, technische Konzeptionen, ökonomische Sonderinteressen der beteiligten Regierungen und Unternehmen erschwert und gebremst. Der Prozeß des Aushandelns ist langwierig, kostet viel Geld - und führt schließlich oft dennoch nicht zum Erfolg. Die Liste der gescheiterten Projekte ist ebenso lang wie die der erfolgreichen:

Seit den 60er Jahren gab es nacheinander deutsch -amerikanische, deutsch-britische, französisch-britische und deutsch-französische Pläne zur gemeinsamen Produktion eines Kampfpanzers. In allen Fällen kam es schließlich - unter dem Druck der jeweiligen Industrielobbies - zu nationalen Alleingängen. Erst vor kurzem wurde nach über 15 Jahren der Versuch abgebrochen, eine moderne Panzerhaubitze auf multinationaler Grundlage zu entwickeln. Die BRD hatte für diese Versuche inzwischen fast eine halbe Milliarde Mark ausgegeben. Frankreich ist aus dem Projekt Jäger 90 ausgestiegen und entwickelt in eigener Regie das Kampfflugzeug Rafale - Dassault und Aerospatiale sind's zufrieden.

Alles in allem: Ein einheitlicher westeuropäischer Rüstungsmarkt ist ebensowenig in Sicht wie ein einheitlicher Militär-Industrie-Komplex in Westeuropa. Die mühsame Perspektive für die Kriegsindustrie heißt konfliktreiche Kooperation von Regierungen und umständliche Gemeinschaftsproduktion rivalisierender Konzerne.

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