: Palmen für das Wunderkind
■ Die 42.Internationalen Filmfestspiele in Cannes sind zu Ende / Gewonnen haben die USA und ein Neuling
Vor zwei Wochen kannte ihn keiner, jetzt hat er den Hauptpreis des wichtigsten Filmfestivals eingesteckt: der amerikanische Debütant Steven Soderbergh. Die Goldene Palme ging an seinen Erstlingsfilm „Sex, Lies and Videotapes“, zweifellos verdient, dennoch schade, daß Filme wie Spike Lees „Do the right thing“ oder Jane Campions „Sweetie“ bei der Preisverleihung völlig leer ausgingen. Die Jury unter Vorsitz von Wim Wenders jedenfalls beurteilte sich selbst als „intelligent und integer“.
Auf dem diesjährigen Filmfestival in Cannes gab es keinen Ball für Weiße, keine Disco, keine Tanzfläche. Nur Lunchs mit Champagner und Parties, auf der die Presse betrunken gemacht werden sollte zwecks wohlwollender Berichterstattung. Ich bin wirklich enttäuscht. Auf der Berlinale gab es immerhin eine Vier-Mann-Band-Party der US -Army, auch nicht gerade die schärfsten Typen, aber so was zumindest müßte sich an der Riviera doch auf die Beine stellen lassen. Aber nein, hier tanzten nur die Schwarzen. Spike Lees Truppe, die wegen seines neuen Films Do the right thing angereist war, schmiß eine Sonnenuntergangs -Strandparty - und ich stand da als weißes Mauerblümchen. Ich war kurz davor, meinen Ärger an Lee's Film auszulassen, aber ich hab's mir verkniffen.
Belushis Geschichte
Bei Larry Peerce Film Wired kam mein Sarkasmus allerdings voll auf seine Kosten. Der Streifen basiert auf Bob Woodwards Buch über John Belushi. Schon als sein Film Less than Zero letztes Jahr herauskam, dachte ich mir, sein überdrehter Anti-Drogen-Stoff sei doch geradezu prädestiniert für eine Musical-Fassung. Jetzt haben wir sie. Belushi's Geschichte wird aus der Sicht einer Leiche erzählt, deren Seele wie ein Gespenst über New York und L.A. herumfliegt und über ihre vergangenen Sünden sinniert. Der verblichene Belushi wird von einem puertoricanischen Taxifahrer namens Angel durch seine Vergangenheit kutschiert. Angel wird von dem US-amerikanischen Schauspieler Ray Sharkey gespielt, weil, so die Produzenten Edward Feldman und Charles Meeker auf der Pressekonferenz, die puertoricanischen Bewerber beim Spielen der Rolle alle übertrieben haben. Was mich wundert, denn der Film selbst übertreibt so maßlos, daß ein bißchen folkloristische Übertreibung zusätzlich nicht weiter aufgefallen wäre. Der Fehler liegt bestimmt nicht bei Belushi-Darsteller Michael Chiklis, er hat nur gemacht, was die Regie von ihm wollte. Das Problem ist die Regie und das Skript selbst.
Der Film präsentiert ein kunterbuntes Durcheinander von Episoden aus Belushis Leben, nachgestellten Sketchen aus seiner Fernsehshow Saturday Night Live und Gigs von den Blues Brothers, Woodwards Gedanken über den Tod und den erwähnten Gespensterszenen. Jede Szene ist in einem anderen Musik-Video-Stil gedreht, was der ansonsten wenig erfinderische Regisseur wohl ausgesprochen toll findet. Schwerer wiegt jedoch die Tatsache, daß der Film die Frage, die er stellt, nicht beantwortet. Bob Woodward sagte auf der Pressekonferenz, daß Buch und Film ergründen wollten, warum Belushi, Amerikas Lieblingskomiker, Drogen nahm. Am Ende des Films hat man zwar immer noch keine Ahnung warum, dafür aber die Ohren voll mit theatralischen Sprüchen wie etwa diesem: Woodward phantasiert sich Belushis letzte überdosierten Minuten so zusammen, daß Belushi schreit: „Ich kann nicht mehr atmen, atme du für mich, Woodward!“ Woraufhin die Schauspielerin Gale Garnett zu mir sagte, es sei doch „ein Glück, daß Belushi nicht an Verstopfung gestorben ist“.
Verschwörung?
In der amerikanischen und der europäischen Presse kursierte das Gerücht, daß es eine Hollywood-Verschwörung gegen Wired gegeben habe, wegen der Darstellung der Drogenszene von L.A. Wie sich herausstellte, steckte die „Creative Artists Agency“ dahinter, eine der mächtigsten Schauspieleragenturen der Branche. Sie hinderte ihre Vertragspartner daran, bei Wired mitzuspielen, und setzte eine Reihe von Verleihern so unter Druck, daß diese den Film nicht vertreiben wollten. Dabei fällt das Porträt der Drogenszene nicht provokativer aus als in jedem anderen jüngeren Antidrogenfilm auch, keine Kino- oder TV-Größen tauchen darin auf und schon gar keine Stars, von denen jeder weiß, daß sie Belushis Vorliebe für Drogen teilen. Vielleicht haben die Verleih-Probleme ja doch mit der miesen Qualität des Films zu tun.
Den Preis für die beste Reklame für ein neues Filmprojekt bekommt in diesem Jahr Franco Zeffirelli, der einen neuen Hamlet drehen will, mit Glenn Close und Mel Gibson. Close wird die Gertrude spielen und ist bestimmt entzückt darüber, was Zeffirelli in seinem Jungen Toscanini - ein Camp-Klassiker, der der Rocky Horror Picture Show ernsthafte Konkurrenz macht - mit Elizabeth Taylor angestellt hat: Dort tritt La Liz in einer Szene als Schwarze auf.
Die besten Filmtitel von Cannes '89: Sex, Lügen und Videobänder, Rosalie geht einkaufen, Das Horoskop von Jesus Christus, Schmeißt Stefanie in den Müll und
-verzeih mir, Spike - Wie man mit einem Neger Liebe macht, ohne müde zu werden.
Das beste Begräbnis
Das beste Begräbnis bekam das italienische Kino. Splendor von Ettore Scola und Nuovo Cinema Paradiso von Giuseppe Tornatore, die beiden italienischen Wettbewerbsfilme, sind nichts als sentimentale Adieus fürs nationale Filmschaffen. Dabei hatten wir doch schon 1987 Fellinis wehmütigen Abschied, Intervista. Beide Filme wurden übrigens vom italienischen Fernsehen finanziert.
Die beste Pressekonferenz war die für New York Stories, den Episodenfilm von Scorsese, Coppola und Woody Allen. Mit Rosanna Arquette, die mit ihrem knallrot geschminkten Lippen aussah wie ein siebenjähriger Dreikäsehoch, die Mammis Parfum ausprobiert und dann den Rest des Make-ups aufißt. Und Nick Nolte erzählte, daß er sich auf seine Rolle als exzentrischer Maler vorbereitet hätte, indem er sich auf dem Set ununterbrochen betrunken hätte. Außerdem hätte er sich schon „in den frühen sechziger Jahren mit einem verrückten armenischen Maler herumgetrieben, der mich und meine Freunde zu besuchen pflegte und die Frauen regelmäßig ins Badzimmer schleppte und mit ihnen auf dem Waschbecken Cunnilingus machte. Das Waschbecken ging immer kaputt, und ich mußte es dann jedesmal reparieren. Seitdem weiß ich, wie man einen Maler spielt.“ Frau Arquette beeilte sich daraufhin, das Publikum darüber zu informieren, daß Nick Nolte bei diesem Film keine Waschbecken kaputtmachen durfte.
Die besten Filme
Um meine Leser nicht ganz zu enttäuschen, muß ich auch noch die besten Filme erwähnen: Zeit der Zigeuner, Speaking Parts und Sweetie.
Zunächst zu Speaking Parts, dem vierten Versuch des kanadischen Regisseurs Atim Egoyan über Medien und menschliche Motive. Egoyan (hierzulande auf der Berlinale 1988 mit Family Viewing bekanntgeworden) benutzt 35- und 16mm-Filmmaterial, TV- und Home-Videobänder, um dem Publikum zu zeigen, wie Habgier, Manipulation, Sex, Verzweiflung, Hingabe, Angst und ähnliche Dinge aussehen, wenn man sie unterschiedlich präsentiert. Es geht ihm um die Frage, wie das Medium unsere Interpretation - oder, was vielleicht wichtiger ist, unser Urteil - menschlichen Handelns verändert. Dabei vermeidet er die Pfade des billigen Kriegszugs von Liberalen wie Konservativen gegen Die Medien, das Gejammere über die Kaputtheit unserer Kommunikation (und die armen Kinder erst!). Egoyans Film registriert, daß nicht die Medien kaputtmachen, sondern die Menschen kaputt sind. Die modernen elektronischen Medien gebrauchen wir genauso wie seinerzeit Feder und Tinte. Früher klaute man Briefe, heute klaut man Videos, aber geklaut wird immer. Im Film und im Heimvideo können wir heute im wahrsten Sinne des Wortes unsere Bedürfnisse auf andere projizieren, früher taten wir dies vor unserm geistigen Auge. Aber damals wie heute ignorieren wir einander und mißbrauchen Freundschaft und Liebe.
In Zeit der Zigeuner zaubert Emir Kusturica (für seinen letzten Film Papa ist auf Dienstreise bekam er vor zwei Jahren die Palme) eine vollkommen fremde Welt, die ihrer Brutalität und Armseligkeit zum Trotz eine dichte, hektische Geschichte hergibt. Keine Sekunde entläßt der Film einen aus seinem Chaos. Das Drehbuch erzählt eine klassische Pubertätsstory: Einer verliert seine Unschuld in Sachen Liebe und Geld. Aber die jugoslawische Zigeuner -Gesellschaft, die Kusturica beschreibt, ist so phantastisch, daß ihm die Szenen aus dem wirklichen Leben so surreal geraten wie die Träume. Papa ist auf Dienstreise war energisch und kräftig, dieser Film ist ländliches Dada. Am besten die Szene mit der jungen, schwangeren Braut, die im Hochzeitskleid am Rande eines Lagers niederkommt, ihr Körper erhebt sich, schwebt - und der Wind fährt durchs Gebüsch.
Bizarre Strickmuster
Sweetie - ein fast schmerzhaft verwirrender Film der Neuseeländerin Jane Campion über Psychosen und familiäre Bindungen. Beunruhigender als die kranken Gefühle, die sie zeigt, ist der indirekte Ton und die matte Farbe des Films, gerade bei den widerlichen Grausamkeiten, die die Familienmitglieder einander zufügen. Oft geraten sie kaum ins Bild. Wie bei der Verrücktheit selbst bleibt die emotionale Ebene seltsam leblos und ohne Zusammenhang mit dem, was geschieht. Auch Campions Kameraarbeit ist hervorragend und im wahrsten Sinne des Wortes verrückt: Sie postiert die Figuren in die Bildecken, rückt die Ausschnitte weg von den Schauspielern in der Bildmitte, filmt Füße ohne Körper oder Zimmerecken, ohne jeden Zusammenhang. Campion hat eine private, hermetische Welt genommen und ihre bizarren Strickmuster dramatisiert. Das tut sie so erfolgreich, daß es schwerfällt, die Übelkeit wieder loszuwerden, die einen beim Verlassen des Kinos überkommt.
Schließlich gab's doch noch so was wie einen Ball für Weiße. Die Einladung der Disco „Whisky a GoGo“ verlangte von den Gästen, daß sie nackt kommen sollten, um mit den Mädchen des Hauses Wasserballet zu tanzen; Schwimmbassins seien vorhanden. Ein unbegreiflicher Vorschlag: Cannes liegt am Meer, warum sollte ich für etwas bezahlen, was mir und all den andern Promenaden-Mauerblümchen täglich umsonst geboten wurde? Marcia Pally, aus dem Amerikanische
von Christiane Peit
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