: UdSSR: Lance II stellt INF-Vertrag in Frage
■ Kwizinskij: Modernisierung wäre „Betrug“ / US-Botschafter Walters gibt sich zuversichtlich: Einigung vor Nato-Gipfel
Berlin (ap/dpa/taz) - In ungewöhnlich scharfer Form hat jetzt der sowjetische Botschafter in Bonn, Jurij Kwizinskij, die deutsch-amerikanische Raketendebatte kommentiert. Die Einführung eines Lance-II-Systems, so Kwizinskij gegenüber dem 'Stern‘, sei für die Sowjetunion keine Modernisierung, sondern die Einführung eines neuen Waffensystems, durch das die Grundlagen des INF-Vertrages zerstört würden. Im Rahmen des INF-Vertrages sei die UdSSR gerade dabei, ihre Raketen, die knapp über 500 Kilometer Reichweite aufweisen, zu zerstören. Wenn jetzt der Westen Systeme stationiere, die gerade mal 40 Kilometer weniger weit reichen würden, sei das „Betrug“.
Auch über die Frage der Kurzstreckenraketen hinaus scheint in Moskau langsam Verbitterung über die US-Politik aufzukommen. Kwizinskij kritisierte, daß US-Außenminister Baker in einer programmatischen Rede kürzlich davon geprochen hat, man werde die UdSSR „weiter testen“. „Schwierigkeiten“, so Kwizinskij, mache doch allein die USA. Sowohl die START-Verhandlungen, als auch die Gespräche über ein Verbot chemischer Waffen, als auch die Reduktion konventioneller Waffen - überall würden die Amerikaner bremsen.
Auch SPD-Chef Vogel sprach gestern von einem Täuschungsmanöver der Bundesregierung in der Raketenfrage. Der Streit mit den USA, so Vogel, solle nur davon ablenken, daß die Bundesregierung tatsächlich längst entschlossen sei, nach den Wahlen 1990 einer neuerlichen Aufrüstung zuzustimmen. Eine Mehrheit in der Union sei nicht nur gegen eine neue Null-Lösung, sondern wolle selbstverständlich auch stationieren. Nach Ansicht Vogels müsse sich vor allem Genscher überlegen, ob er seine Politik in dieser Koalition noch länger durchhalten könne. Schließlich werde Genscher fast täglich aus Koalitionskreisen angegriffen.
Vogel bezog sich dabei offenbar vor allem auf eine Debatte innerhalb der CSU, in deren Verlauf Genscher Anfang der Woche heftig kritisiert worden war. Ihm wurde „Großmannssucht“ gegenüber den Amerikanern und „Kraftmeierei“ innerhalb der Nato vorgeworfen. Die CSU forderte Klarheit darüber, daß die Bundesregierung keinesfalls an eine dritte Null-Lösung denke.
Wesentlich gelassener war gestern der neue US-Botschafter in Bonn bei seinem Antrittsbesuch in Berlin. Vernon Walters gab sich ganz zuversichtlich, daß es noch vor dem Nato -Gipfel Ende dieses Monats eine Einigung geben werde, denn schließlich wolle man „während des Gipfels feiern und nicht streiten“. Laut Walters habe die Nato schon ganz andere Krisen hinter sich gebracht, gegen die die jetzige Debatte „ziemlich harmlos“ sei.
JG
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