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Post Mortem

■ Ein japanischer Essay aus dem Jahre 1901

Masaoka Shiki

Alle Menschen wissen, daß alle Menschen einmal sterben werden. Es scheint nur so zu sein, daß die einen sich dieser Tatsache überaus bewußt sind und andere sich dieser Tatsache weniger bewußt sind. Manche Menschen, obwohl noch jung an Jahren, schlagen sich ständig mit dem Gedanken an den Tod herum und fragen besorgt, ob sie nicht, wenn sie heute nacht schlafen gingen, am nächsten Morgen einfach tot sein könnten, mit dem Ergebnis, daß sie auch in dieser Nacht nicht schlafen. Und dennoch: Es gibt auch Menschen, die dem Tod völlig gleichgültig gegenüberstehen. Du, auch du wirst einmal sterben! Sinnlos, sie so zu überrumpeln, den sie gebärden sich, als hätten sie nicht einmal etwas gehört. Kurzum: Für gesunde Menschen besteht weder die Notwendigkeit, an den Tod zu denken, noch haben sie die Zeit dafür, weswegen sie versunken in ihre Arbeit oder ihre Vergnügungen ihr Leben verbringen.

Da Menschen wie ich, die an einer chronischen Krankheit leiden, sowohl dann und wann auf Gelegenheiten stoßen, um über den Tod nachzudenken, als auch die geeignete Zeit dafür haben, veranlassen sie Zeit und Gelegenheit dazu, eingehend und immer wieder den Tod zu untersuchen. Nun gibt es aber zwei Arten, sich des Todes bewußt zu werden. Die eine ist subjektiver Art, die andere objektiver. Da diese Wortwahl das Verstehen erschweren könnte, sei folgendes hinzugefügt: Sich des Todes auf subjektive Art bewußt werden heißt, das Gefühl zu haben, noch in diesem Moment sterben zu können, weswegen dieses Gefühl äußerst schrecklich ist. Das Herz rast, durch die Nerven pulsiert Angst, man ist schrecklich geplagt. Dieser Zustand, der oft bei Kranken dann auftritt, wenn sich ihre Krankheit zuspitzt, ist von unüberbietbarer Unerfreulichkeit. Sich des Todes objektiv bewußt werden ist zwar ein merkwürdiger Ausdruck, gemeint damit aber ist dies: Obwohl in der eigenen physischen Gestalt kein Leben mehr ist, leben die Gedanken weiter, und eben diese Gedanken betrachten ganz objektiv den Tod der eigenen physischen Gestalt. Die subjektive Betrachtungsweise ist oft bei normalen Menschen zu finden, die objektive aber ist von einer Art, von deren Bedeutung viele Menschen nicht einmal die leiseste Ahnung haben dürften. Die subjektive Betrachtungsweise erzeugt ein schreckliches, schmerzliches, trauriges und abscheuliches Gefühl, das man glaubt, keinen einzigen Moment ertragen zu können. Bei der objektiven Betrachtungsweise kann sich zwar ein mehr oder minder starkes Gefühl der Trauer und Vergänglichkeit einstellen, weil sie aber eine unvergleichlich kühlere Konfrontation mit dem Tod ist, passiert es einem auch gelegentlich, daß man angesichts der Komik des Vorgangs still vor sich hinlächelt. Während sich die subjektive Betrachtungsweise zu Zeiten einstellt, wenn sich eine Krankheit verschlimmert oder plötzlich heftige Schmerzen auftreten, stellt sich die objektive zu einer Zeit ein, wenn sich ein chronisch Kranker ein wenig unwohler fühlt als sonst.

Im Sommer des letzten Jahres unterzog ich einmal meinen eigenen Tod einer objektiven Betrachtung. Als allererstes dürfte sich, sobald man gestorben ist, die Notwendigkeit ergeben, daß man in einen Sarg gelegt wird. Nun habe ich von Kindesbeinen an des öfteren gesehen, wie eine Leiche in einen Sarg gelegt wurde, es schien mir dabei immer sehr eng zuzugehen, was ein Gefühl der Abscheu in mir erregte. Und eng kam es mir nicht nur deswegen vor, weil ein Toter in einen schmalen Sarg gelegt worden war, abscheulich fand ich, daß man den Sarg mit irgend etwas ausstopfte, damit die Leiche nicht herumrutschen konnte. In meiner Heimat verwendet man als Füllmittel Sägespäne. In Papiersäckchen (man stellt zwei Arten davon her: Säckchen, die der Länge nach zweifach gefaltet sind, und Säckchen, die der Breite nach zweifach gefaltet sind) stopft man Sägespäne und versieht sie mit der Aufschrift Namu Amida Butsu etc.. Dies geschieht, weil man je nach den auszustopfenden Stellen sowohl flache wie auch lange Säckchen braucht. Beim Gesicht gibt man sich besondere Mühe und läßt um es herum viel freien Raum, und doch stopft man letzten Endes die Säckchen so fest, daß sich auch der Kopf nicht mehr bewegen kann. Die Leiche wird, anders gesagt, unter mit Sägespänen gefüllten Säckchen vergraben, bevor man sie in der Erde begräbt. Vor etwa 14, 15 Jahren verstarb, als ich in einer Pension in Sarugakucho wohnte, ein Freund, der ebenfalls in dieser Pension logierte, an einer plötzlich auftretenden Krankheit. In Tokio lebte von seinen Verwandten keiner, und so kamen wir, seine Freunde, zusammen und beerdigten ihn. Damals erkundigte ich mich, womit man in Tokio Särge ausstopfen würde, und erfuhr, daß man in Tokio die Blätter von Sternanis dafür verwendet. Wir kauften dann diese Blätter, fertigten wie üblich Papiersäckchen an und stopften sie voll, aber das Füllmaterial reichte nicht. Wir kauften also abermals Sternanisblätter, aber nun war es uns zu mühselig, noch einmal Säckchen herzustellen, und so stopften wir einfach die Zwischenräume voll. Der Sarg war ein ganz normaler länglicher Sarg; überaus erbarmungswürdig aber erschien mir die Tatsache, daß die Wangen des Toten von den Blättern berührt wurden. Weil mich derartige Gefühle schon von jeher begleiteten, liegt es mir sehr am Herzen, daß man, wenn man mich in den Sarg stopft, dies wenigstens so tun möchte, daß es mir nicht zu eng ist. Im Westen sollen Blumen zum Ausstopfen verwendet werden, und dieses ansprechende Vorgehen stimmt durchaus mit unseren Idealen überein. Ich habe allerdings den Eindruck, daß Blumen den Körper einfach zu weich umschließen, als daß sie als Füllmaterial in Frage kommen könnten. Vielleicht aber waren die Särge auch fürchterlich schmal angelegt, so daß die Leichen im Sarg keinen Spielraum hatten, und die Zwischenräume wären dann nur - im Gegensatz zu der Funktion der Sägespäne in Japan nur aus Liebenswürdigkeit mit Blumen vollgestopft worden. Dann aber müssen diese Särge fürchterlich eng gewesen sein, und derart enge Räume sind mir nun einmal alles andere als angenehm.

Unter den Balladen Schottlands gibt es eine, welche Sweet William's Ghost heißt. In diesem Lied kommt zu einer Frau der Geist ihres Ehemannes und teilt ihr mit, daß er in der Fremde verstorben sei, worauf sich im Zwiegespräch der beiden folgender Dialog entspinnt.

„Is there any room at your head, Willie?

Or any room at your feet?

Or any room at your side, Willie,

Wherein that I may creep?“

„There's nae room at my head, Margret,

There's nae room at my feet,

There's nae room at my side, Margret,

My coffin is made so meet.“

In diesen Versen sagt die Frau: „Ich möchte bei Dir sein. Gibt es genügend Platz neben deinem Kopfkissen oder deinen Füßen oder an deiner Seite?“ Worauf ihr der Mann, also der Geist, zur Antwort gibt: „Weder neben meinem Kopfkissen noch zu meinen Füßen, noch an meiner Seite gibt es den geringsten Platz. So sehr ist mir mein Sarg auf den Leib geschnitten.“ Da man selbst in einem Doppelgrab von Liebenden nicht zwei Leichen in einen Sarg legt, ist dies völlig nebensächlich; was aber dieses Lied neben dem Gefühl einer brennenden Leidenschaft gut zum Ausdruck bringt, ist die Tatsache, daß Särge eng sind. Nun kann man zwar nicht sagen, daß dieses Lied reizlos wäre, weil Särge eng sind, aber wenn ich mir vorstelle, daß jetzt mein Körper in einem Sarg liegen würde, wünschte ich mir doch, man möchte es nicht allzu eng machen. Vor allem bei einem Lungenkranken dürfte, im Vergleich zu anderen Menschen, ein Druck auf die Brust ein vielfach schmerzlicheres Gefühl der Enge erzeugen.

Einmal sah ich mir ein Buch an, in dem Abbildungen von Gebräuchen aller Herren Länder zu finden waren; darunter war ein Bild, das den Leichnam des Königs eines Landes (den Namen des Landes habe ich vergessen, es war aber keines der großen Länder Europas) in seinem Sarg zeigte. Der Sarg stand auf einem Podest, und das Kopfende des Sarges lag noch einmal höher als das Fußende. Der Ort lag halb im Licht von Lampen und halb im Schatten, und der Schmuck um den Sarg herum sah schön aus. Nun zum König im Sarg: Sein Gesicht war sowieso gut zu erkennen, es war aber auch deutlich zu sehen, daß man ihn vom Bauch bis zu den Füßen in ein weißes Gewand gekleidet hatte. Die Augen des Königs waren friedlich geschlossen. Es sah aus, als ob der König gerade davon träumte, daß er ins Paradies emporstieg. Der Anblick dieses Bildes erzeugte in mir eine Art von Schrecken und gleichzeitig ein heiliges und erhabenes Gefühl. Das Aussehen des Königs erinnerte nicht im geringsten an Schmerzen. Falls auch ich sterben müßte, dachte ich mir, würde die Angelegenheit, falls man bei mir in gleicher Weise verführe, unbeengt über die Bühne gebracht werden können. Doch wie sehr man auch diesem Vorbild folgte, es wäre Schluß mit allem, sobald der Deckel auf dem Sarg lag und die Nägel mit hartem Hämmern in das Holz getrieben wurden. Falls man im Sarg wieder lebendig werden würde und den Versuch unternähme, Hände und Füße zu bewegen, hätte das bereits keine Wirkung mehr. Daher auch mein Wunsch nach einer Vorrichtung, die es einem erlaubt, unverzüglich aus dem Sarg kriechen zu können, wenn man wieder zum Leben erwacht.

Nun, Särge sind eng, daran läßt sich nichts ändern. Ich möchte mich deswegen der Frage zuwenden, welche Art und Weise, den Sarg zu bestatten, am meisten meinen Vorstellungen entspricht. Die weitverbreitetste Methode ist die Erdbestattung, aber diese Erdbestattung hat mir noch nie besonders zugesagt. Gleichgültig, wessen Sarg man in ein Grab hinunterläßt, ich fühle mich immer entsetzlich scheußlich dabei. Und bei der unbeschreiblichen Vorstellung, daß meine eigene Leiche im Sarg liegt, fühle ich mich um so scheußlicher. Stellen Sie sich vor, Sie selber liegen in einem Sarg! Und der Sarg schleift und poltert an den Wänden der Grube entlang nach unten! Ihr nächster Angehöriger dürfte bereits mit einer Hacke Erde in die Grube geschoben haben, und nun hört es sich so an, als ob ein, zwei Erdklumpen auf die Stelle über Ihrem Gesicht fallen würden. Und danach kommt polternd und krachend weitere Erde auf Sie heruntergestürzt. Im Handumdrehen ist der Sarg vergraben. Und dann häufen Arbeiter noch einen Hügel über dem Grab auf und trampeln ihn fest. Auch wenn Sie noch einmal zum Leben erwachten, nützen würde das nichts. Wie sehr Sie auch schrieen, hören würde Sie niemand. Bei dem Gedanken, selbst unter dieser Erde zu liegen, fehlen mir die passenden Worte: weder eng noch sonst ein Wort kann diese Lage beschreiben. Sechs Fuß Tiefe gingen ja noch an, nun hat mir aber ein Freund netterweise mitgeteilt, daß es schon neun Fuß sein müssen. Und da kann ich nur sagen: Für neun Fuß bedanke ich mich! Man fühlt ja das ganze Gewicht von neun Fuß Erde, die über einem liegen, was entsetzlich peinvoll ist. Und vollends unerträglich wird es, wenn man obendrauf noch einen Grabstein oder so was setzt. Ich habe also in meinem Testament verfügt, man möge doch bitteschön auf einen Grabstein verzichten. Worauf ich zur Antwort bekam, ein Grab ohne Stein sähe allzu dürftig aus. Aber ich könnte irgend so einen großen Brocken auf mir wirklich nicht ertragen.

Erdbestattungen sind der Inbegriff von Enge; wie wäre es also mit einer Feuerbestattung? Darauf lautet die Antwort: Feuerbestattungen sind reizlos! (Für wen? Für den Toten oder die Hinterbliebenen? d. Äzzerin) Es gibt zwar verschiedene Arten von Feuerbestattungen, aber die heutigen Krematorien mit ihren aufragenden Ziegelschornsteinen sollen wie folgt angelegt sein: Der Raum, in welchen die Särge hingeschoben werden, ist mit Trennwänden in verschiedene Kammern aufgeteilt, in die man die einzelnen Särge hineinschiebt. Und wenn es Nacht wird, soll man alle Leichen auf einmal schmoren. Ich finde es ja schon abscheulich, daß die Särge in derartige Kammern hineingeschoben werden, besonders bei der Vorstellung aber, daß man geschmort wird, wird es vollends unerträglich. Daß die Hände, dann die Füße usw. verbrennen, ist trotz der Schmerzen noch hinzunehmen, wenn es aber ans Schmoren geht, überfällt mich ein merkwürdiges und abscheuliches Gefühl: nicht mehr atmen zu können, nicht mehr schreien zu können, auch wenn die Schmerzen groß sind. Und zu alledem ist Schmoren an Vulgarität kaum zu überbieten, klingt es doch nach der Kocherei in einem Restaurant. Wenn schon Feuerbestattung, dann eine von der eleganten und alle Wünsche befriedigenden Art, wie sie früher von Kremateuren durchgeführt wurde, an Orten voller Melancholie, wo im Schutz eines Hügels ein Zedernwäldchen stand, und vor diesem Wäldchen die Verbrennungsstätte. Aber was heißt schon Verbrennungsstätte! Abgesehen von einem schlichten Stein gibt es hier keinerlei weitere Vorrichtungen. Der Sarg wird lediglich auf hoch aufgeschichtetem Brennholz abgestellt, und der Kremateur zündet dieses an allen vier Seiten an.

Natürlich ist es Nacht, und so taucht das auflodernde Feuer die pechschwarzen Zedern zur Hälfte in helles Licht, und am Himmel blinken ein oder zwei Sterne. Anwesend sind nur zwei Begleitpersonen und ein Kremateur. Eine der Begleitpersonen sagt zum Kremateur: „Wir ham ja mittlerweile 'n fürchterliches Wetter. Ob's auch nicht regnen wird?“ Und der Kremateur klopft seine Pfeife, die er die ganze Zeit geschmaucht hat, auf dem Stein aus, auf dem er sitzt, und antwortet gelassen: „Ja, ja, vielleicht wird's Regen geben.“ Die eine Begleitperson fragt besorgt: „Was solln wa bloß tun? Wenn's jetzt regnen tät, säßn wa ganz schön in der Tinte“, und der Kremateur antwortet mit unveränderter Gelassenheit: „Ist sowieso gleich alles verbrannt.“ Das ins Licht des Feuers getauchte Gesicht des Kremateurs leuchtet so rot, daß man ihn auch für einen Teufel halten könnte. Wenn ich mir diese barbarische Szene vorstelle, komme ich mir wie in einem Roman vor, und eine gewisse Begeisterung erfaßt mich. Nun hat sich aber das Feuer bereits ziemlich ausgebreitet, und der Sarg verbrennt nach und nach. Die Hände, die Füße und der Kopf haben Feuer gefangen und verbrennen prasselnd. Einmal davon abgesehen, daß der Vorgang schmerzlich sein dürfte, vermittelt er auch dem unbeteiligten Beobachter kein besonders gutes Gefühl. Und dann noch dieser penetrante Geruch - nicht auszuhalten. Gewiß: Die Schmerzen und der Geruch sind nur eine vorübergehende Erscheinung, und sobald nur noch die blanken Knochen übrig sind, ist alles wieder rein und sauber.

Die Tatsache aber, daß man selbst verschwunden ist und von einem nur noch die bloßen Knochen übriggeblieben sind, läßt einen schrecklich unbefriedigt zurück. Fraglos gehören zwar auch die Knochen zu uns, aber ihr Anblick vermittelt uns dieses Gefühl nicht. Erdbestattungen sind zwar der Inbegriff von Enge, aber wenigstens bleibt dabei die eigene Leiche unter der Erde völlig unversehrt. Die Vorstellung, daß von einem, wie bei der Feuerbestattung, nur die Knochen übrigbleiben, ist an Reizlosigkeit kaum zu überbieten. Ich will hier nicht spitzfindig werden und sagen, daß wir schließlich unseren Körper, die Haare und die Haut von unseren Eltern geerbt haben, mir wäre es aber trotzdem lieber, wenn man meinen Körper nach meinem Tod unversehrt ließe.

Wenn wir nun davon ausgehen, daß sowohl Erd- wie auch Feuerbestattung nicht in Frage kommen, wäre zu fragen, was von der Seebestattung zu halten ist. Nun, ich bin vom Wasser nicht besonders angetan. Und vor allem bin ich des Schwimmens unkundig. Weswegen meine größte Sorge darin besteht, daß ich vielleicht in dem Moment, in dem ich in das Wasser gelassen werde, einen Schluck Wasser nach dem anderen in den Mund bekommen könnte. Aber auch wenn dem nicht so wäre, so würden doch, wenn sich mein Körper in Wasserpflanzen verfangen würde, verschiedene Fische herangeschwommen kommen und an mir herumschnappen, ohne sich darum zu kümmern, ob sie in mein Gesicht oder meinen Rumpf bissen. Was für ein schrecklich unschönes Gefühl! Und käme dann irgendein größeres Vieh und bisse mir einen ganzen Arm ab, würde ich mich zweifellos höchst sonderbar fühlen. Und wenn ich versuchte, Polypen oder Seeohren, die sich an mir festgesaugt haben, abzureißen, wie hilflos würde ich mir dann vorkommen, da ich ja nun keine Hände mehr hätte.

Wenn wir davon ausgehen, daß also weder Erd- noch Feuer noch Seebestattung in Betracht kommen, müssen wir uns fragen, wie es wäre, an einem Ort wie jenem Berg ausgesetzt zu werden, wohin man früher die Alten zum Sterben brachte. Sehr dafür zu sprechen scheint die Tatsache, daß man die bloße Leiche aussetzt, ohne sie in einen Sarg zu legen, wodurch ihr das Gefühl der Enge erspart bleibt. Würde aber jemand wie ich - ich habe eine zarte Konstitution lediglich bekleidet mit dem weißen Totengewand über dem dünnen Nachthemd auf einer ungeschützten Bergspitze ausgesetzt werden, zöge er sich schnell eine Erkältung zu. Das geht also auch nicht. Aber halt, da fällt mir etwas ein: Wie wäre es, wenn man doch in einem Sarg ausgesetzt würde, ohne ihn mit einem Deckel zu verschließen, wodurch der Kopf und der ganze Körper in Erscheinung träten wie bei dem König irgendeines Landes, den ich auf dem Bild gesehen habe. Diese Lösung wäre in zweierlei Hinsicht ansprechend: Man würde sich weder beengt fühlen noch würde man die Kälte spüren. Meine einzige Sorge dabei sind die Wölfe. So schlimm wie die Fische, die einen im Falle einer Seebestattung anknabbern, würden sie sich zwar nicht aufführen, aber von einem schmatzenden Wolf aufgefressen zu werden, scheint mir doch sehr schmerzlich und abscheulich zu sein. Und über das, was die Wölfe übriglassen, machen sich Vögel her. Wie sie mit ihren Schnäbeln an meinem Nabel herumpicken, treibt mir die Wut in den Bauch.

All dies kommt also nicht in Betracht, womit nun noch eine Methode bleibt: die Mumifizierung. So wie es verschiedene Methoden der Feuerbestattung gibt, gibt es auch zwei verschiedene Sorten von Mumien. Bei der ägyptischen Mumie wickelt man die Leiche fest in zahlreiche Schichten aus Stoff, so daß etwas entsteht, was einem tönernen oder hölzernen Ding ähnelt, und auf den Stoff malt man mit bunter Farbe Augen, Nase und Mund. Unter den Stoffschichten befindet sich zweifellos ein Mensch, aber von außen sieht ein derartiges Ding lediglich aus wie eine große Puppe. Und ich habe nicht das Gefühl, daß es besonders reizvoll wäre, eine Puppe zu werden. Man verschwindet jedoch nicht einfach wie bei einer Feuerbestattung, und man wird auch nicht in einen engen bzw. tiefen Ort versenkt, so wie es bei der Erd bzw. Seebestattung der Fall ist. Und die Vorstellung, mit zahlreichen Kleidern, die einem über den Kopf gezogen wurden, angekleidet zu lehnen, entbehrt vielleicht auch nicht der Komik. Bei der zweiten Art von Mumien handelt es sich um solche, die man oft in Höhlen in den Bergen entdeckt: Menschen, hart wie Stein, die in sitzendem Zustand gestorben sind. Sie vermitteln einem wirklich ein sehr gutes Gefühl, ein Gefühl von Freiheit, da man sie ja weder in einen Sarg gelegt noch begraben hat. Werden solche Mumien aber von irgend jemandem gefunden und an einen Ort geschleppt, wo der Wind weht, zerfallen sie alsbald. Und dies, nachdem man eigens zur Mumie geworden ist! Welch unnützes und sinnloses Unternehmen! Und selbst wenn die Mumie nicht zerfallen sollte, muß man doch wirklich mit der traurigen Möglichkeit rechnen, daß man als Ausstellungsstück nach Asakusa verbracht wird, wo aus einem dann Kapital geschlagen wird, indem man zum gierigen Einsammeln von Opfermünzen gezwungen wird.

Bei diesen objektiven Betrachtungen über meinen eigenen Tod habe ich dies bedacht, habe ich jenes bedacht, bin dabei aber auf keine Todesumstände gestoßen, von denen ich sagen könnte, sie würden mir zusagen. Unter diesen Umständen wünschte ich mir, zu einem Stern zu werden, falls dies möglich sein sollte.

Der Sommer des letzten Jahres ist vorübergegangen, und auch der Herbst war schon zur Hälfte vorbei. Zu dieser Zeit wurde ich an einem Tag von schrecklich bangen Gefühlen bestürmt, irgendwie war mir, als bekäme ich keine Luft mehr, und so quälte ich mich einsam in meinem Krankenbett ab. An diesem Tage wurde ich mir meines Todes auf subjektive Weise bewußt, und der Gedanke, daß ich selbst in nicht allzu ferner Zukunft sterben würde, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Es wäre schön gewesen, wenn ich in diesen Stunden Besuch bekommen hätte, und so wartete ich, aber leider kam niemand. Ich verbrachte einen scheußlichen Tag und eine scheußliche Nacht, und langsam kam der nächste Morgen. Aber die Qual des Vortags war um nichts geringer geworden, und je mehr ich nachdachte, desto größer wurde meine Freudlosigkeit. Allein, plötzlich schlug, ich weiß nicht warum, mein subjektives Bewußtsein vom Tod in ein objektives um. Ich war bereits tot und lag in einem hastig zusammengezimmerten Sarg. Getragen von zwei Arbeitern und behütet von zwei Freunden, wurde der Sarg auf einem schmalen Feldweg mit hoher Geschwindigkeit Richtung Norden transportiert. Die vier hatten sich in Gamaschen und Strohsandalen auf den Weg gemacht, so etwas wie Gepäck hatten sie nicht dabei. Die Felder waren über und über mit den gelblichen Ähren von Reispflanzen bedeckt, und in den Erlen am Rain lärmten Würger. Mein Sarg, dessen Träger die ganze Nacht nicht geruht hatten, erreichte am nächsten Morgen ein gewisses Dorf. Am Rand des Dorfes war eine Stelle, wo drei, vier Gräber standen, und daneben befand sich eine freie Fläche von etwa zehn Fuß im Geviert, die man für mich gekauft hatte. Mein Sarg stand auf dem Boden und die Arbeiter gruben bereits ein Loch. In der Zwischenzeit war einer unserer Begleiter zu einem ärmlichen Tempel in der Nähe gegangen und brachte nun einen Priester mit zurück. Der Sarg war endlich vergraben; da kein Grabmal zur Hand war, stellte man einen passenden Stein auf das Grab, und der Priester las eine geraume Zeit für mich die Sutren. Die Gegend war übersät mit kleinen Wiesenblumen, und weiter drüben konnte man sehen, daß sich die Nirwanablümchen bereits tiefrot gefärbt hatten. Im Dorf mit seinen armseligen Häusern war es totenstill, von Menschen fast keine Spur. Meine beiden Freunde wurden dazu eingeladen, die Nacht im Tempel zu verbringen, und zusammen mit dem Priester hielten sie am nächsten Morgen der Form halber einen Leichenschmaus ab. Wenn ich mir vorstelle, wie sie auf den Tatami in diesem ländlichen Tempel sitzen, dem Priester ein Mönchsmahl aufgetragen wird und auch seine Begleiter von den vegetarischen Speisen essen, wird mir irgendwie leicht ums Herz, obwohl ich nicht dabei bin. Da ich unter diesen Umständen beerdigt worden bin, fühle ich mich auch im Sarg nicht eingeengt. Aufgrund dieser Gedanken verschwinden auch die Vorstellungen, die mich bis jetzt gequält haben, spurlos, und ich fühle mich frisch und unbeschwert.

Seit Winteranfang habe ich durchaus auch unfrohe Stunden verbracht, Stunden, in denen mir mein Tod bewußt wurde, wenn meine Schmerzen stärker wurden oder meine Atemnot zunahm. Im Vergleich zum Sommer aber haben meine Qualen nachgelassen, da die Stunden zahlreich sind, in denen ich voller geistiger Spannkraft und Ruhe bin. (Meiji 34, 2.Monat)

Übersetzung: Otto Putz

Dankend entnommen: 'Hefte für Ostasiatische Literatur‘, Nr.8, März 1989.

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