: „AL mitschuldig an den Krawallen“
■ Scharfe Kritik in Bonner Bundestagsfraktion der Grünen an Berliner Abgeordneter Siggi Friess Sie habe Gewalt verniedlicht / Antje Vollmer fordert „Zivilisierung des staatlichen Gewaltmonopols“
In der gestrigen Debatte der Grünen Bundestagsfraktion über die gewalttätigen Auseinandersetzungen in Berlin wurde die Berliner Abgeordnete Siggi Friess heftig kritisiert. Sie hatte mit 13 anderen AL-Mitgliedern die Ereignisse vom 1.Mai als „großen Erfolg“ bezeichnet und Verständnis für Menschen gezeigt, für die „spontane Riots ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung ist“. Der Abgeordnete Meneses, der in der heutigen, von der CDU beantragten Aktuellen Stunde des Bundestages zum Thema sprechen wird, bezeichnete ihre nachträglichen Erklärungen als „Verniedlichungen“. Siggi Friess behauptete, Gewalt sei nicht von Autonomen ausgegangen, sondern von Jugendlichen und Familien, die „für sich keine Chance sehen“. Wer von revolutionärer Gewalt im Zusammenhang mit Kreuzberg spreche, „verunglimpfe diese Begriffe“, sagte Meneses mit Hinweis auf die Verhältnisse in Ländern wie El Salvador, wo das Volk zur Gewalt gezwungen sei. „Eine führsorgliche Einvernehmung von nackter Gewalt für die Sache der Revolution“, konstatierte auch die Fraktionssprecherin Antje Vollmer bei Erklärungen zum 1.Mai, ohne Siggi Friess direkt zu nennen. Friess‘ Äußerungen nannte sie „hohl und phrasenhaft“. Vollmer mahnte einen „Prozeß zur Zivilisierung des staatlichen Gewaltmonopols“ an, der auch beinhalte, daß sich die Menschen dafür aktiv einsetzten. „Nichts ist kostbarer als der gesellschaftliche Konsens, daß Interessengegensätze friedlich ausgetragen werden“, betonte Otto Schily. Die Abgeordnete Angelika Beer warf dagegen Schily vor, mit der von ihm betriebenen Absage an gemeinsamen Bündnissen mit Autonomen habe er „zur Eskalation von Gewalt beigetragen“. Frau Beer sprach von „schwachsinnigen Distanzierungen“ der AL von den Kreuzberger Ereignissen. Siggi Friess entgegnete, sie lasse sich die Definition von Gewalt nicht vom Staat aufzwingen, sondern wolle diese Diskussion „mit den Leuten selber führen“.
Der Frankfurter Dietrich Wetzel zeigte sich entsetzt über die Formulierung, „politische Planung und Durchführung ist allerdings am Maßstab der effektiven Druckausübung auf den Staat zu messen“. Siggi Friess heilige damit die Mittel zum Zweck. Udo Knapp bezeichnete die Ereignisse als „Terror“, der „durch nichts zu legitimieren ist“. Er verwies darauf, daß es nirgendwo in der Bundesrepublik soviel Reformbereitschaft und selbstverwaltete Strukturen und Projekte gäbe wie in Kreuzberg. Deswegen sei die „Konstruktion von Opfer-Politik völlig falsch“, erklärte Knapp. Mit der Friess-Erklärung werde am „zentralen Postulat grüner Gewaltfreiheit gesägt“, sagte Knapp. Er betonte, die Kreuzberger Gewalt sei nicht spontan von Jugendlichen, sondern von einer „organisierten Struktur“ ausgegangen. Er warf der AL vor, trotz Kenntnis der bevorstehenden Krawalle nicht öffentlich im Vorfeld dagegen aufgetreten zu sein. Damit habe sie sich mitschuldig an den Krawallen gemacht.
Gerd Nowakowski
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