: Ungarisches Parlament mit neuen Ministern
■ Über sechs neue Minister wurde in geheimer Abstimmung entschieden / Ministerpräsident Nemeth sprach von schweren Fehlern in der Vergangenheit / Mißtrauensantrag gegen Regierung oder einzelne Minister im Gespräch / Exparteichef Kadar wurde scharf kritisiert
Budapest (dpa) - Das ungarische Parlament hat gestern die Regierung umgebildet und sechs Minister ihres Amtes enthoben. Mit diesen Änderungen werden die Reformmaßnahmen in Ungarn fortgesetzt, die mit der Verabschiedung des ehemaligen Parteichefs Kadar einen Höhepunkt fanden. Nach dem Vorschlag von Ministerpräsident Nemeth wurde der bisherige Staatssekretär im Außenministerium Gyula Horn anstelle von Peter Varkonyi neuer Außenminister. Umbesetzungen fanden auch an der Spitze des Finanzministeriums, des Industrieministeriums, des Landwirtschaftsministeriums und des Kulturministeriums statt. Über die neuen Kandidaten wurde in geheimer Abstimmung entschieden.
In der Parlamentsdebatte sagte Ministerpräsident Nemeth: Schwere Fehler und das Hinterherlaufen hinter Illusionen mit fast fatalen Konsequenzen hätten dafür gesorgt, daß das Land einen riesigen Schuldenberg habe, der die Regierung zwinge, in bestimmten Gebieten Maßnahmen zu ergreifen , die sie sonst nicht ergreifen würde. Einen Teil der Probleme schrieb er dem 1987 von Parteichef Grosz eingeführten Wirtschaftsprogramm zu. Zur Lösung der Probleme wolle er im Juni eine neue Strategie unterbreiten.
Das Parlament wird sich in der vermutlich zwei Tage dauernden Sitzung auch mit einer Änderung der parlamentarischen Geschäftsordnung befassen, die es ermöglichen soll, daß die Regierung oder einzelne Minister Gegenstand eines Mißtrauensantrags sein oder selbst die Vertrauensfrage stellen können. Die Kommunistische Partei wird künftig auf direkte Interventionen bei der Bestellung hoher Staats- und Wirtschaftsfunktionäre verzichten und künftig nur noch mit politischen Mitteln agieren, berichtete die ungarische Nachrichtenagentur 'mti‘ am Mittwoch.
Das Zentralkomitee der USAP hat erneut die Schaffung eines „Koordinationsforums“ mit „allen Organisationen, auch der Opposition, die der Verfassung und dem Vereinsgesetz“ entsprechen, vorgeschlagen. Im Rahmen dieses Forums sollte über die politische Reform in Ungarn diskutiert und über „das genaue Datum der kommenden Wahlen“ beraten werden.
Nur einen Tag nach seinem Ausscheiden aus der ungarischen Parteiführung ist Exparteichef Kadar scharf kritisiert worden. Der Staatssekretär im ungarischen Außenministerium und neue Außenminister Gyula Horn bezeichnete Kadar im ungarischen Fernsehen am Dienstag abend als verantwortlich für die „Stagnation“ der vergangenen 15 Jahre. Seine Rolle während und nach dem ungarischen Aufstand von 1956 sprach Horn mit den Worten an, die „negativen Aspekte der Kadar -Führung“ würden gegenwärtig ans Licht kommen.
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