: „Schlimm wäre eine Oligarchie“
■ Europäisierung der Fusionskontrolle: „Sein oder Nichtsein unserer Wettbewerbspolitik“ / „Fusionsgenehmigungs-Verschleierungsaktion“
Teil 15: Dietmar Bartz und Ulli Kulke sprachen mit dem Präsidenten des Bundeskartellamtes, Prof. Dr. Wolfgang Kartte
taz: Herr Professor Dr. Kartte, treten Sie zurück, wenn Wirtschaftsminister Haussmann mit einer Ministererlaubnis Ihre Untersagungsverfügung in Sachen Daimler-Benz/MBB vom Tisch wischt?
Kartte: Ich bin ja kein politischer Beamter, sondern ein ganz normaler Behördenchef, und kann als solcher gar nicht zurücktreten. Ich könnte mich zufällig, weil ich im Juni 62 Jahre alt werde, vorzeitig in den Ruhestand versetzen lassen - theoretisch wohlgemerkt.
Sie könnten immerhin um Entlassung bitten.
Das kann ich mir nicht leisten. Aber Ihre Frage zielt wohl darauf ab, ob ich dann resigniert bin. Wir sind aber erst am Anfang des Verfahrens. Der Antrag auf Ministererlaubnis ist ja gerade erst eingegangen. Und der Minister soll - nicht muß - innerhalb von vier Monaten entscheiden. Davor muß die Monopolkommission noch ihr Gutachten abgeben.
Der Chef dieser Kommission hat ja angedeutet, bei einer Ministererlaubnis zurücktreten zu wollen.
Immenga hat sich ja über das Verfahren beklagt, daß Staatssekretär Riedl und der frühere Bundeswirtschaftsminister Bangemann schon im vorhinein gesagt haben, die Ministererlaubnis wird erteilt. Bangemann redet ja immer noch in diese Richtung.
Das Positive an diesem Fall ist doch, daß jetzt über die Ministererlaubnis und über die Fragen von Macht und Markt öffentlich diskutiert wird. Darum kämpfe ich seit Jahren vergeblich. Wir haben die Parlamentarier oder die politische Welt nie dazu bekommen. Angesichts der Diskussion heute kann ich Ihnen ganz ehrlich nicht sagen, wie der Fall ausgeht.
Ihre Arbeit ist doch aber jetzt beendet. Warum haben Sie sich selbst und Ihrem Pressesprecher einen Urlaubsverzicht auferlegt?
Ach wissen Sie, wenn ich jetzt meinen Minister fragen würde, der würde sicher sagen, machen Sie ruhig Urlaub. Aber uns interessiert der Vorgang viel zu sehr. Im August gehe ich jedenfalls keinen Schritt aus dem Amt.
Sehen Sie eigentlich Unterschiede zwischen Herrn Haussmann und seinem Vorgänger Bangemann in der Frage Daimler-MBB?
Aus Gründen, die ich bis heute nicht nachvollziehen kann, hatten Minister Bangemann und ich kein besonders herzliches Verhältnis. Herrn Haussmann kenne ich lange, schon seit seinem Anfang in der Bonner Politik Anfang der 70er Jahre, als ich im Bundeswirtschaftsministerium arbeitete. Als er Minister wurde, habe ich seit längerem mal wieder das Ministerzimmer von innen gesehen.
Viele erwarten ja, daß eine Erlaubis mit harten Auflagen erteilt wird, damit Haussmann die Initiative von Bangemann nicht vollends umkehren muß.
Es ist natürlich schwierig für den Minister, der ja in einer gewissen Kontinuität steht. Edzard Reuter hat ja wie Streibl und Tandler, die für die bayrische Beteiligung an MBB sprechen, erklärt, Auflagen würden nicht akzeptiert. Wenn Ihre angeführten Erwartungen zutreffen - wahrscheinlich macht man sich in Bonn auch Gedanken über ein „Ja, aber“ dann ist es ja möglich, daß alles so herum platzt. Keine Angebote
Können Sie sich Auflagen vorstellen, bei deren Einlösung Ihre Untersagungsverfügung gegenstandslos würde?
Auflagen in der Fusionskontrolle heißt ja nicht, daß Verhaltenszusagen erwartet werden - etwa ein Versprechen, daß Daimler demnächst immer schön nett ist zu den mittelständischen Zulieferern. Auflagen im Sinne des Gesetzes sind struktureller Art. In diesem Fall hieße das, Unternehmensteile abzutrennen, und zwar so viele, daß die von uns festgestellten Wettbewerbsbeschränkungen im Rüstungsbereich und anderswo beseitigt würden.
Wenn die Fusionspartner uns entsprechende Angebote gemacht hätten, so hätte das Amt diese in ihre Entscheidungsfindung mit einbezogen. Aber Daimler hatte nichts anzubieten taktisch verständlich, denn so etwas hebt man sich für die letzte Instanz auf. Auch die Länder als Teilhaber würden bei Auflagen ja wohl nicht mitmachen. Das ganze feingesponnene Netz mit Arbeitsplätzen über die Regionen verteilt, beruht ja darauf, daß alles zusammenbleibt.
Aber vor allem will ja wohl Daimler nicht den Zuschußbetrieb Airbus übernehmen und die lukrativen Rüstungsbereiche außen vor lassen.
Wenn man den Airbus weiter subventionieren will, mag das ja angehen zur Erhaltung einer europäischen Flugzeugindustrie, wie auch bei der Kohle. Aber manche meinen offenbar, das den Leuten nicht verkaufen zu können. Deshalb macht man in beiden Fällen den Fehler, private Unternehmen einzuschalten. Bei der Kohle die Elektrizitätswirtschaft ...
... beziehungsweise den Stromverbraucher ...
... über den Kohlepfennig, jawohl, aber es wird gemanagt über die Elektrizitätswirtschaft. So ist es auch beim Airbus. Weil manche meinen, die Subventionen nicht direkt bezahlen zu können, nimmt man ein privates Unternehmen und sagt, ich gebe Dir ein Rüstungsmonopol, damit kannst Du soviel Geld machen, daß Du die Subventionen bezahlen kannst.
Die Untersagungsverfügung ist ja nun sehr lang. Wir haben den Eindruck, daß Sie sich darin sehr wohl auch über das gesamtwirtschaftliche Für und Wider Gedanken gemacht haben. Staatssekretär Riedl hatte ja auch indirekt angedeutet, daß dies nicht Ihre Aufgabe gewesen sei. Dies sei doch schließlich das Kriterium, nach dem der Minister seine Entscheidung ausrichten müßte - über den nationalen Wettbewerb hinaus. Wollten Sie ihm dieses Schlupfloch bewußt verbauen?
Wir müssen uns nach unserem Auftrag aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen richten, und darin heißt es, daß nicht nur der Minister eine Abwägung vornehmen muß, sondern auch wir. Und zwar auf wettbewerblichem Gebiet, zwischen den Nachteilen etwa auf dem Rüstungssektor und den wettbewerblichen Vorteilen bei der Erhaltung des Airbus.
Uns stellte sich also die Frage: Ist dieser Rüstungszusammenschluß nötig, um den Airbus zu retten? Und da sagten wir zum Schluß: Nein. Wir haben das in diesem Fall natürlich besonders sorgfältig geprüft, sind aber keinesfalls mit einer vorgefaßten Meinung an die Sache herangegangen. Uns hat natürlich besonders beeindruckt, was da an Rüstungsaufträgen auf die Schreibtische von Daimler kommt.
Gehen wir einmal von Bonn nach Brüssel. Kurz nach Amtsantritt von Herrn Haussmann hat die EG-Kommission einen Vorschlag zur EG-Fusionskontrolle vorgelegt, der extrem niedrige Aufgreifschwellen vorsah. Haben Sie da nicht das Gefühl gehabt, Sie müssen aufpassen, daß Ihnen nicht da alle Kompetenzen weggenommen werden?
Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir bei der europäischen Fusionskontrolle eine Probierphase einlegen könnten, um mit einem zeitweiligen Nebeneinander von nationalem und EG-Recht Erfahrungen zu sammeln. Im Harmonisierungsrausch soll das jetzt bis zum Ende des Jahres beschlossen werden. Unter diesem Gesichtspunkt, daß das übers Knie gebrochen wird, bin ich natürlich dafür, daß wir im Moment möglichst wenig abgeben.
Sie sind aber auch erst sehr spät gefragt worden...
Bonn braucht uns überhaupt nicht zu fragen. Für eine hohe Aufgreifschwelle sind wir nicht aus purem Ressort-Egoismus, weil wir etwa meinen, die Europäer sollten nichts kriegen. Viel wichtiger ist die Frage, nach welchen Kriterien die Fusionskontrolle gehandhabt wird, oder andersrum: Wenn die Kommission in Brüssel solche Kriterien hätte wie wir, die auch mal eine Diskussion wie bei Daimler-Benz/MBB ermöglichen würde, dann würde ich denen alles geben. Wir brauchen, wenn wir Europa bauen wollen, auch eine europäische Fusionskontrolle. Aber wir fürchten, daß das ganze eine Fusionsgenehmigungs-Verschleierungsaktion wird.
Man muß auch die Probleme der Kommission sehen. Die kleinen Mitgliedsstaaten wollen natürlich niedrige Grenzen, weil sie teilweise keine eigenen Fusionskontrollen haben. Die großen Länder, die eine Fusionskontrolle haben, wie die Briten, die Franzosen, wie wir, wir sagen natürlich, möglichst viel selbermachen und hohe Schwellen. Die Folge ist natürlich auch, daß bei hohen Eingreifkriterien ganze Länder und Branchen ohne Fusionskontrolle bleiben, etwa in Portugal und Griechenland. Der Gegensatz besteht zwischen großen Industrieländern und manchen kleinen.
Aber auch die großen Länder sind zerstritten. Es gibt eine Nordachse Bonn-London, die den Wettbewerb auf ihre Fahnen geschrieben hat, und eine Südachse Paris-Rom, die Industriepolitik verfolgt. Egal, wie die Debatte um die Aufgreifschwellen ausgeht - Sie werden sich bei der zukünftigen EG-Fusionskontrolle auf jeden Fall auf mehr Industriepolitik einstellen müssen.
Es geht ja nicht, daß wir in Europa für die großen Unternehmen eine schwache Fusionskontrolle haben und in der Bundesrepublik eine starke für die kleinen. Wir können nicht auf den Bäckern und Fleischern rumhacken nach einem nationalen Fusionskontrollrecht, und die großen gehen nach Brüssel. Das heißt, welche Kriterien in Brüssel auch immer entschieden werden, es wird bestenfalls eine Mischung zwischen Wettbewerbs- und Industriepolitik geben, mit dem Ergebnis, daß kaum etwas untersagt wird. Das wird dann zwangsläufig auch die Leitlinie für die nationale Fusionskontrolle.
Letztlich geht es um Sein oder Nichtsein unserer Wettbewerbspolitik überhaupt. Da muß auch der Bundestag ein Wort mitreden.
Sie sind da nicht sehr optimistisch.
Das ist ganz richtig. Wenn auf der einen Seite gesagt wird, es muß jetzt geschehen, dann sage ich, warum machen wir keine Übergangszeit von fünf Jahren, wo nationales und EG -Kartellrecht sich zusammenraufen? Jetzt aber will die Kommission, anders als bei den Kartellen, bei den Fusionen Exklusivität. Ein bestimmter Bereich von Großfusionen soll ausschließlich von ihr behandelt werden.
Fürchten Sie, daß Bonn zustimmt, daß auch Großfusionen, die nicht grenzüberschreitend sind, in Brüssel verhandelt werden?
Ja. Denn Brüssel hat - bisher unangefochten - den Vorschlag gemacht, daß es um die Frage geht, wo diese Unternehmen ihren Hauptumsatz innerhalb der EG machen. Wenn sie den Hauptumsatz in ihrem Heimatland machen, soll es ein nationaler Fall bleiben. Wenn es aber stark exportorientierte Multis sind - und das sind die interessanten Fälle -, dann marschieren sie nach Brüssel.
Wir müssen dann verlangen, daß unsere Fusionskontrolle aufgehoben oder angeglichen wird. Ein Zweiklassensystem wäre für die kleineren Unternehmen nicht erträglich.
Heißt das, daß Sie im Sinn dieser Art von Harmonisierung auch einen Schuß Industriepolitik im Kartellrecht zulassen wollen?
Wenn es so ist, daß die Politker die EG-Fusionskontrolle unbedingt so verabschieden wollen, und das es zwangsläufig so kommt, daß wir uns auf einen Mittelweg zwischen Wettbewerb und Industriepolitik verständigen müssen, dann kommt diese Konsequenz. Ich liebe sie ja nicht.
Ist das nicht ohnehin eine Konsequenz, die dem Binnenmarkt innewohnt? Konzentrationsbewegungen liegen doch im Wesen der EG.
Es geht ja immer nur um die marktbeherrschenden Zusammenschlüsse.
Aber im Cecchini-Bericht ist doch beschrieben, wie wenig Hersteller in den Teilmärkten noch übrig bleiben werden. Herr Cecchini träumt doch von der Oligopolisierung!
Da frage ich Sie, wie stellen Sie sich eigentlich die Kontrolle dieser Unternehmen vor?
Das fragen wir Sie.
Ich frage ja auch dauernd. Kann dieses Volk wollen, daß wir auf den jeweiligen Märkten ein, zwei Konzernen ausgeliefert sind? Das ist doch Wahnwitz!
Das ist doch nicht nur eine Frage der Fusionen, die sind ja nur Symptom. Dann müßten Sie doch eher ein Moratorium für den Binnenmarkt insgesamt vertreten.
Nein, wir akzeptieren, daß wir größere Märkte bekommen. Dafür bin ich. Wenn aber auf diesen größeren Märkten konzentriert wird, dann müssen wir die Frage stellen, ob das den Wettbewerb ruiniert. Es mag in vielen Bereichen gar nicht zu Untersagungen kommen, weil auf den größeren Märkten mehr Platz ist. Aber es gibt doch Märkte, die sind schon oligopolisiert. Da haben wir den Zusammenschlüssen zugestimmt, weil es ja auch noch Japaner und Amerikaner gibt. Aber wir müssen auch die Festung Europa in Betracht ziehen, mit der stärkeren Abschottung.
Glauben Sie eigentlich, daß irgendjemand im EG-Europa der Bundesregierung überhaupt abnimmt, daß sie eine Wettbewerbspolitik betreiben will?
Das ist auch ein Problem. Aber es ist ein erheblicher qualitativer Unterschied, ob ich ein Wettbewerbskonzept fahre mit Sündenfällen, oder ob ich von vorneherein einen Freifahrschein für Politiker ins Gesetz schreibe, die sich da als Industriepolitiker aufspielen und Konzerne zusammenbasteln wollen. Auf dieser Schiene werden wir Wachstumsverluste haben. Wo ist denn dann die Effizienz noch? Ich verlange doch nichts anderes, als das wir das diskutieren.
Warum ist denn das Interesse so gering?
Das Parlament ersäuft in Tagespolitik. Bei Daimler/MBB ist das anders, weil aus den Landesverbänden was kommt. Aber gegen die EG-Fusionskontrolle kriegen Sie niemanden auf die Barrikade. Wenn wir ein Fusionskontrollkonzept in Europa beschließen, daß eine Abkehr bringt von der marktwirtschaftlichen Linie hin zu mehr Industriepolitik, dann wird das gleichzeitig die Leitlinie werden für die Wirtschaftspolitik in Europa überhaupt. In Brüssel werden wir vorläufig kein Parlament mit wirklichen Kompetenzen bekommen. Wir kriegen dann nur freie Fahrt für die großen Konzerne. Die mögen uns gut regieren, aber ich bin dagegen. Ich lasse mich lieber von demokratisch legitimierten Politikern regieren, die man notfalls auch abwählen kann.
Wenn die Ministererlaubnis für Daimler/MBB käme, sähen Sie das als nationale Vorwegnahme dessen an, was dann aus Brüssel wöchentlich zu erwarten ist?
Lassen wir doch den Minister in Ruhe entscheiden. Schlimm wäre es, wenn wir Europa einer Oligarchie der Konzerne auslieferten.
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