: HEIMAT SEIN!
■ Post-industrielle Aktivismen bei der Autodidakten-Ausstellung „Chronometer“
Die Gleichzeitigkeit von Phänomenen: das Ringen mit Sprache & Geschichte, Zeichen & Zeit, Orientierung & so. Nun also eine Ausstellung jener Künstler, die sich & ihre Werke bislang der öffentlich-obszönen Kunstrezeption verweigerten, die nicht von den Flakscheinwerfern der Diskurse erhellt wurden. Trash, Müll, Schrott - damit arbeiten die meisten von ihnen; kleinbürgerliche Ideologie der Nostalgie de la boue („Willst du auch nur mal mit 'nem Lumpenmädchen ficken?“)? Arbeiten mit den materialisierten Katastrophen & Unfällen der Dromo-/Technokratie? Oder Heimwerkeln mit selbstreferenten Ikonen des gemäßen Lebensraum, dem Hort des Gemütlichen?
Das sind so 500 Quadratmeter ehemaliger Kutschenhof, 'n Keller, nicht mehr eine Dienstleistung der Geschwindigkeit da, sondern eine der Kultur, Kommunikation. Sprechen & so, soll sein. In einem stillgelegten (!) Aufzug transformieren Kai & Hannes Heiner (beides „Dead chickens“) dessen vektorielle Eigenart in einen Ort archaisch-mythischer Zeichen(-Ströme) & Bewegung, ja Aneignung & so. Da das Kapital längst zu anderen Tauschplätzen abwanderte, verkoppeln sie in dieser Nische den sinnlos gewordenen Text der instrumentellen Vernunft mit dem sinnsimulierenden Mythos & jugendlicher Kraft/Sehnsucht; Felle & Eisen, Wesen einer fremden Zeit.
Der Raum ist hoch, die Wände erodieren, es tropft, & zusammen mit diesem diffusen Tageslicht, das nur von etlichen kleinen Kästen rund um die Exponate aufgehellt wird, entsteht da so 'ne bedeutungsschwangere Atmosphäre, Ruinenpathos, ja. Die ausgestellten Stücke erscheinen eher, als daß sie im gängigen Galeriestil mit strahlenden Spots an reinweiße Flächen genagelt werden.
Die Halle erhält durch Säulen & rumstehende Wände grammatikalische Struktur, entsteht so 'nen Moment von „tease“, wenn man sich um rhythmische Einschübe herum schlängeln muß, um Ausgestelltes in Augenschein zu nehmen. Angegliedert an den Hauptsatz sind verschiedene Kammern, ja, in einer, kommt man nur hin durch Treppe rauf & dann eine runter, um 'ne Ecke noch, & da: stellt Nitsch-Schüler Florian Trümbach seine in Kunstharz gegossenen, verwesenden Kadaver aus. Konserviert er da Zeit? Restaurativ? Anyhow, sieht aus, als ob es der Tradition mundartlichen Theaters entstammen würde, Geweihe & so, Plastiksplitter dran, Volkstumgrelle.
In einem anderen Nebensatz gestaltet F.P.F. Rampazzo „art surroundings“. Da hängen also eine Menge güldene Bauschaumengelchen rum, wie im Elfenschwarm. Man erfährt den Charakter des Auszusagenden nicht durch dessen explizites Sprechen oder Darstellen, sondern durch Kreieren vager Felder, umgebungs-/kontextmäßig, oder wieder ein Erlebnisraum, in dem die Vernunft erschlagen wird & der Betrachter sich mit den Diskursmaschinen verkoppelt muß, um Distanz zu gewinnen, weil das sonst nur „Find-ich-schön, gefällt-mir, hat-was„-Gemütliches bildet?
Bilder hängen da auch, lagern sich großteils an so informelle Geschichten an, Spuren - der Einwirkungen von Zeit & Werkzeug - werden Zeichen. Das sind aber Oberflächenphänomene, ja, & so wie Video die Tiefe meidet, die Post-Moderne in der Sprache - bei frei florettierendem Signifikanten - vor allem blendet, so sieht diese Malerei auf den ersten Blick flott & nach Arbeitsschweiß aus. Es geht darin aber nicht um eine „Remythologisierung“ - wie es der PR-Text verkaufen will -, nicht um eigenzeitliches Wiedererlangen von Kontext & Tiefe, sondern eben um so Oberflächenrumgefummel. Man kratzt sich ein bißchen am Anschein.
Ausnahmen bilden da Kathrien Reutter, bei deren zweidimensionalen Objekten so 'ne Beziehung, Spannung zwischen Eingeschriebenem & drumrum besteht, wo der Betrachter also ins Gespräch kommen kann, was zu leisten hat & die Gemälde Stefan Hoenerlohs, die allesamt Häuser zeigen. Das ist zunächst mal spaßig, seine zerfallenden Fassaden auf so 'ner zerbröckelnden Wand zu sehen, ja, Maske & Kunst & die beiden Signifika...s & so, ist denkbar, ja. Die Bilder besitzen Raumtiefe, verschachtelte Perspektiven & ein dargestelltes Begreifen von Zeit - Wachstum, Verharren & Verfall. Nie finden sich Menschen, sie sind immanent, dennoch sprechen Hoenerlohs Bilder von einem Geschichtsbewußtsein, ja, nicht so Augenblicksdasein. Sauber gemalt, nett anzuschaun, arztpraxenmäßig.
Erwähnenswert vielleicht auch Barbara Esch & Eduard Gebhard, deren Werke vor allem eins sind: wohltuend unprätentiös. Esch zeigt minimalistische Fotoserien von sowas Organischem, ja, Muscheln & so, gewachsenes Zeug eben, das seine spezifische Gestalt durch das Einwirken von Naturkräften & Dauer bekommen hat. Gebhard stellt sein „Draumer Pracitalblatt“ vor, was so 'ne Tageszeitung (22.9.4945) des Planeten Draum ist. Zeitung ist ja eher 'nen recht flüchtiges Medium, diese eine Ausgabe leistet eine Momentaufnahme einer Gesellschaft im Umbruch. Draum ist zwar ein perfekt kalkuliertes (Markt-)System - es gibt 'ne Sprachbörse, effiziente Liebesberatung, Gefühle sind konvertibel, das Politische wird im freien Markt zertrümmert -, dennoch finden sich in dieser hochkomplexen Gesellschaft virale, chaotische Einflüsse. Ist teilweise sehr trocken geschrieben, von feinem, skurrilen Humor begleitet (nette Werbung), Science-fiction, klar.
„Chronometer“, so der Titel, soll Gegenentwürfe zum technokratischen Zeitalter liefern. Kai & H.Heiner tun das, indem sie eben diesen stillgelegten Fahrstuhl, das Symbol von durch Maschinengeschwindigkeit bedingte Zeit, mit ihrem Schrottfabelgesamtkunstwesenwerk neu besetzen. Das „Draumer Practicalblatt“ leistet eine bittere Analyse, keine „Gegen„-Utopie. Die Versuche, die Problematik von Zeichen/Schrift & Zeit/Geschichte zu veranschaulichen, lösen sich in bunten Oberflächenrhythmen auf, arbeiten so den Bewußtlosigkeitsstrategien des Post-Histoire zu.
Eine Gemeinsamkeit läßt sich vielleicht ausmachen: man arbeitet mit dem Vagen, Virtuellen & vermeidet das Eindeutige, Explizite, Obszöne. Es werden Hinweise in Feldern angelegt, die der Betrachter zusammen montieren kann. Die dämonischen Skulpturen, sei hier auch noch Mona Fuchs genannt, scheinen eher die immanenten poetischen - Kräfte des jeweiligen Werkstoffs (ja, das heideggert...) veranschaulichen zu wollen, als ein Konzept ihrer Andersartigkeit zu liefern.
Anyhow, ganz ohne Zweifel gibt es Momente des „it touches something inside“, der Berührung. Die Frage ist nur, ob da tatsächlich mehr oder oder anderes getan wird, als selbstreferente Ghettokunst zu zeigen, monomanisch-magische Talismanstrategien, Totems einer postindustriellen Heimat der Vergessenen - des berühmten einen Drittels.
r.stoert&so
„Chronometer“ - zwölf Konzepte zum technokratischen Zeitalter; bis 25. Mai, 15-20 Uhr, Monumentenstraße 24, 1/61.
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