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Betriebsblind-betr.: "Mafiose Strukturen bald europaweit?", taz vom 11.5.89

betr.: „Mafiose Strukturen bald europaweit?“,

taz vom 11.5.89

Werner Raith, dessen Italien-Artikel ich sonst sehr schätze, scheint mir ein wenig betriebsblind geworden. Sonst hätte es wohl kaum geschehen können, daß er alle Erfahrungen, die wir in den letzten 15 Jahren mit der ständigen Verschärfung der staatlichen Zugriffsmöglichkeiten (StGB, StPO, Polizeirecht, Ausbau von Geheimdiensten und elektronischen Überwachungen etc.) gemacht haben, als eine Art linker Paranoia darstellt.

Wenn man „mit den herkömmlichen Instrumenten“ gegen die organisierte Kriminalität nichts ausrichtet, so liegt es mit Sicherheit nicht daran, daß „neben dem § 129 nur der Hehlereiparagraph und das BtmG zur Verfügung stehen“, wie Raith meint. Er vergißt dabei zu erwähnen, daß erst der Glaube, man könne mit der umfassenden Kriminalisierung von Drogenbesitz und -Konsum die Drogenabhängigkeit bekämpfen, eine konstitutionelle Voraussetzung für das Entstehen von organisierter Kriminalität auf diesem Sektor geschaffen worden ist. Erreicht worden ist durch die massenhafte Strafverfolgung und den Ausbau des Ermittlungsapparats auf diesem Gebiet im wesentlichen, daß die Preise stiegen und damit die zu erzielenden Gewinne.

Nicht anders steht es mit der angeblich fehlenden „hinreichenden Definition“ von organisierter Kriminalität. So, wie Raith sie definiert, fällt jedes zweite Großunternehmen unter den Begriff einer „Vereinigung mafiosen Typs“. Und genau, weil das so ist, wird es auch nicht viel nützen, den weiteren Ausbau des staatlichen Machtapparates zu propagieren.

Deshalb fällt es auch nicht schwer, vorauszusagen, gegen wen die geforderten schärferen Gesetze tatsächlich angewendet werden.

Wenn die beim Strafverteidigertag versammelten Rechtsanwälte das Postulat von der Notwendigkeit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität im wesentlichen für einen Vorwand halten, so wollen sie damit nicht leugnen, daß es so etwas wirklich gibt, sondern sie artikulieren ihren auf Erfahrung gegründeten Zweifel, ob ausgerechnet bei diesem gesellschaftlichen Phänomen schärfere Gesetz etwas nutzen sollen.

Hartmut Wächtler, Rechtsanwalt, München

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