: Gegen die Hohlheit
■ Joan Micklin Silvers „Sarah und Sam“
Wenn Sarah morgens zur Arbeit geht, hat sie gute Laune, wenn sie abends mit ihrer Freundin ihr Fitnessprogramm absolviert, ist sie immer noch guter Dinge. Hinter ihr liegt ein erfüllter Tag und vor ihr die entspannte Gemütlichkeit ihres Apartments. Kein Haustyrann und kein Softie verlangt von ihr häusliches Engagement. Sarah lebt allein.
Sie liebt ihre Arbeit und ihre Arbeit liebt sie: Sie kümmert sich um die Literatur, organisiert öffentliche Lesungen und private Treffen mit den Schöpfern der bedeutendsten und neuesten Romanhits. Sie verkehrt in den erlesensten Kreisen der Hochkultur, gepflegt, gebildet und continental. Sie ist Buchhändlerin und viel mehr als das.
Sie verliebt sich in den smarten europäischen Schriftsteller, das bringt ihre Arbeit so mit sich. Sie stellt ihr Leben in den Dienst der Bücher, wieviel mehr muß sie deren Schöpfer verehren. Die kulturelle Atmosphäre und die Ausstrahlung der berühmten Figuren: Das ist die Luft, die sie zum Leben braucht. Man braucht sie hier, man achtet sie. Sarah sieht gut aus, ist intelligent und hat Erfolg, sie gehört dazu: Sarah ist zufrieden.
Ihre Großmutter sieht das ganz anders. Sie lebt auf der anderen Seite der großen Straße, dort, wo die einfachen Leute wohnen. In der Lower East Side leben die Menschen in Häusern ohne Lift, und sie leben noch mit den Traditionen ihrer Herkunft. Für Sarahs jüdische Oma steht fest: Eine junge Frau kann ohne einen Mann nicht glücklich sein. Ein Mann muß her. Da das schon immer so war, schaltet Oma eine Heiratsvermittlerin ein. Hier beginnen die Verwicklungen. Die beiden Damen präsentieren Sarah einen heiratswilligen Mann von ihrer Seite der Straße. Die reagiert, wie sie reagieren muß, sie sucht sich ihre Partner selbst, wenn sie einen will. Damit wäre die Geschichte zu Ende, wenn nicht die beiden älteren Damen wären. Und wenn Sam, der Auserwählte, nicht wäre, wie er ist: Das Gegenbild zum verblasenen, selbstgefälligen Literaten, dem Sarahs Zuneigung gilt. Sam verkauft Gurken statt Geist, ist intelligent, doch uninteressiert an schickem Kulturgeschwafel, charmant, nicht stromlinienförmig, unbeholfen, nicht raffiniert. Sarah lernt ihn schätzen, doch er gehört zur anderen Seite der Straße.
Im Kampf mit den beiden Realitäten erschweren Oma und Heiratsvermittlerin die Einsicht. Sarah entscheidet sich schließlich doch für Sam als sie erfährt, daß der Schriftsteller sie als Sekretärin mit Beischlafrecht will. Sarah und Sam ist kein Plädoyer für Ehe oder Ehevermittler, wie so mancher schläfrige Filmkritiker fand. Viel zu karikaturistisch sind die beiden alten Damen angelegt, als daß man mit ihren Zielen einverstanden sein könnte, selbst wenn man das wollte. Außerdem: Nach dem Happy -End wird abgeblendet: Der Schluß zeigt uns nur, wie die beiden zusammenkommen und warum. Die Ehe findet im Film nicht statt.
Regisseurin Joan Micklin Silver und ihre Drehbuchautorin haben es auf eine andere Moral abgesehen. Es geht ihnen darum, zwei Welten gegenüberzustellen, und sie nehmen Stellung für die einfachen Leute gegen das Leben in der Oberstadt, gegen die Hohlheit hinter den glänzenden Fassaden. Sicher ist das ein bißchen konstruiert, aber das wird durch die Überzeugungskraft der Hauptdarsteller und den humorvollen Blick der Regisseurin ausgeglichen.
Gunter Göckenjan
Joan Micklin Silver: Sarah und Sam mit Peter Riegert und Amy Irving USA 1988, 97 Min.
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