: „Die Ölpest hat die politische Chemie Alaskas auf Dauer verändert“
Die Katastrophe hinterläßt nicht nur Ölspuren / Der Verursacher Exxon kann die Kosten spielend wegstecken ■ Aus Washington Silvia Sanides
„Wir hatten eine hervorragende Fischsaison erwartet - nun wird es nur Ärger geben.“ Jerry McCune, Vorsitzender des Fischereiverbands von Cordova in Alaska, sah der letzte Woche eröffneten Saison für Heilbutt und Lachs wie einem Alptraum entgegen. Niemand weiß heute, wie sich die Ölverseuchung auf den Fischfang auswirken wird, ob die Netze leer oder mit kranken Fischen gefüllt sein werden. Optimistisch Gestimmte erwarten einen Ertrag, der nur dreißig Prozent unter dem einer Durchschnittssaison liegt.
Doch mehr als die Erträge, befürchtet McCune, wird die Ölpest den gesamten Ablauf der Fischerei beeinträchtigen. Die Fische sollen auf Ölrückstände untersucht werden. Die Schiffe sind in der Ölbeseitigung eingesetzt und müssen wieder für die Fischerei umgerüstet werden. Niemand will auf den Fischkuttern und in der Fischverarbeitung arbeiten, weil Exxons fürstlicher Lohn für Ölschrubber unschlagbar ist. Drei Milliarden Dollar verdienten Alaskas Fischer im vergangenen Jahr. Diesmal, meint McCune, werde es gerade reichen, um „die Rechnungen zu zahlen“.
Mit einer Anzeigenkampagne will die Fischereiindustrie die Verbraucher von der guten Qualität der Alaska-Fische überzeugen. „Keine verseuchten Fische kommen auf den Markt“, heißt es in den von Exxon mitfinanzierten Anzeigen. Die Bilder verklebter Vögel und verschmierter Küsten sind jedoch so oft über die Bildschirme geflimmert, daß so manche VerbraucherInnen skeptisch bleiben werden.
Skepsis ist auch im Fischerdorf Tatitlek verbreitet, das an der Küste des Prinz-William-Sunds in Nähe des Unglücksorts liegt. Die 105 EinwohnerInnen leben von der Fischerei und ernähren sich von Fisch und Wild. Exxon hat sich bereiterklärt, für die Fangverluste mit barem Geld zu zahlen. Doch das ist ein schwacher Trost in Tatitlek: „Wir werden sicher nicht verhungern“, stellte der Bürgermeister fest, „aber wir verlieren unsere naturnahe Lebensweise“. Über „Lebensmittel aus dem Laden“ hat man sich in Tatitlek bisher immer nur mokiert. Jetzt sind die Austern- und Muschelbänke vor dem Dorf mit einem Ölfilm überzogen.
Nicht nur Alaskas Fischer, sondern auch die Tourismusindustrie bangt um ihre Kunden. Die Küsten von zwei Nationalparks, beides beliebte Ausflugsziele wegen ihrer Nähe zu Anchorage, sind inzwischen verseucht. Tausende von toten Ottern und Seevögeln verwesen am Strand. Die Ökologen schätzen, daß eine weit höhere Zahl im Wasser abgesunken oder von Raubtieren wie Bären und Adlern gefressen worden ist. Auch die Räuber verenden, wenn sie zuviele ölhaltige Mahlzeiten zu sich nehmen.
Dabei verlaufen Exxons Reinigungsarbeiten immer noch im Schneckentempo. Bis September will Exxon die „Putzaktion“ abschließen, weil danach Wind und Wetter die Arbeit erschweren - niemand außerhalb des Konzerns teilt diesen Optimismus. Überhaupt hat Exxons optimistischer Umgang mit Zahlen einigen Widerspruch erregt: 15 Prozent des Öls sei von der Wasseroberfläche abgeschöpft worden. Das „Zentrum für Meeresschutz“ schätzt die Zahl hingegen auf acht Prozent. 32 Prozent des Öls ist verdunstet und sieben Prozent wurde verbrannt, beteuert Exxon. Das „Zentrum“ beziffert die Mengen mit zwanzig und 0,2 Prozent.
In einem Punkt allerdings hat Exxon guten Grund für Optimismus: die Kosten für die Ölkatastrophe wird der Konzern ohne weiteres schlucken können. Immerhin machte der Ölmulti im letzten Jahr 5,3 Milliarden Dollar Profit. Die Ölpest wird laut Konzernschätzungen 500 Millionen Dollar kosten, wovon die Versicherung 400 Millionen zahlt.
Doch ganz gehen diese Rechnungen nicht auf - die politischen Kosten sind noch nicht berücksichtigt. Tim Kelley, konservativer Senator im Staatsparlament von Alaska, der über Jahre hinweg die Interessen der Ölindustrie vetreten hat: „Ich kann gar nicht oft genug sagen, wie tief dieser Vorfall die Seele von Alaska berührt.“ Und: „Persönlich enttäuscht und verraten“ fühle er sich.
Anderen Abgeordneten ging es ebenso, und so fällte das Parlament in der letzten Woche für die Ölgiganten schmerzhafte Entscheidungen. Steuerermäßigungen, die der Ölindustrie in den vergangenen neun Jahren 150 Millionen Dollar jährlich einbrachten, wurden abgeschafft. Gesetze, die zum Teil seit 1980 durch die ölfreundliche Mehrheit immer wieder abgelehnt wurden, passierten das Parlament im Flug. So müssen die Ölkonzerne heute strengere Umweltschutzbestimmungen befolgen als vor der Katastrophe im März, ihnen drohen höhere Geldstrafen bei Verseuchungen, und sie haben pro Barrel (159 Liter) gefördertem Öl fünf Cent an den Staat zu entrichten. Die Wahlen zum Staatsparlament im nächsten Jahr werden zeigen, wie weit die Katastrophe Alaskas Politik auch in Zukunft prägen wird. Gouverneur Steve Cowper, der sich über Jahre hinweg mehr für den Umweltschutz als die Interessen der Erdölindustrie eingesetzt hat, ist überzeugt: „Die Katastrophe hat die politische Chemie in Alaska auf Dauer verändert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen