: Schuldig gesprochen: die Nordseekiller
■ Erstes „Nordseetribunal“ hatte exemplarisch den Bremer Senat angeklagt: Auch die giftigen Putzmittel der öffentlichen Räume werden ins Meer gespült / Die große Gemeinschaft der Nordseetöter
„Angeklagte! Es ist nicht schwer, darzulegen, daß Sie alle Ihren Anteil dazu beigetragen haben, die Nordsee - ein Millionen Jahre altes Gewässer - nach § 324 des StGB verunreinigt und seine Eigenschaften nachteilig verändert zu haben. Aber schon beim Wort Täter würden Sie aufhorchen und Mut fassen. Jeder einzelne von Ihnen würde sich herausstehlen aus der Verantwortung, wie andere vor Ihnen. Allenfalls, werden Sie optmistisch sagen, komme Begehen durch Unterlassen in Frage. Aber in diesem Fall sei selbstredend von einem Verbotsirrtum auszugehen, die Einsicht, Unrecht zu tun, habe eindeutig gefehlt.“
Als die Bremer Schauspielerin Hille Darjes am Samstag morgen im Bürgerhaus Vahr die Rahmen-Anklage des ersten „Nordseetribunals“ vortrug, mußte sie sich an leere Stühle richten: PolitikerInnen, Regierungen, Behörden und Chemie -Firmen waren nicht selber erschienen, um sich gegen
den Vorwurf der „Meerestötung“ zur Wehr zu setzen. (vgl. Bericht und Interview auf Seite 5). Erstmals nannten alle maßgeblichen bundesdeutschen Umweltverbände gemeinsam exemplarische Täter der Nordseevergiftung. „Eine vernetzte Betrachtungsweise der einzelnen Anklagen macht Schuld durchschaubarer und vermeidet verkürzte Problemwahrnehmungen“, urteilte denn auch die siebenköpfige Jury nach einer Dauersitzung bis zum frühen Sonntag morgen.
Schuldig gesprochen wurden zum Beispiel der Bremer Senat und die für das Beschaffungswesen zuständigen Behörden -Mitarbeiter. „Ökologische Notwendigkeiten“, vor allem beim Einkauf von Putzmitteln, werden nicht beachtet, urteilte die Jury. 2,5 Mio Mark gibt Bremen jedes Jahr für schädliche Reinigungsmittel im Bereich des öffentlichen Dienstes aus und das, obwohl die Bürgerschaft bereits 1987 gefordert hatte, zumindest bei „vertretba
ren Mehrkosten“ das jeweils umweltfreundlichste Mittel zu verwenden. Vorhandene Ansätze in Berlin, Bielefeld und Saarbrücken wurden nicht für Bremer Verhältnisse weiterentwickelt. Der Senat habe die Anklage am 9. Mai behandelt, teilte er schriftlich mit, die versprochene Antwort kam jedoch bislang noch nicht beim Nordseetribunal an.
Die „schwerwiegendste Schuld im Verlauf der gesamten Verhandlung“ sah die Jury bei der Leverkusener Bayer AG, namentlich bei ihrem Vorstandsvorsitzenden Strenger, dem Leiter des Bereichs Landwirtschaft, Krätzer und dem Leiter des Bereichs Pflanzenschutz, Ernst. Die bei Bayer produzierten Pestizide ließen sich auf die Giftgasproduktion im ersten Weltkrieg zurückverfolgen, heißt es im Jury -Spruch: „Aus dem Krieg gegen den Menschen wurde der Krieg gegen die Natur.“
Mit einem Umsatz von 40 Mrd Mark im vergangenen Jahr gehört
Bayer zu den größten Chemiekonzernen der Welt. Allein die bundesdeutschen Bayer-Werke sorgen zum Beispiel für die Hälfte des gebundenen Chlors im Rhein. Eine Vielzahl von Bayer-Pestiziden sind inzwischen auch in Nordseefischen nachgewiesen worden. Am Ende dieser Nah
rungskette stehen auch Menschen.
Beim Applaus für die Anklage klatschten am Samstag einige Bremer Wasserschutzpolizisten mit. „Auch wir machen uns große Sorgen um die Nordsee,“ meinte einer der Uniformierten.
Dirk Asendorpf
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