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„Inhaltliche Veränderungen auf den Weg gebracht“

■ Der Leiter der Abteilung für Strafvollzug im Justizsenat, Christoph Flügge, zur Kritik, im Strafvollzug seien noch keinerlei Reformen im Sinne der Koalitionsvereinbarungen zwischen AL und SPD umgesetzt worden: „Diese Einschätzung ist falsch“

taz: Es gibt heftigen Unmut in AL und SPD bis hinauf zur höchsten Funktionärsebene, aber auch in den Haftanstalten, daß von den Koalitionsvereinbarungen im Strafvollzug noch nichts umgesetzt worden ist.

Christoph Flügge: Abgesehen davon, daß diese Einschätzung falsch ist: Es gibt nicht nur Unmut, es gibt vielfältige Unruhe, aber von verschiedensten Seiten. Die Situation nach der Senatsumbildung ist von vielen als Aufbruch, aber von manchen anderen geradezu als Chaos und Umsturz empfunden worden. Es wird befürchtet, daß sich nun alles ändert. Andererseits wiederum wird erhofft, daß der Vollzug von einem Tag auf den anderen völlig umgestaltet ist. Wer sich das vorstellt, kennt den Vollzug nicht.

Die Kritik kommt aber gerade von Kennern des Strafvollzugs, die sehr wohl wissen, daß die Haftanstalten nicht von heute auf morgen umgekrempelt werden können, die aber auf symbolträchtige Entscheidungen für künftige Reformen im Sinne der Koalitionsvereinbarung warten.

Wenn Sie die Koalitionsvereinbarung ansprechen, kann ich konkret sagen, daß sich natürlich einiges bereits geändert hat, abgesehen einmal von ersten personellen Veränderungen in der Abteilung V (Abteilung für Strafvollzug im Justizsenat, d.Red.)...

...Sie sprechen von Herrn Bung (der bisherige Leiter der Abteilung Strafvollzug, der versetzt wurde, d.Red.)

Es ist ja nun nicht unbedingt ewas Selbstverständliches, daß personelle Umsetzungen relativ schnell erfolgen. Schauen Sie sich andere Senatsverwaltungen an. Das zweite ist, daß intensiv an der Veränderung der Geschäftsverteilung in der Abteilung V gearbeitet wird, mit den Mitarbeitern gemeinsam, nicht gegen sie. Weiterhin ist - und das ist der zweite Punkt der Koalitionsvereinbarungen - an alle Anstalten, aber auch an die betroffenen Verbände der Sozialarbeiter, der Strafverteidiger, der Beamten des Vollzugsbeirates die Bitte herangetragen worden, Vorschläge zur Überarbeitung der Ausführungsvorschriften hinsichtlich Urlaub und Vollzugslockerungen zu erarbeiten. An diesem Punkt werden den Haftanstalten jetzt erste Vorwegveränderungen mit dem Ziel mitgeteilt, bei Ausführungen und Ausgängen gewisse Veränderungen vorzunehmen.

Was die Überprüfung der Ausführungsvorschriften angeht, haben Sie für die Rückmeldung aus den Haftanstalten eine unglaublich lange Frist von vier Monaten angesetzt.

Wenn man will, daß die Mitarbeiter, die mit den Vorschriften arbeiten - nämlich die Gruppenleiter und Gruppenbetreuer auf der einzelnen Station - dazu etwas sagen, dann kann man nicht eine Frist von 14 Tagen setzen. Dann äußern sich nämlich ausschließlich die Anstaltsleiter. Ich möchte den breiten Diskussionsprozeß in den Anstalten haben, um aus der Fülle vernünftige Vorschläge für die Betroffenen, die damit arbeiten sollen, zu bekommen. Außerdem brauchen auch die Insassenvertretungen eine gewisse Zeit, um Stellung zu nehmen.

Trotzdem sind 14 Tage und vier Monaten ein erheblicher Unterschied. Sie setzen sich damit dem Verdacht aus, daß Sie nichts sofort entscheiden, sondern alles auf die lange Bank schieben.

Eine gravierende Entscheidung ist längst getroffen worden, sie ist nur noch nicht allseits zur Kenntnis genommen worden: Das Neubauprogramm in Tegel ist bereits gestoppt worden, es ist aus der Investitionsplanung gestrichen, mit allen Folgeentscheidungen, obwohl wir noch gar nicht im einzelnen sagen können, in welcher Form jetzt die vorhandenen Altbauten genutzt werden können.

Wie sieht es aus mit Punkten, die kein Geld kosten würden, die nach Auffassung von AL und SPD sofort umgesetzt werden können: die Ablösung des Moabiter Sicherheitsleiters, Regierungsdirektor Astrath, die Auflösung der Tegeler Sicherheitsgruppe.

Erstens nehme ich hier nicht zu Personaleinzelfragen Stellung. Wenn Sie aber - und das will ich einmal ganz allgemein sagen - meinen, daß die Versetzung von Beamten ganz schnell und unproblematisch durchgesetzt werden könnte, dann sehen Sie nicht, daß es Arbeitnehmerrechte gibt, und insbesondere ein sehr starres Beamtenrecht. Selbstverständlich kann nicht gegen den Willen von Mitarbeitern und gegen den Willen der Personalräte von heute auf morgen personell entschieden werden.

Das heißt, personelle Konsequenzen werden nur erfolgen, wenn es im Einvernehmen mit den betroffenen Personen steht?

Das sage ich nicht, sondern daß wir hier die Gesetze und Vorschriften einhalten, und zwar minutiös. Eine Justizverwaltung würde sich geradezu vorsätzlich gegen das Recht vergehen, wenn hier die Vorschriften nicht beachtet würden.

Eine neue Politik braucht neue Leute, oder wollen Sie die Reformen mit Herrn Krebs (langjähriger stellvertretender Abteilungsleiter, d.Red.) und diversen alten Fachaufsichtsreferenten umsetzen?

Auch in diesem Bereich wird es im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten nach und nach Personalveränderungen geben. In keiner Berliner Verwaltung werden Sie sehen, daß ein Massenaustausch von Beamten erfolgt. Das wäre auch völlig unverantwortlich.

Innensenator Pätzold hat sich, was den Verfassungsschutz angeht, etwas risikofreudiger gezeigt.

Hat er nicht. Er hat den Leiter der Behörde - einen politischen Beamten - in den einstweiligen Ruhestand versetzt, was jederzeit möglich ist. Dieses gibt es im gesamten Justizvollzug nicht.

Beim Verfassungsschutz wurden auch der Referatsleiter Bakker und zwei weitere hohe Führungsbeamte versetzt.

Ihnen wird bekannt sein, daß es auch in der Justizverwaltung Veränderungen gegeben hat.

Ausgerechnet der Mann, der in den Koalitionsverhandlungen die Vereinbarungen von seiten der SPD am maßgeblichsten vorangetrieben hat, der langjährige Strafvollzugsexperte Horst Detert, wurde mit keiner verantwortlichen Position in der Justizverwaltung betraut. Wie kann man auf diesen Mann verzichten?

Zu Personaleinzelfragen, die Gegenstand vielfältiger Gespräche waren und sind, kann ich hier nicht Stellung nehmen.

Gab es noch andere Entscheidungen von Symbolcharakter dafür, daß der neue Justizsenat die Reformen wirklich in Angriff nimmt?

Politik lebt doch wirklich nicht nur von Symbolen und Signalen, sondern von inhaltlichen Veränderungen. Inhaltliche Veränderungen werden auf den Weg gebracht. Im Bereich der Untersuchungshaft schweben uns erhebliche Veränderungen vor, wo wir bei intensiven Vorarbeiten sind. Was die Situation der Strafgefangenen in der Justizvollzugsanstalt für Frauen betrifft, hat es Veränderungen gegeben: die Postkontrolle, die Sprechstundenregelung - bei Familienangehörigen ohne Trennscheibe. Das hat ja auch dazu geführt, daß der Hungerstreik jetzt abgebrochen worden ist.

Großes Ziel der Koalitionsvereinbarung ist, daß der offene Vollzug zum Regelvollzug werden soll, was nur langfristig zu bewerkstelligen ist. Wie sehen die ersten Schritte in diese Richtung aus?

Den offenen Vollzug kann man nur ausweiten, wenn man die Kapazitäten ausweitet. Angestrebt ist die Wiedereröffnung der zur Zeit geschlossenen Nebenanstalt Söthstraße, um wieder mehr Plätze für Freigänger zur Verfügung zu haben. Im übrigen ist die Kapazität relativ begrenzt. Man kann in Düppel zur Zeit allenfalls aus Dreibettzimmern wieder Vierbettzimmer machen. Das ist zwar unzumutbar, wir werden diesen Weg aber wahrscheinlich beschreiten müssen, wenn mehr Gefangene - insbesondere aus Moabit - für den offenen Vollzug geeignet sind. Ansonsten müssen wir dieses mangels geeigneter Anstalten im Zusammenhang mit der Umstrukturierung des gesamten Vollzugs in Angriff nehmen: um zu sehen, auf welchen Standorten möglicherweise einzelne Teile für den offenen Vollzug geeignet sind. Eines ist klar: daß es Neubauten auch dafür nicht geben soll.

Wer wird das Konzept wann und wie erarbeiten?

Es ist vor dem Rechtsausschuß deutlich gesagt worden, daß hierfür eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden soll, bei der die betroffenen Anstalten, die zuständigen Fachaufsichtsreferenten und der Gesamtpersonalrat mitwirken sollen und die geleitet werden soll von einem Vollzugskenner, der nicht aus dem Berliner Vollzug kommt.

Im Rechtsausschuß hieß es, die Planungsgruppe soll sich mit der Neuorganisation der Frauenhaftanstalt befassen. Vom gesamten Strafvollzug war nicht die Rede.

Das läßt sich überhaupt nicht trennen. Wenn gefordert wird, den Bau der jetzigen Vollzugsanstalt für Frauen zukünftig für den geschlossenen Männervollzug zu nutzen, dann ist dies die eigentliche Planungsaufgabe. Man muß planen, wo die Frauen untergebracht - vorrangig im offenen Vollzug - werden sollen. Es stehen ja nicht überall Räume und Gebäude leer. Das hat Auswirkungen für die Jugendstrafanstalt, für die JVA Plötzensee (offener Männervollzug, d.Red.) für die Tegeler Anstalt und auch für den offenen Vollzug. Dann muß man sehen, welche Männer in der jetzigen Vollzugsanstalt für Frauen untergebracht werden sollen und was mit der Anstalt geschieht, aus der sie kommen.

AL und SPD sind entschieden dagegen, daß die Planungsgruppe von einem auswärtigen Experten geleitet werden soll. Sie halten Horst Detert für den geeigneten Mann.

Es ist sinnvoll, einen Leiter für eine solche Arbeitsgruppe einzusetzen, der in den Strukturen des Berliner Vollzuges nicht verankert ist, der nicht einerseits Gefahr läuft, die Interessen einer bestimmten Anstalt zu vertreten.

Kaum jemand kennt den Strafvollzug aus so vielen Perspektiven wie Detert.

Ich nehme hier zu Einzelpersonen nicht Stellung. Das ist aber keine Entscheidung gegen Herrn Detert, sondern für einen Auswärtigen.

Wann soll denn die Entscheidung bekannt gegeben werden, wer die Arbeitsgruppe leiten soll?

Sobald sie gefallen ist.

Wann soll die Arbeitsgruppe ihre Arbeit beginnen?

Das muß sehr schnell gehen, ich hoffe, daß das in wenigen Tagen oder Wochen der Fall sein wird.

Mitarbeiter der Haftanstalten sind enttäuscht darüber, daß die angekündigten Gespräche und Begehungen vor Ort noch nicht erfolgt sind.

Der erste Besuch von Frau Senatorin Limbach - bewußt in der offenen Anstalt Düppel - hat bereits stattgefunden, mit ausführlichen Gesprächen mit Mitarbeitern und dem Personalrat. Die weiteren Termine sind bereits festgelegt, wann die Anstalten besucht werden, wann intensive Gespräche mit Anstaltsleitungen, mit Personalräten, mit Mitarbeitern der verschiedenen Berufsgruppen und auch mit Insassenvertretungen geführt werden.

Mich interessiert noch, wie Sie sich die Zusammenarbeit mit den parlamentarischen Gremien und den Justiz -Fachausschüssen von AL und SPD vorstellen. Oder gedenken Sie, mit der alten Garde der Verwaltung isoliert vor sich hinzuwurschteln?

Das ist eine Frage, die Sie der Senatorin stellen müssen, die für den Kontakt mit dem Parlament zuständig ist. Ich persönlich halte es für geradezu wünschenswert und erstrebenswert, wenn möglichst viele Anregungen und Diskussionen auch aus dem parlamentarischen Raum kommen. Isoliert vor sich hinwurschteln will diese Verwaltung nun mit Sicherheit nicht. Kaum eine Verwaltung arbeitet so vor der Öffentlichkeit wie die Justizverwaltung im Bereich Strafvollzug.

Interview: plu

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