: „Wilde Wutz“ will nicht weichen
■ Per Anhörung wollte Hilde Schramm, Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses, gestern den Streit um die besetzten Häuser am Einsteinufer/Ecke Marchstraße schlichten / Wissenschaftssenatorin ist für das Besetzerprojekt, weist jedoch jegliche Verantwortung zur Lösung des Konflikts von sich
„Mir kommt das so vor, als sitzen wir hier in einem manövrierunfähigen Flugzeug und stellen uns die Landung vor.“ Nicht auf einer Vollversammlung deutscher Fluglotsen fielen solch weise Worte, sondern sie waren aus dem Mund des Professors für Denkmalpflege Johannes Heinisch zu hören. Inmitten einer Runde von Hausbesetzern, Politikern und Wissenschaftlern der TU brachte er so auf den Punkt, was die Diskussion um ein gemeinsames Problem ausmachte: die Sorge um die besetzten Häuser am Charlottenburger Einsteinufer/Ecke Marchstraße.
Niemand Geringeres als die stellvertretende Parlamentspräsidentin Hilde Schramm, die gleichzeitig auch hochschulpolitische Sprecherin der AL ist, hatte gestern morgen zu einer Anhörung ins Rathaus Schöneberg geladen, um am runden Tisch den Querelen um besagtes Gelände den Garaus zu machen. Der Einladung gefolgt waren die Besetzer, TU -Vizepräsident Ulrich Steinmüller, der Leiter des Conrad -Zuse-Instituts Peter Deuflhard sowie Bezirksbürgermeisterin Monika Wissel. Außerdem hatten sich Vertreter verschiedener TU-Institute und der Vorsitzende des Martinswerks Karcher zur Diskussion eingefunden. Wissenschaftssenatorin Barbara Riedmüller-Seel stieß mit einer Stunde Verspätung zu der Verhandlungsrunde.
Sechs Wochen ist es her, daß die „Wilde Wutz“, so der Name der Besetzer, ihre Zelte auf dem Gelände am Spreebogen aufschlugen, um einen Abriß der halb verfallenen Häuser zu verhindern. Zwar wurden sie bislang von einer Räumung verschont, doch der Geist des Conrad-Zuse-Instituts für Methodenforschung, das auf dem Gelände gebaut werden soll, spukt nachhaltig in den Köpfen von Besetzern und Politikern des neuen Senats, welcher die Erhaltung der Häuser befürwortet. Nicht zuletzt haben auch diverse TU-Institute Interesse an dem „Bauland in spe“ bekundet.
Die BesetzerInnen haben für „ihre“ Häuser schon seit längerem ein Nutzungskonzept erstellt, das „den Erhalt der Gebäude vorsieht“. Das wird ein „Experimentalprojekt“, erklärte einer der BesetzerInnen bei der Anhörung. Neben Wohnungen wollten sie auch Werkstätten, eine Volksküche sowie ein Frauencafe und eine feministische Bibliothek einrichten.
Per Blockheizkraftwerk und Solaranlage solle dem Ganzen eine ökologisch und sozial verträgliche Linie gegeben werden.
„Klar ist auch, daß dies nicht nur eine Sache für und von StudentInnen ist“, so der Besetzer. Unterstützung organisatorischer Art könne das Martinswerk dem Projekt beisteuern, so der Martinswerk-Vertreter Karcher, dessen Organisation auch bei der Selbstverwaltung anderer besetzter Häuser in der Nostiz- und Manteuffelstraße mitmischt. Dazu TU-Vizepäsident Steinmüller: „Dem Projekt stehe ich sehr positiv gegenüber, aber als Vertreter der Universität muß ich auch an die Institute denken.“ Die Fachbereiche Architektur und Informatik würden langsam aus allen Nähten platzen und bräuchten dringend mehr Raum. Ähnlich formulierte auch Deuflhard vom Conrad-Zuse-Institut sein Anrecht auf das Gelände. Sollte ein Alternativstandort für den Bau des Forschungszentrums gefunden werden, habe er nichts gegen das Projekt der Besetzer einzuwenden.
An die Wissenschaftssenatorin gerichtet, erklärte er: „Sollte uns das Gelände vorenthalten bleiben, ohne daß schnellstens ein Ausweichquartier genannt wird, dann bedeutet dies das Aus für das Projekt. Sie tragen dann dafür die Verantwortung!“
Verantwortung mochte Riedmüller-Seel jedoch ohnehin nur ungern auf sich nehmen. Von Anfang an sei es in der Koalition abgemacht gewesen, das Projekt der Besetzer zu unterstützen. Bezüglich des Conrad-Zuse-Instituts bestünden jedoch Schwierigkeiten, einen Alternativstandort zu finden. Auch liege es nicht in ihrer Kompetenz, allein eine Lösung im Gerangel um das Gebiet zu nennen. Die Verhandlungen mit dem Eigentümer sei Sache des Finanzsenats, die Änderung des Bebauungsplans müsse der Bausenat in Angriff nehmen. „Die studentischen Wohnungen sind eine Querschnittsaufgabe“, zog sich Riedmüller-Seel aus der Affäre.
Großer Protest von seiten der BesetzerInnen: „Sie können doch nicht immer Entscheidungen auf andere Verwaltungen abwälzen! So kommen wir doch nie zu einem Ergebnis“, empörte sich eine der Betroffenen. Anscheinend habe sich die Wissenschaftsenatorin zu wenig mit der Thematik auseinandergesetzt. Riedmüller-Seel zu den Anschuldigungen: „Es gibt nun mal erhebliche Schwierigkeiten in Eigentums und Baufragen. Ich kann doch nicht zaubern!“ (ach, auf einmal. sezza)
cb
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