: Unter dem Pflaster liegt die Sehnsucht
■ Ausstellungsmacherin wagt fiktive Vorschau in phantastische U-Bahn-Zukunft / Utopie der „offenen“ Bahnhöfe
Geradezu als Lehrschau für tumbe BVG-Bürokraten eignet sich eine am Montag abend in den Räumen der Umweltverwaltung an der Kreuzberger Lindenstraße eröffnete Ausstellung mit dem Titel „Sehnsüchte & Endstationen der Berliner U-Bahn“. In Form von Fotomontagen, Collagen, erfundenen Zeitungsmeldungen und erläuternden Zwischentexten beschreibt darin die junge Designerin Maria Niemöller manchmal irreal wirkende, auf jeden Fall aber auch ansatzweise mögliche Schritte zur Umgestaltung der öden U-Bahnhöfe im Interesse der Fahrgäste und zu einer Politik hin zu einer autofreien Stadt. Die schon beim Werkbund gezeigten Exponate wurden von der Designerin ursprünglich zum Abschluß eines HdK-Studiums als Diplomarbeit eingereicht.
Der Ausgangspunkt der Utopie: Eine „Bürgerinitiative öffentlicher Nahverkehr“ und ein „Büro für Stadtgestalt“ als eine Art Braintrust für neue Ideen erreichen durch Aktionen und Vorschläge mit Unterstützung der BerlinerInnen, daß die BVG ihr Hausrecht auf den Bahnhöfen an private oder öffentliche Träger oder Gemeinschaften abgibt. Die neuen Mieter, etwa Kleinhändler und Künstler, verpflichten sich, außerhalb ihrer Gewerbeflächen jeweils noch „ein Stück Aufenthalts-Environment“ zu schaffen. Beispielsweise mit diagonal angeordneten Sitzmöbeln, auf das Wartende nicht mehr gezwungen sind, frontal auf dümmliche Werbeplakate zu starren.
Es müssen ja nicht gleich - wie ebenfalls angeregt - rosa Plüschsessel für ein kleines Nickerchen, Hollywoodschaukeln und Springbrunnen her. Der auf Zeichnungen imaginierte „exklusive Bahnhof für Jedermann“ muß Maria Niemöller zufolge jedoch reichlich Ablageflächen für Kaffeetassen oder Bücher bieten. Man sitzt um gläserne Schaukästen herum.
Um die über eine Million Menschen, die die BVG täglich mit der U-Bahn befördert, zu wirklichen „Fahr-Gästen“ zu machen, reicht nach Auffassung der Künstlerin jedenfalls nicht eine oberflächliche Auffrischung der Bahnhöfe mit neuen Wandfarben. Ihr geht es auch nicht kunstborniert um eine dem Zeitgeist angepaßte Ästhetik. Sie schlägt vielmehr eine völlig geänderte „Organisation des U-Bahn-Transports“ vor. Deren Bausteine: Aus dem Zugabfertiger wird ein publikumsgeschulter „Bahnhofskoordinator“, der seinen Bahnhof bewacht, reinigt sowie zugleich Auskünfte erteilt. Alle im Bahnhof befindlichen Kleinbetriebe und Institutionen sind während der gesamten Verkehrszeit geöffnet, mindestens aber in einer Kernzeit von 16 bis 22 Uhr. Jeder Bahnhof müsse folgende Ausstattung haben: Damen- und Herren-WCs, Trinkwasseranschlüsse, einen Telefonapparat mit Sitzgelegenheit, rückzählende Stoppuhren und elektronische Anzeigen, die dem Fahrgast sofort signalisieren, in welcher Zeit der nächste und übernächste Zug zu erwarten ist.
Dürftig klingt nur, was sie für die unter Ost-Berlin liegenden stillgelegten Transitbahnhöfe in petto hat: Damit er wenigstens etwas belebter wirkt, könnten auf dem Bahnhof Rosenthaler Platz auf der Linie 8 Gipsfiguren aufgestellt werden. Angetan von der Ausstellung zeigte sich schon die neue Umweltsenatorin. Die Ausstellung ist bis zum 30. Mai Mo -Fr von 8 bis 18 Uhr in der Umweltverwaltung Lindenstraße 20/25 im Foyer (2. Stock) zu sehen.
Thomas Knauf
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