piwik no script img

SPD-Prominenz gegen Memminger Urteil

Das Abtreibungsurteil von Memmingen ist für SPD-Prominente beiderlei Geschlechts ein Anlaß, auf die Selbstbezichtigungsaktion des 'Stern‘ und darauf folgende Verfahren hinzuweisen  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

„Wir sind Betroffene.“ SPD-Politiker und -Politikerinnen aus Fraktion und Parteivorstand zeigten sich gestern ausgesprochen empört, daß die Staatsanwaltschaft gegen sie ermittelt: Sie hatten sich im Januar an der Abtreibungs -Selbstbezichtigungsaktion des 'Stern‘ beteiligt. Die Verfahren laufen schon seit längerem, und „Betroffene“ sind auch andere UnterzeichnerInnen: Doch gestern nahmen die SPD -Prominenten den Memminger Urteilsspruch zum Anlaß, ihrer Empörung vor Kameras und Mikrophonen Bild und Ton zu verleihen. Der Ton war dabei allerdings etwas dissonant: Freimut Duve proklamierte flammend den „Kampf gegen Heuchelei“: „Es ist eine öffentliche Schlacht ausgebrochen um das Thema Abtreibung, und da muß man klar Stellung beziehen.“ Bundestagsabgeordnete Margit Conrad versicherte: „Wir sind nicht gegen Kinder“ und zählte auf, wieviele Sprößlinge die Betroffenen jeweils vorzuweisen hatten. Ihre Kollegin Monika Ganseforth bezeichnete die 'Stern'-Aktion als „Akt der Solidarität“ mit den nicht-prominenten Geschlechtsgenossinnen: „Für die, die sich nicht wehren können, ist es noch schlimmer.“ Dennoch hatte die Empörung über die Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft einen wehleidigen Zug: Daß nun gestern auch noch die 'Bild' -Zeitung fälschlicherweise behauptete, die Immunität der so verfolgten Abgeordneten sei aufgehoben, veranlaßte Peter Conradi, „den Schutz“ von Präsidentin Süßmuth anzurufen.

Unklar blieb dagegen, was die SPD denn tun will, damit „Richter nicht mehr im Leben der Frauen herumgrapschen“ (Duve) und Staatsanwälten schon wegen einer Meinungsäußerung „strafbares Handeln unterstellen“ (Conradi). Daß die 'Stern‘ -Aktion auch plädierte: Dieser Paragraph muß weg - das will man so ganz doch nicht unterschrieben haben. Margit Conrad sagte, der Paragraph müsse geändert werden: Die Frauen brauchten Straffreiheit oder eine weitgefaßte Fristenregelung. Freimut Duve distanzierte sich indirekt: Es gehe nicht um den Paragraphen, sondern um die Stimmung dagegen. Ob sich die SPD-Position, die bisher - trotz einiger anderslautender Landesbeschlüsse - gegen eine ersatzlose Streichung von § 218 steht, nun schrittweise ändert, das wurde gestern als „Nebenfrage“ abgetan. Zumindest die Frauen waren sich nur darin einig, daß der Entwurf des Grundsatzprogramms der Partei geändert werden muß: Dort heißt es in der Sprache der Konservativen: „Werdendes Leben muß geschützt werden.“ Vorstandsfrau Ruth Winkler: „Eine ungeheuer unglückliche Formulierung.“

Schützenhilfe in ihrem Protest gegen das Memminger Urteil kam für die wackeren SPDlerInnen von den in der ÖTV organisierten Richtern. Sie kritisieren, daß durch das Urteil und seine Begründung die Frage der Strafbarkeit allein der nachträglichen juristischen Beurteilung, unabhängig von der ärztlichen Indikation, überlassen sei. Eine Folge davon sei „Verunsicherung und Einschüchterung“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen