: Predigt gegen unsolidarische Arbeiter
■ Der neue Schriftführer der Evangelischen Kirche ruft am Tag der Arbeit zum Teilen auf
Gottesdienste am 1. Mai werden oft zeitlich mit Bedacht so gelegt, daß die Gemeinde danach direkt zur Demonstration marschieren kann. In „Unser Lieben Frauen“ war das gestern auch so, und der neue Schriftführer der Evangelische Kirche in Bremen, Pfarrer Ernst Uhl, war als Prediger angekündigt.
Um die, die „täglich einfach ihre Pflicht erfüllen“, sollte es gehen: „Solidarisieren wir uns mit allen, die mit den Gewerkschaften heute auf der Straße demonstrieren...“, und der neue Schriftführer scheute sich in seiner Predigt nicht, das gewerkschafspolitische Thema dieser Wochen anzupacken: die Probleme im „Sozialraum des neuen Europa“, die Sorge machen wegen der „noch ungewissen sozialen Auswirkungen“. In Portugal sind die Lohnkosten um 2/3 niedriger, die Wochenenarbeits-Zeit beträgt über 45 Stunden, faßte der Kirchenmann das Problem exemplarisch zusammen. „Den Menschen in Südeuropa sei es gegönnt, wenn für sie Verbesserungen erreicht werden. Aber was wird aus den Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei uns?“
Die biblische Geschichte des Tages (Matth. 20, 1-16) vergleicht die Königsherrschaft Gottes mit dem Besitzer eines Weinberges, der sich Tagelöhner zur Arbeit holt. Über den Mittag hin holt er immer wieder neue, er hat Arbeit für alle, und am Abend belohnt er alle gleich - auch diejenigen, die nur eine Stunde gearbeitet hatten. Die Bibel berichtet nichts über die Freude derer, die für wenig Arbeit viel Lohn bekamen, das Thema sind die andren, die „murrten gegen den Herrn“. Der Weinbergbesitzer antwortet: „Ich will diesem Letzten so geben wie Dir. Ist es mir nicht erlaubt, mit dem Meinen zu machen was ich will? So werden die Ersten Letzte sein und die Letzten Erste.“
„Kein Wunder, daß sie murren“, kommentierte der Pfarrer, aber die Geschichte erzähle uns von der menschliches Normalmaß übersteigenden Güte Gottes: „Jesus erweist sich als Anwalt der Armen und Unterdrückten - menschenwürdigen Lohn für alle, ob sie nun Erste oder Letzte sind.“ Und das ist aktuell: „Jesu Gleichnis hört sich an wie ein Gleichnis für die unterschiedlichen Länder des gemeinsamen Marktes in Europa.“ Ein „unvertretbares soziales Gefälle“ müsse vermieden werden, sagt der Pfarrer zum 1. Mai, die Ressourcen seien „ausreichend für alle“. Daß von finanziell Bessergestellten „gegen solch ein soziales Verständnis von Gerechtigkeit aufbegehrt wird, daß sie murren wie die Landarbeiter in dem Gleichnis, ist zwar verständlich, aber: Ist es nicht auch zutiefst unsolidarisch gegenüber denen, die in der markt- und leistungsorientierten Gesellschaft nicht auf den grünen Zweig gekommen sind?“ Die Demonstranten stellten sich derweil woanders auf.
Klaus Wolschner
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