: Veba-Kröte im Schlund der Atommafia
■ Auf der „Jahrestagung Kerntechnik“ hatten die Atomiker an Wackersdorf schwer zu schlucken / Von G.Rosenkranz
Sie sind schon Pechvögel, die bundesdeutschen Kerntechniker. Immer wenn sie sich zu einem ihrer Kirchentage treffen, geht etwas schief. Vor der letzten Tagung platzte der Biblis -Störfall, zuvor vermasselte Hanaus Uran-Gate die Stimmung, zuvor Tschernobyl und diesmal Wackersdorf. Die Hauptfigur indes glänzte durch Abwesenheit. Veba-Chef Bennigsen-Foerder wußte, warum er einen Bogen um das Düsseldorfer Messe -Zentrum machte.
Der Anruf erreichte den Pressereferenten des „Deutschen Atomforums“ am Nachmittag des 17. April. Er möge sich doch mal in Richtung Bundespressekonferenz in Bewegung setzen, beschied der gewöhnlich gutunterrichtete Herr aus der Atomlobby am anderen Ende der Leitung. Noch -Regierungssprecher Friedhelm Ost habe dort ausgesprochen Interessantes zu vermelden. Genaueres dürfe er nicht sagen. Nur widerwillig machte sich der Mann aus der Propaganda -Zentrale der bundesdeutschen Atomwirtschaft auf den Weg, denn auf der Tagesordnung stand nicht Atompolitik sondern der Hungerstreik der RAF-Gefangenen. Und so war es auch. Kein Wort zum Thema Atom kam über Osts Lippen. Etwas verstört kehrte der Abgesandte an seinen Arbeitsplatz zurück, wo zehn Minuten später die Drähte heißliefen. Ost hatte unmittelbar nach der Pressekonferenz quasi im Vorbeigehen eine schnöde Mitteilung auf einem Pressetisch hinterlassen, in der der sensationelle Veba-Cogema-Coup annonciert wurde.
Der Vorgang ist symptomatisch für die Art und Weise, wie Bundesregierung und Veba dem Rest der Gemeinde die 180-Grad -Kehrtwende der bundesdeutschen Atompolitik unterjubelten. Die Propaganda-Abteilung des Atomforums war ebensowenig informiert, wie die am Bau der WAA Wackersdorf unmittelbar oder mittelbar Beteiligten oder der Bonner Wirtschafts- oder Reaktorminister. Und so war bei der diesjährigen „Jahrestagung Kerntechnik“ allenfalls die Tiefe des Risses überraschend, der Stromkonzerne und Kerntechnik-Unternehmen trennt. Der bestgehaßte Mann der Branche ist bis auf weiteres Rudolf von Bennigsen-Foerder, der das Geschäft seit Herbst vergangenen Jahres eingefädelt hatte. „Veba-Chef verrät deutsche Interessen“ tönt in einem während der Tagung verbreiteten Flugblatt der „Aktionskreis Energie“, einzige Pro-Atom-BI der Republik. Jahrelang habe man sich „gegen politische Widerstände und Chaoten für die preiswerte, sichere und umweltfreundliche Kernenergie geschlagen“. Und nun dieser „ausschließlich von Wirtschaftsinteressen diktierte Anschlag auf das deutsche Entsorgungskonzept“. Von einem „erneuten schweren Schlag für Deutschland“ ist da die Rede und selbstredend wird Bennigsen-Foerders Kopf gefordert. Das Flugblatt der „Bürger für Energie“ wird im Düsseldorfer Messe-Zentrum zwar belächelt, weil sich die große Mehrheit der höheren Herren längst mit den Realitäten, sprich dem Ausstieg aus Wackersdorf, arrangiert haben; aber die Meinung der meisten Kongreßteilnehmer gibt es exakt wieder.
So traten am Ende der Tagung der neugewählte Präsident des „Deutschen Atomforums“, Interatom-Chef Claus Berke und insbesondere der ebenfalls neue Vorsitzende der Kerntechnischen Gesellschaft, Walter Weinländer - er ist Vorstandsmitglied beim (bisherigen) WAA-Errichter DWK ausgesprochen zerknirscht vor die Presse. Weinländer sprach von einer „großen Enttäuschung“ bei allen mit dem Mammutprojekt in Wackersdorf Beschäftigten. Die „Wahrscheinlichkeit deutet hochgradig auf eine Entwicklung hin“, meinte der DWK-Vorständler, an deren Ende der Verzicht auf Wackersdorf steht. Eine klare Absage erteilte Weinländer der Idee des „Sowohl, als auch“, also dem „Zwei-Säulen -Modell“, das Helmut Kohl und Fran?ois Mitterand aus dem Hut gezaubert hatten. Spannend an der Pressekonferenz war allenfalls die Bestätigung, daß andere bundesdeutsche AKW -Betreiber gegenwärtig auch mit den Engländern über eine Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente in Sellafield verhandeln. Dies sei „ein Indiz“, meinte Berke, daß auch in der Stromwirtschaft über das Vorgehen der Veba „nicht vollkommene Einigkeit“ bestehe. Das offenbar gezielt rausgeblasene „Eingeständnis“ der Sellafield-Verhandlungen könnte jedoch auch einen andern Grund haben. Teile der Gemeinde möchten offenbar mit den Franzosen nachverhandeln, und da ist eine weitere Option natürlich immer von Nutzen.
In diese Richtung hatte auch DWK-Vorstand Wolfgang Straßburg (s.Interview) in seinem Referat Andeutungen gemacht. „Die Realisierung des französischen Angebots - und zwar unverändert zum bisherigen Vorschlag - schließt eine deutsche WAA aus“, meinte Straßburg, um sich sogleich für eine „Modifikation“ des Vertrags stark zu machen. Ziel der Nachverhandlungen: weniger Durchsatz als die angestrebten 400 Tonnen pro Jahr in La Hague (mit der Möglichkeit, Wackersdorf weiter zu verfolgen) und ein Austausch des designierten Cogema-Partners Veba gegen - die DWK. Überlebenstraining im Angesicht des Untergangs nennt man das, was Straßburg unter langanhaltendem Beifall des Publikums vorschlug.
Straßburg war übrigens kurzfristig als Ersatzmann eingesprungen. Nach Bekanntwerden der Veba-Flucht aus Wackersdorf hatte sich einer der Referenten „von seinen Pflichten entbinden“ lassen. SPD-Gemeinderat Politzka stand für seinen Vortrag „Die Diskussion um die WAA aus der Sicht eines Kommunalpolitikers“ nicht mehr zur Verfügung. „Mein Vortrag ist gestanden“, meinte Politzka einsilbig am Telefon. Er verspüre keine Lust, ihn umzuschreiben.
Neben dem dominierenden Thema „Wackersdorf“ beschäftigte sich die Atomgemeinde wie schon seit Jahren mit der „Durststrecke“, die vor ihr liegt, und den fetten Jahren, die auf die mageren irgendwann, irgendwie folgen müssen. Hoffnungen werden nach wie vor auf jene „fortgeschrittene Reaktorlinie“ gesetzt, die gerade in diesen Tagen nicht besonders gut dasteht: die Hochtemperaturreaktoren. Da werden 10-Megawatt-Modelle geplant und angeboten, mittlere Modul-Reaktoren mit 100 oder 200 Megawatt Leistung und sogar immer noch das THTR-Nachfolgemodell (ohne Thorium im Brennstoff) - all das existiert aber noch nicht mal in Form von Blaupausen. Es gibt keine Interessenten im Inland, und auf dem Weg in die Sowjetunion und nach China müssen noch viele Steine aus dem Weg geräumt werden, auch wenn entsprechende Vorverträge oder Absichtserklärungen während der Tagung als Silberstreif am Horizont gefeiert wurden.
Auch die Klagen über die - selbstredend unbegründete mangelnde Akzeptanz der Atomenergie in der Bundesrepublik gehören seit Jahren zum Standardrepertoire einer jeden Jahrestagung. Für den stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden des Bayernwerks, Jochen Holzer, ist der Sturm, der der Branche entgegenweht, Ausdruck einer allgemeinen Technikfeindlichkeit, ausgelöst durch die „zunehmende Sattheit“ der Wohlstandskinder. Schuld daran sind die Medien, die Zerrissenheit der Politik und die Schulen, die unsere Kinder zu „Mutlosigkeit und letztlich Gleichgültigkeit und Tatenlosigkeit erziehen“. Alle Hoffnungen für die Zukunft der Atomenergie ruhen für Holzer auf den schmerzhaften und tiefen Einschnitten, die die künftige Umweltdiskussion schon mit sich bringen werde. Eine explodierende Weltbevölkerung, das Klimaproblem und die Endlichkeit der fossilen Ressourcen, darüber hinaus die Konsequenzen des europäischen Binnenmarktes werden „uns Deutsche wieder zu mehr Realitätsnähe zwingen“, prognostiziert Holzer.
„Die Flutwelle naht, und wir streiten darüber, ob das Boot aus Eichen- oder Fichtenholz gezimmert wird“, droht der bayerische Stromer - vielleicht sollten wir über den Antrieb streiten: Wind oder Atomkraft?
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