„Begeistert über das, was in der SU läuft“

■ Gespräch mit Jugendlichen am Rande des FDJ-Treffens über sowjetische Reformen, Ausreise und anderes

taz: Wo soll sich eurer Meinung nach in der nächsten Zeit was verändern?

Ingo: Wo sich vor allem was ändern muß, ist das Feld der Ideologie, die Auseinandersetzung mit und in den Massenmedien. Zwar tut sich da schon was, aber das reicht nicht aus. Die Auseinandersetzung um das 'Sputnik'-Verbot ist da ein Beispiel. Es ist klar, daß sich die Parteiführung von der Darstellung im 'Sputnik‘ angegriffen gefühlt hat, wenn man bedenkt, daß sie mehrere Jahre im KZ gesessen haben. Für mich stellt sich dann aber die Frage, ob die entscheidungsbefugt sind, die Sache einfach abzusetzen.

Andre: Diese Art des subjektiven Herangehens kann man einfach nicht zur allgemeinen Gesetzmäßigkeit erheben. Das kann man im Grunde auf alle Dinge der ideologischen Ebene bei uns beziehen. Zwischen den Generationen ist ein großer Widerspruch entstanden. Die einen haben es eben noch erlebt, die anderen nicht mehr. Beides läßt sich miteinander nur schwer vereinbaren.

Steht also die alte Führung der Veränderung im Weg?

Ingo: Natürlich hat man da seine Zweifel, wenn man das Durchschnittsalter des Politbüros sieht, das liegt ja weit über dem Rentenalter. Außerdem guckt man natürlich in die Sowjetunion, das letzte Plenum, was da passiert ist. Die Erneuerung der Kader muß ein ständiger Prozeß sein, es müssen mehr jüngere Leute ran und nicht - zugespitzt gesagt

-Erneuerung im Abstand von 20 Jahren, die dann bis zum Lebensabend dranbleiben. Irgendwann wird das so nicht mehr laufen. Keiner ist es gewohnt bei uns, politische Verantwortung zu übernehmen. Momentan ist es wohl die Jugend, die ungezwungener ist, die stärkere Aktivitäten zeigt.

Andre: Abschottung? Man hat irgendwie Angst. Das Argument, wir stehen direkt an der Grenze, sind ein kleines Land und können uns daher keine Experimente leisten. Dazu dann noch die Angst der Spitze, das, was sie aufgebaut haben, könnte in Gefahr geraten. Die sehen vornehmlich die Errungenschaften und nicht die Probleme. Sie wollen nicht in Gefahr laufen, daß Leute das Sagen bekommen, die nicht aufbauen mußten, nicht sehen, was dahinter steckt. Ungarn und Polen sind ja Beispiele, wo der Sozialismus zur Disposition steht.

Wie steht ihr zu den sowjetischen Reformen?

Ingo: Wir sind begeistert über das, was in der SU läuft. Die Veränderungen waren notwendig, auch wenn die jetzt reichlich Schwierigkeiten haben. Was daraus wird, ist noch unklar. Klar, die politischen Maßnahmen haben einen Vorlauf gegenüber den wirtschaftlichen. Das ist nicht gesund, und trotzdem war es notwendig. Jetzt muß aber auch was in die Läden kommen. Wenn das klappt, wird es bei uns nochmal einen riesigen Ruck geben.

Was sagt ihr zu denen, die ausreisen wollen?

Ingo: Für mich ist wesentlich, daß die Leute, die sich hier engagieren, auch hierbleiben. Die vielen, die rübergehen, ich find sie feige, irgendwie feige. Feige insofern, daß sie nicht bis zum letzten Gefecht gehen. Ich find‘ es einfach schade, daß Leute, die versuchen, hier etwas zu verändern, dann rübergehen. Natürlich gibt es auch Leute, für die es der einzige Ausweg ist, die unter Drangsalien gelitten haben. Aber mittlerweile hat das doch extreme Ausmaße angenommen.

Andre: Einerseits will man das gemeinsame Haus Europa bauen, aber wenn man sich dann die konkrete Gestaltung de Hauses ansieht, stößt man auf soviele Probleme, daß man denkt, das kann doch gar nichts werden. Eigentlich müßte es normal sein, in einem gemeinsamen Haus umherlaufen zu können. Dagegen gibt es bei uns hier noch immer eingefleischte Kämpfer. Das wird ein schwerer Lernprozeß, und wie lange der dauern wird...?

Gespräch: K.-H. Donath/ Matthias Gei