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„Eine Meuterei ist eine ernste Sache“

Tom Christian ist Urururenkel des Meuterers Fletcher Christian und Funker der Insel der 50 Meuterernachfahren, Pitcairn  ■ I N T E R V I E W

taz: Mr. Christian, in welchem Verwandtschaftsverhältnis stehen Sie zum Anführer der Meuterei auf der Bounty, Fletcher Christian? Over.

Tom Christian: Hier ist VR6TC, O.K. Fletcher Christian ist mein Urururgroßvater. Mein Vater ist Fred, mein Großvater Daniel, mein Urgroßvater Thursday Oktober, mein Ururgroßvater ist Friday Christian und mein Urururgroßvater ist Fletcher Christian, der Meuterer. Obwohl es nun 200 Jahre her ist, so ist es doch interessant, die Dinge nachzuvollziehen, die seither passiert sind und über die seit der Meuterei so viel geschrieben wurde. VR6TC, over.

O.K. Hier ist DL8FL. Wie werden Sie den 200. Jahrestag der Meuterei begehen?

Wir haben in der Vergangenheit den Jahrestag überhaupt nicht gefeiert. Ich glaube nicht, daß am 200. viel los ist. Vielleicht kommen ja einige über Funk auf unserer Frequenz. Ich glaube, es gibt sechs Anfragen für ein Gespräch am 28. Die einzige Feier, die wir anvisieren, ist der Jahrestag des Feuers auf der Bounty, das das Schiff zerstört hatte, am 23. Januar 1990. VR6TC, over.

O.K. Hier ist DL8FL. Hat das Datum des 28. April eigentlich überhaupt eine Bedeutung für die Pitcairner?

Nein, auf der Insel selbst eigentlich nicht. Aus historischer Sicht ist es sicherlich interessant. Aber das Volk hier kümmert sich nicht sehr um die Meuterei selbst, die ja vor der Insel Tofua stattgefunden hat. Ach so, ja. Am 28. werden besondere Briefmarken in unserem Postamt herausgegeben, schöne Briefmarken, die die Sammler in aller Welt interessieren dürften.

O.K., die Verbindung ist heute sehr gut. Die heutige Inselbevölkerung, bis auf vier, fünf Ausnahmen alles direkte Nachfahren der Meuterer, ist sehr religiös eingestellt. Was für ein Verhältnis haben diese Menschen zur Meuterei, einem Akt der Gehorsamsverweigerung?

Das ist wirklich schwer zu beantworten. Wir können nur danach gehen, was wir darüber gehört und was wir gelesen haben. Ich persönlich meine, daß die Meuterer schöne Zeiten auf Tahiti gehabt haben, als sie darauf warteten, daß die Brotfruchtbäume verpflanzt werden konnten. Sie genossen das Leben mit den Frauen dort. Und als sie zurückfahren mußten, ist es ihnen wohl schwergefallen, die Disziplin zu wahren, insbesondere jene, die Kapitän Bligh ihnen abverlangte. Dann war da der Vorwurf des Kokosnußdiebstahls, und ich glaube, all das hat die Mannschaft auf die Palme gebracht. Ob das aber eine Rechtfertigung dafür sein konnte, ihre neunzehn Kameraden ins Boot auszusetzen, ich meine, sie hätten es nicht tun sollen. Es war immerhin ein offenes Boot und großes Glück, daß sie mit dem Leben davongekommen sind.

Wie finden Sie es denn, daß drei der Meuterer später hingerichtet wurden?

Es ist für mich sehr schwer zu entscheiden, ob die Todesstrafe gerecht war oder nicht, nach 200 Jahren. Ich meine, daß sie sich über die Gefahr einer Verurteilung im klaren gewesen sein mußten. Eine Meuterei ist eine ernste Sache, sie stand unter Todesstrafe. Und wenn die drei wovon ich ausgehe - aktiv an der Meuterei beteiligt waren, meine ich, daß das Urteil zu Recht ergangen ist. Viele Leute wurden exekutiert, die sich weit weniger zuschulden haben kommen lassen. Over.

Gut, Tom, leider kann ich Sie nicht mehr so gut verstehen. Einige andere Funker wollen sich wohl auch unbedingt mit Ihnen unterhalten. In den ersten Jahren nach der Besiedlung von Pitcairn gab es eine Art „Bürgerkrieg“ zwischen den britischen Meuterern und den Polynesiern, die mit der Bounty nach Pitcairn gekommen sind. Was hat Ihrer Ansicht nach dazu geführt? Hat es seither ähnliche Schwierigkeiten auf der Insel gegeben?

Meiner Meinung nach lag die Ursache für den „Bürgerkrieg“ bei den Meuterern, bei den Weißen. Bei der Besiedlung teilten sie das Land nicht mit den Tahitiern, die mitgekommen waren. Das führte natürlich zu Eifersüchteleien. Und als dann die Frau eines Meuterers beim Sturz von den Klippen zu Tode kam, nahm der sich einfach die Frau eines Tahitianers, all das schürte die Haßgefühle. Das war der Grund, warum die Polynesier fünf Meuterer an einem Tag töteten. Das war sehr traurig, aber ich meine, die Meuterer haben sich das selbst zuzuschreiben.

Dergleichen Schwierigkeiten hat es seither hier nicht mehr gegeben. Die restlichen fast zweihundert Jahre waren friedlich.

Jetzt geht es wieder etwas besser, vielen Dank auch an all die anderen Funker, daß sie noch ein bißchen warten. Die nächste Frage: Wie beurteilen Sie eigentlich die Hollywoodfilme über die Meuterei? Geben sie die Geschehnisse korrekt wieder?

Ich habe die Filme über die Meuterei gerne gesehen. Das Filmende ist aber problematisch. Da stirbt Fletcher Christian angeblich am Strand von Pitcairn, als die Bounty verbrannte. Das stimmt natürlich nicht. Andernfalls hätte ich heute abend (das Gespräch fand um 7.00 Uhr MEZ statt) nicht mit Ihnen sprechen können. Fletcher Christian hat tatsächlich noch drei Jahre bis zu seinem Tod auf Pitcairn gelebt.

Der andere Punkt ist, daß keiner der Filme hier auf Pitcairn gedreht wurde. Es ist schon schade, wenn man bedenkt, daß sie so viel Geld ausgegeben haben, und dann war keine richtige Szene aus Pitcairn selbst im Film.

Kann man bei klarem Wasser eigentlich noch Überreste von der Bounty sehen?

Es ist nur noch wenig zu sehen unter Wasser. Ich war selbst einer der Taucher, die ein paar Überbleibsel der Bounty fanden im Jahr 1956. Wir mußten zwei Wochen lang jeden Tag tauchen, um überhaupt den Standort des Schiffes zu orten. Den Anker der Bounty hatte man 1933 heraufholen können, und so hatten wir wenigstens eine Idee, wo wir suchen mußten. Aber der Meeresgrund ist inzwischen total überwachsen mit Seepflanzen, und da brauchten wir schon eine Weile. Und dann fanden wir einiges von der Ladung des Schiffes, wovon wohl heute noch was auf dem Meeresgrund liegt. Dann haben wir das Anker-Spill gefunden, das sie im Januar 1790 über Bord warfen, damit das Schiff nicht an den Klippen zerschellte.

O.K. Wie sieht die Zukunft von Pitcairn aus? Wie viele Menschen müssen mindestens auf der Insel leben, um die Lebensfähigkeit aufrechtzuerhalten? Besteht nicht die Gefahr der Überalterung, wenn die Jungen möglicherweise auswandern?

Ich mache mir Sorgen über die Zukunft der Insel. Es gibt nur noch wenig Einwohner heute. 54 Menschen sind jetzt gerade hier, darunter als Auswärtige der Lehrer und der Krankenpfleger samt Angehörigen. Es kann sein, daß irgendwann einfach nicht mehr genug kräftige Hände da sind, um die Boote zu bedienen, vor allem bei hoher See. Nächsten Monat zum Beispiel wird eine Familie aufbrechen, um Neuseeland zu besuchen. Ich hoffe, sie kommen zurück. Es ist in der Vergangenheit öfters vorgekommen, daß Familien dorthin verreisten und plötzlich feststellten, daß sie eigentlich gar nicht zurückkommen wollten. Wir können es uns nicht leisten, daß noch mehr Leute die Insel verlassen. Vor allem jüngere Leute gehen zur Ausbildung nach Neuseeland und kehren bisweilen nicht zurück.

Wie sieht's aus mit Plänen für einen Hafen oder Flughafen?

Ich persönlich meine, die einzige Zukunft für die Insel wäre eine Landepiste, so daß die Leute kommen und gehen können, wie sie wollen. Es kann sich doch in unserer Zeit kein Auswärtiger bei einem Besuch leisten, warten zu müssen, ob er heute mit einem Schiff wegfahren kann oder in drei Monaten. Eine Landepiste würde auch zum Ausfliegen von Kranken dienen sowie den jüngeren Pitcairnern, zur Ausbildung wegzugehen und zum Ende des Semesters wiederzukommen.

Ob allerdings auf einer so kleinen Insel wie unserer dereinst eine Landebahn gebaut werden kann, ist nicht klar. Es wäre ja immerhin auch für eine begrenzte Anzahl von Touristen möglich, herzukommen und Einkommen zu schaffen. Sie könnten hier etwas einkaufen oder bei einer Familie wohnen. Meine höchstpersönliche Meinung ist, wir sollten es machen.

Das Interview erfolgte mit dankenswerter Unterstützung des Amateurfunkers Frank Lohrmann

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