: Wenn die Nachtschwester mit Boris um die Wette singt...
■ Die Grand-Prix-Ausscheidung aus der Sicht unserer unabhängigen Jury aus Hamburg
Katzenjammer. Eine gepflegte Wasserwelle der Sängerin, ein paar Tanzschrittchen, der Einsatz dreier E-Gitarren und ein flotter Rhythmus, der entfernt an das statistische Mittel europäischer Diskomusik erinnerte - das genügte der jugoslawischen Gruppe „Riva“ am Samstag abend zum Sieg beim europäischen Schlagerfestival „Grand Prix d'Eurovision de la Chanson“. Titel: „Rock me.“ Kein Zweifel - die erlesene Runde von taz-KollegInnen, die sich zum durchaus uneigennützigen Mitfiebern vor dem Fernseher versammelte, litt. Nachher.
Denn so war das schließlich nicht gemeint - ein dreiminütiges HipHop-Konglomerat für adriatische Tanzschuppen. Nein, altmodisch wie wir Freunde der leichten Muse so sind, hofften wir ganz anders. Setzten auf das italienische „Avrei voluto“, sehr lasziv und wunderbar vulgär vorgetragen von der Ilona-Staller-Kopie Anna Oxa und dem Quelle-Katalog-Zuhälter Fausto Leal. Attestierten dem britischen Sänger rüden Charme, der von gewissen Stimmfähigkeiten gestüzt wurde, doch: Warum muß er wie Frankenstein aussehen? Trotzdem: Platz 2. Sahen (Nachtschwester) Ingeborg aus Belgien, die ganz lieb dreinschaute, brav sang („Door de wind“) und sich am Ende trotz schlichten Hosenrock-Ensembles - abgeschlagen auf dem viertletzten Platz wiederfand. Und mochten die Holländerin Justine Pelmelay, weil sie sich eindringlich bemühte, Tina Turner auf europäischen Standard zu trimmen - inklusive Frisur.
Hielten dem türkischen Beitrag („Bana Bana“) zugute, daß er sich wenigstens von den anderen Liedern durch gewisse Schrilligkeit und durch sehr hübsche Koloraturen der Sängerinnen auszeichnete. Fanden Norwegens Britt Synnove Johansen so aufregend wie das Nachtleben zu Oslo und warfen bei Finnlands Beitrag von Anneli Saaristo die Stirn in Falten: spanische Flamenco-Gitarren, finno-ugrische Sangeslaute - sehr eigen, Platz 7. Konnten uns Birthe Kjaer aus Dänemark in ihrem orangenen Cocktailfummel und mit ihrem taktweise an Caterina Valente erinnernden Liedchen („Vimaler byen roed“) als ideale Imbißwirtin an der deutsch-dänischen Grenze vorstellen und sahen einen österreichischen Sängerknaben namens Thomas Forstner, der „Nur ein Lied“ sang. Eben - ansonsten zitierte er zur Untermalung der schwungvollen Akkorde Boris Beckers Kämpfergeste: die geschlossene Faust ruckartig ins vordere Nichts gestochen, um sie hernach umso entschlossener nach unten gleiten zu lassen.
Diese Geste machte ihm der Sänger der Bundesrepublik, Nino de Angelo („Der Flieger“), spielend nach. Kein Wunder: Ex -Rekrut de Angelo hatte den gleichen Liedmacher - „Modern Talking„-Dieter Bohlen. Sein Lied wurde von der internationalen Jury („Bonsoir Vienne, ici Lausanne“) zur Bruchlandung verurteilt - Platz 14. Der Schwede Tommy Nilsson war mit seinen ungekämmten Haaren am schönsten, sang am schönsten („En dag“), hatte den stimm- und soulgewaltigsten Chor und fand sich mit seiner wuchtigen Hymne an das Gute in der Welt am Ende auf Platz 4 wieder. Trotz Bachtrompeten zum Liedfinale und einem Bläsersatz als Entree! Tröstungen? Zwecklos.
Mitleid mit dem Isländer Daniel Al Haraldsson, den selbst ein Konfirmanden-Outfit samt Pagenfrisur nicht davor retten konnte, abgeschlagen und bar aller Punkte auf dem letzten und 22. Platz zu verenden. Und der Kollege Berger trug Trauer - seine spanische Favoritin namens Nina („Hier zählt nur der Gesamteindruck“) schaffte nur Platz 6.
Die Moderation („Audrey Hepburn sieht inzwischen aus wie Pamela Ewing“, O-Ton Thomas Gottschalk) gelang. Mehr nicht. Modisch gab's keine neuen Trends. Die Jackettärmel der Herren sind wieder heruntergekrempelt, lange Abendkleider für die Damen sind nicht mehr angesagt, dafür umso mehr Anklänge an die Ballonröcke aus dem Hause Lacroix. Insgesamt galt: Wasserwelle trägt immer.
Nächsten Mai „Ein Lied für Sarajevo“? Was denn sonst!
Triple&Touch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen