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Wissenschaft und Technik: Tabak und Seidenraupen in der Hexenküche der Gendoktoren

Frohgemut können die Tabakproduzenten in die Zukunft schauen. Mit dieser guten Nachricht erfreute Robert Erwin von der kalifornischen Biotechnologie-Firma „Biosource Genetics“ Anfang April die Vertreter der Tabakindustrie. Wer bisher Tabak angebaut hat und unter dem Rückgang der Zahl der Raucher leidet, wird zukünftig Medikamente und Kosmetika verkaufen. Produktionsstätte für die lukrativen Produkte soll die Tabakpflanze selbst sein. Den Forschern von „Biosource Genetics“ ist es gelungen, ein „Vektor-Molekül“ als Transportvehikel zu entwickeln, das fremde Gene mit Leichtigkeit in Tabakzellen einschleust. Der Vektor ist ein Abkömmling eines weitverbreiteten Tabakvirus. In Laborversuchen haben die Gendoktoren dem Vektor das menschliche Gen für Melaninsynthese angehängt. Melanin ist das in der menschlichen Haut auftretende natürliche Sonnenschutzmittel. Wenn der Vektor mit dem fremden Gen in die Tabakzellen eindringt, stellt Zelle um Zelle Melanin her. „Biosource“ plant, mit Melanin getränkte Schwämmchen als Sonnenschutzmittel zu verkaufen. Besonders erfreulich finden die Forscher, daß das fremde Gen in der Tabakpflanze nur wenige Tage aktiv bleibt und nicht an die nächste Generation vererbt wird. Die ökologischen Auswirkungen der Pflanzen, wenn sie später im Freiland angebaut werden, blieben dadurch gering. Ob die Regulierungsbehörden diese Meinung teilen, ist ungewiß. Immerhin haben öffentliche Proteste wegen ökologischer Auswirkungen von Freilandversuchen mit genmanipulierten Lebewesen bewirkt, daß die Genehmigung solcher Versuche heute einem Gang durch einen bürokratischen Irrgarten gleicht. Wenn es dann soweit ist, meint Erwin zukunftsfreudig, können Amerikas Tabakbauern je nach Marktbedingungen ihre Pflanzen die verschiedensten Kosmetika und Medikamente herstellen lassen. An einem ähnlichen biotechnologischen Zukunftstraum basteln mittlerweile die Franzosen. Ihnen dient nicht der niedere Tabak sondern die edle Seidenraupe als Werkstatt für die Produktion artfremder Stoffe. „Die Seidenraupe ist der beste Eiweißproduzent der Welt“, meint Pierre Couble von der Claude-Bernard-Universität in Lyon, „sie ist effizienter als industrielle Fermentierungsanlagen.“ Eines ihrer Gene zwingt die Seidenraupe dazu, unermüdlich die fünf Eiweiße der Seide herzustellen. Dieses Gen wollen die Biotechnologen nutzen, um die Raupe in Zukunft nicht nur reine Seide, sondern kostbare menschliche Eiweiße wie Insulin und das Krebsheilmittel Interferon spinnen zu lassen. Besonders vorteilhaft ist, daß die fremden Substanzen von den sie umgebenden Seidenfäden leicht gereinigt werden können. Nachdem es zunächst außerordentlich schwierig war, die fremden Gene in die Seidenraupen einzuschleusen, entwickelte Couble eine spezielle Mikroinjektionstechnik. Einzelheiten darüber hält er geheim, denn immerhin interessieren sich angeblich mehrere Firmen in Frankreich und im Ausland für die wahllos spinnende Seidenraupe.

New Scientist, New York Times

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