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ÄSTHETIK DER VIDEOWAND

■ „Schwein sein“ mit Achim Konejung

Zwischen den Alt-68ern (Schlüsselerlebnis Vietnam) und den Alt-80ern (Schlüsselerlebnis Eigenheim) gibt es tatsächlich eine vergessene Generation: die 59er (ohne Schlüsselerlebnis, deshalb Geburtsdatum), die Flakhelfer der Kämpfer, die orientierungslos zwischen Ikearegal und Video herumschwimmen. Zwischen diesem unermeßlichen Universum tieferer Wahrheiten über den neuzeitlichen Yuppie süffelt leider auch Achim Kohnejung mit seinem neuen Programm herum: An der Zigarette sollst du ihn erkennen, „Die Freiheit ist die Freiheit der Besserverdienenden“, „Brigitte war bei der taz, jetzt ist sie bei Brigitte“, das konnte allenfalls vor Jahren Lachstürme erzeugen, Entsetzen schon damals nicht.

Kohnejung will Schwein sein, aber sein phänomenales Grinsen und Händchenkreisen zum dröhnenden Sampleplayback reißt offene Türen ein. Schweinsein macht sich schon eher fest am aufgeklärten Arbeitgeber-Künstler, der sich seine Begleitung, Herrn Glöder, vom Künstlerdienst billig leibeignet und ihm mit Zähneknirschen, aber verbindlich die Gewerkschaftspause und das vertraglich garantierte Solo am Kontrabaß bewilligen muß. Gegenüber dem zurückhaltenden nickelbebrillten, stirnfransigen Glöder im schwarzen Abendanzug läßt Kohnejung so richtig die Sau raus; Glöder dankt es ihm mit hinterhältiger Bogensabotage, spielt leidenschaftlich falsch und packt mitten im klimpernden Liedermachersentiment sein Butterbrot aus. „Ich könnte manchmal jemand killen, der mir nicht gefällt/ Ich könnte sinnvoll mich besaufen/ mich wie Che Guevara fühlen oder den Abwasch spülen/ bitte sag mir warum, Cherie...“ Da haben wir sie wieder, die schmelzende Sinnfrage, aber Konstantin, Stefan, Howard, selbst Udo (Jürgens & Lindenberg) bringen es einfach besser von der Intonation.

Statt auf sein „George Villabour„-Komödientalent (vom literarischen Meistertalent, das es gar nicht gibt, aber es merkt keiner) zu vertrauen, wirklich Schwein sein, statt nur die Stirntolle einzufetten, serviert Kohnejung wieder Aufklärung. Der Sinn fürs Grobe zeigt sich immerhin dann und wann: bei der Klage über Rushdie, („rumgereicht wie Giftmüll“), der WAA für verfolgte Intellektuelle, dem Disput zwischen Schwein und autonomem Kreuzberger („Du schwarzer Blockwart, Faschismus fängt mit der Sprache an!“) oder dem wöchentlichen Ausführen des inneren Schweinehunds ins Vegetarierrestaurant, mit dem man sich spätestens seit der Bundeswehr zur friedlichen Koexistenz der Blöcke geeinigt hat. Was den Kunstgenuß betrifft, so kann ABM-Kraft Gödel hinreißend überzeugen: Seine sehr abstrakte Eigenkomposition „Der Jäger weiß Bescheid“ ist einfach zum Heulen.

Dorothee Hackenberg

„Schwein sein!“ Noch bis 28.5. täglich um 21 Uhr im Mehringhoftheater

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