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Der heißeste Tag des Jahres

■ Filmfestspiele Cannes: Über „Do the Right Thing“ von Spike Lee

Wenn man den „melting pot“ unter Hitze setzt, schmilzt sein Inhalt nicht, sondern explodiert. Brooklyn, New York, der Kiez heißt Bedford-Stuyvesant, kein Slum, aber arm hauptsächlich von Schwarzen bewohnt, aber es gibt auch Puertorikaner, ein koreanisches Lebensmittelgeschäft und Sal's Famous Pizzeria. Mister Senor Daddy Love, der DJ des lokalen Radios, hat vom Studio einen Blick auf den Kiez. Er ruft: „Get up! Get up! Get up!“ und hält einen Wecker ans Mikrophon. Seine Devise für den Tag heißt: „Black!“. Es ist acht Uhr morgens, vierzig Grad Celsius, der heißeste Tag des Jahres.

Der Film beginnt mit episodenhaften Porträts der Kiezbewohner: Mookie - Spike Lee selbst -, der für den liebenswürdigen Sal die Pizzas austrägt, Sals Söhne Vito und Pino, der die Schwarzen haßt und trotzdem Prince-Fan ist, der schwarze Aktivist Buggin Out. Radi Raheem, der den größten Ghetto-Blaster in Bed-Stuy besitzt, Mookies puertorikanische Freundin Tina, Sweet Dick Willie, Mother Sister, Coconut Sid... In einer Sequenz reiht Spike Lee Verwünschungen aneinander. Ein Schwarzer, ein Puertorikaner, ein Italo-Amerikaner, ein Koreaner, fluchen nacheinander in die Kamera. Die Flüche richten sich meist gegen die je anderen Minderheiten und pulsieren doch im selben New-Yorker -Rhythmus. Man müßte nur Baß und Schlagzeug drunterlegen und es wäre Rap. Sie funkeln vor Witz. Aber es ist ein grausamer Witz, und am Schluß steht die Grausamkeit, nicht der Witz.

Bei der Hitze versiegt der Witz restlos, nur die Grausamkeit bleibt. Sal haut Radio Raheems Ghetto-Blaster in Stücke. Aus mit „Fight the Power“. Die beiden schlagen sich. Die Polizisten - darunter ein Schwarzer -, die kommen, um den Streit zu beenden, nehmen nur Radio Raheem in den Würgegriff, nicht Sal. Sie fassen Radio Raheem so hart an, daß ihm das Genick bricht. Ende der Koexistenz. Die Schwarzen machen die Pizzeria in ihrem Kiez kaputt.

Der Film hat zwei Schlüsse: eine Schwarzblende, die die Gewaltorgie abrupt abbricht, und einen Epilog am Morgen danach, in dem Sal und Mookie zwar miteinander reden, aber nicht gerade freundlich. Dann ein Zitat von Martin Luther King gegen die Gewalt und eines von Malcom X für die Gewalt. Nur müßte sie bis dahin vordringen, wo die Macht, gegen die Public Enemy ansingen, sich hinter ihren glatten Fassaden verschanzt. Spike Lee verhehlt nicht, daß er nicht weiter weiß. Ein Ende der Hitzewelle ist nicht abzusehen.

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