: Fünf Jahre Alfonsin - und jetzt?
■ Argentinien - ein schwaches Glied des Weltkapitalismus
Viele Länder haben eine Vergangenheit, die schwer auf ihnen lastet. In der Sowjetunion wird sie heute eindrucksvoll aufgearbeitet; in der Bundesrepublik bisher erfolgreich verdrängt. In Argentinien dagegen scheint die Geschichte unaufgearbeitet und unverdrängbar zu sein, also jederzeit in die Gegenwart einbrechen zu können. Dabei sah es zeitweilig so aus, als ob unter Alfonsin der Aufbruch gelingen könnte: Der Peronismus hatte die erste Niederlage in freien Wahlen erlitten, zum ersten Mal wurden Militärs vor Gericht gebracht, die Linke schien es ernst zu meinen mit ihrem Kampf für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit; sogar die Inflation konnte erheblich reduziert werden.
Aber dann kam Ostern 1987, die erste spektakuläre Militärrebellion, zwei weitere folgten. Der Präsident zeigte sich schwach und gab nach: Angeklagte, sogar schon verurteilte Folterer und Mörder, wurden amnestiert. Mit um so größerer Stärke hielt Alfonsin an seinem Wirtschaftsprogramm fest, die Auslandsschulden auch um den Preis einer Verelendung der Bevölkerung zurückzuzahlen. Das Vertrauen, das Alfonsin in dieser Bevölkerung genossen hatte, schwand dahin. Die Vergangenheit holte ihn ein. Der Peronismus kehrte nicht mit einem reformierten, sondern mit seinem traditionellen Gesicht zurück. Menem wird zunächst versuchen, die versprochenen Lohnerhöhungen durchzuführen. Was folgen wird, ist vorauszusehen: Inflation, Kapitalflucht, Rücktritt des Wirtschaftsministers; Nachfolger könnte dann der ultraliberale Domingo Caballo werden, der schon unter der Militärdiktatur Präsident der Zentralbank gewesen ist. Nur er - wird man argumentieren kann das Vertrauen der internationalen Finanzwelt und der lokalen Geschäftsleute wiederherstellen. Aber warum sollte Menem gelingen, was Alfonsin unter ungleich besseren Voraussetzungen nicht gelingen konnte? Der Weltkapitalismus steckt in einer schweren Krise, und Argentinien ist eines seiner schwächsten Glieder. Es wird weiter an den Rand gedrückt werden und vielleicht ganz herausfallen.
Die argentinische Bourgeoisie kann sich die Zukunft nicht anders als eine Restauration ihrer goldenen Zeit um die Jahrhundertwende vorstellen. Auch die argentinischen Arbeiter haben ihre Zukunftsutopie hinter sich: die vierziger Jahre unter Peron. Derart orientierungslos könnte Argentinien wieder Spielball aller möglichen kollektiven Irrationalismen werden. Dennoch wird sich die Gewaltexplosion von 1973 bis 1976 nicht wiederholen. Die Polarisierung zwischen Links- und Rechtsperonisten ist überholt, und die Erwartungen an Menem sind nicht so überdimensioniert wie jene, die sich 1973 auf Peron richteten.
Leopoldo Marmora
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