„Das sind Grundbedürfnisse“

Thomas Seidel, Sprecher der Bürgerinitiative gegen Tempo 100 auf der Avus  ■ I N T E R V I E W

taz: Ihre Aktionen wurden heftig kritisiert?

Thomas Seidel: Wir wurden als Krawallmacher, Randalierer und Chaoten bezeichnet. Da wurden wir also auch mit den Steinewerfern in Kreuzberg verglichen. Wir legen aber Wert darauf, daß wir friedlich und überparteilich sind. Gestern haben wir eine absolut super-saubere Demo durch die Stadt hingelegt.

Wieviel Mitglieder hat die Bürgerinitiative?

Die Bürgerinitiative hat keine Mitglieder, sondern nur einen Haufen Sympathisanten aus den kleinen Berliner Motorclubs. Da sind teilweise Leute dabei, die man wirklich an die kurze Leine nehmen muß, also die mit den bepflasterten und bespoilerten Autos. Es sind aber auch vernünftige Leute dabei: Oldie-Club, Porsche-Club, Mercedes -Club.

Wie sind Sie zu dieser Initiative kommen?

Ich habe eine Unterschriftenliste eines Privatmannes gegen das geplante Tempo 100 auf der Avus gesehen. Diesem Mann habe ich mich sofort angeschlossen. Als das Tempo 100 dann eingeführt wurde, gab es diese spontane Erhebung der Leute. Wir sind keine Umweltfeinde, wir sind auch keine Raser, aber wir sind Leute, die im Prinzip etwas gegen Gängelei haben. Und wir haben etwas dagegen, daß Autos ohne Katalysator langsam fahrend die Umwelt schützen sollen. Nur der sofortige obligatorische Kat bringt was.

Der schützt nicht vor tödlichen Unfällen.

Da haben wir die Statistik auf unserer Seite: die Toten wegen zu hoher Geschwindigkeit auf Autobahnen sind gering. Da muß also eine Güterabwegung stattfinden. Der Grundgedanke, daß der Mensch schon immer schnell laufen, fliegen, fahren wollte auf der einen Seite, und das Lebensrisiko des einzelnen auf der anderen. Speziell, wenn die Leute aus dem Transit durch die DDR nach West-Berlin kommen, drehen die auf, weil sie nach dieser stundenlangen Rollerei mit 100 mit den Nerven einfach fertig sind und sich danach austoben müssen. Das sind Grundbedürfnisse des Menschen, die man nicht so einfach unterdrücken kann. In Wirklichkeit geht es uns dabei natürlich nicht um die 6,5 Kilometer. Es geht darum, daß spätestens nach der nächsten Bundestagswahl überall Tempo 100 eingeführt werden soll. Bisher ist die Bundesrepublik das letzte europäische Land, wo man noch frei fahren kann. Dieser Zustand muß verteidigt werden.

Interview: Gabriele Riedle