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Autonome im ADAC

Am 1.Mai waren es noch die Kreuzberger Radaubrüder, die die Stadt in Aufregung versetzten, derzeit sind es ganz andere Autonome, die im Namen der Freiheit für Unfrieden sorgen: der ADAC und seine SympathisantInnen, die die Stadt aus Protest gegen Tempo 100 auf der Avus mit einer Welle von Abgas-Terror, Motor-Randale und Hup-Radau überzogen haben. Zwar ist der angerichtete Sachschaden der rasenden Autonomen nicht so direkt ablesbar wie bei zerschlagenen Fensterscheiben, doch unerheblich sind die akustischen wie bleiernen Belästigungen genauso wenig wie die Energievergeudung durch sinnloses Umherfahren.

Daß sich die staatstreue und gottesfürchtige Berliner Piefke-Seele zu derart subversiven, die natürliche Ordnung und Sicherheit ihres Mauer-Biotops unterminierenden Aktionen hinreißen läßt, wundert nicht - längst schon zelebriert jene autonome Bewegung ihre Gottesdienste zu den Feiertagen auf der Strecke München-Salzburg, pilgern die Massen auf Breitreifen zum Kamener und Frankfurter Kreuz und pflegen die tägliche Andacht in der City zur Rush-hour. Und da will nun der rot-grüne Senat dem gequälten Berliner Auto -Fundamentalisten seine letzten 6,5 Kilometer Himmelreich nehmen, auf denen er Vollgas geben darf? Das mußte die Motorisierten bis ins Mark treffen. Es wird nicht lange dauern, bis der ADAC ein amtskirchliches Gutachten vorlegt, die ein Avus-Tempolimit als Gefahr für Leib und Leben statistisch untermauert. Schon haben die Händler im autonomen Tempel - die Berliner Kfz-Innung - energischen Protest beim Bürgermeister eingelegt: „Flattererscheinungen von Rädern und Bremsscheiben sind erst bei einer über 100 km/h liegenden Geschwindigkeit feststellbar, ebenso Unwucht an Kardan-und Antriebswellen sowie Torsionsgeräusche an der Kupplung.“ Eine „umfassende Überprüfung der Kraftfahrzeuge wäre in Frage gestellt“, und auch ein Wink mit dem Allerheiligsten fehlt nicht: „Arbeitsplätze in Berlin wären gefährdet, wenn durch die geplante Maßnahme Werkstattkunden nach Westdeutschland ausweichen würden.“ 40 Jahre Grundgesetz, 40 Jahre freie Fahrt werden heuer gefeiert eine Erinnerung an das Sinnbild für den Aufschwung in den Wohlstand: die frisch entnazifizierte Kleinfamilie in ihrem VW-Käfer auf dem Weg nach Italien. In den jungen Jahren der Republik oblag es dem ADAC, Ernst Jüngers Topos der „allgemeinen Mobilmachung“, den die Nazis militärisch realisiert hatten, in nunmehr zivilisierter Form durchzusetzen. Eine hehre Aufgabe, die fast gelang: statt gepanzert gen Osten rollten die Deutschen fortan friedlich nach Süden. Daß sie sich dabei, als einziges Volk von keinem Verkehrszeichen aufhalten lassen, läßt ahnen, daß der Terror der Tachokratie auch 40 Jahre danach noch nicht ganz überwunden ist.

Mathias Bröckers

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