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Peking: Der Reformflügel hebt ab

■ Erste Zeichen für politische Lösung der Krise in China / Hinweise auf den möglichen Sieg der Reformer / Zhao „immer noch Generalsekretär“ / Das Leben in Peking normalisiert sich / 27 Tote in einer Provinzstadt?

Peking (afp/taz) - In China zeichnete sich am Mittwoch erstmals seit Tagen eine Lösung aus der politischen Krise ab. Dabei deutete alles auf einen Sieg des Reformerflügels der Führung unter Parteichef Zhao Ziyang über die Hardliner unter Ministerpräsident Li Peng hin. Li Peng hatte am Samstag morgen persönlich das Kriegsrecht über mehrere Bezirke Pekings verhängt. In einem deutlichen Eingeständnis, daß diese Maßnahme an der Zivilcourage der Bevölkerung scheiterte, zog die Volksarmee am Morgen ihre knapp 150.000 nach Peking entsandten Soldaten wieder ab und konzentrierte sie in einem Übergangslager im Westen der Stadt.

Glaubwürdigen Berichten zufolge traten am Mittwoch die Verhandlungen der chinesischen Führung über ihr weiteres Vorgehen in ihre Schlußphase. Dabei soll es auch um die Zukunft von Deng Xiaoping und Präsident Yang Shankun gehen, die beide die harte Haltung Lis unterstützt hatten. Bei den Spekulationen über die künftige Führungsriege der Volksrepublik fällt immer häufiger der Name des Parlamentspräsidenten Wan Li. Eine Studentendelegation zog zu Fuß zum internationalen Flughafen, um den vorzeitig aus den USA zurückgekehrten Wan Li zu empfangen. Nach ihren Angaben wollten sich ihnen später mehrere tausend Studenten zu einem Empfangsspalier bis zum Tiananmen-Platz anschließen. In Washington hatte Wan nach einem Bericht der englischsprachigen Zeitung 'China Daily‘ den „patriotischen Enthusiasmus der Studenten gewürdigt. Wan gilt als enger Vertrauter von Parteichef Zhao Zyiang. Die Studenten wollten den 73jährigen bitten, eine Sondersitzung des Nationalen Volkskongresses über die politische Lage im Land einzuberufen.

Außenminister Qian Qichen versicherte am Dienstag abend bei einem Essen mit den zwölf EG-Botschaftern, daß Zhao Ziyang „immer noch Generalsekretär der KPCh ist“. Zhao war in der vergangenen Woche ins politische Abseits geraten, weil er sich offen gegen die Verhängung des Kriegsrechts und für Gespräche mit den demonstrierenden Studenten ausgesprochen hatte. Seitem war der Parteichef von der politischen Bühne verschwunden. Gerüchte über seinen Rücktritt waren jedoch offiziell nie bestätigt worden. Erstmals seit Tagen erwähnte auch die Presse wieder den Namen des Parteichefs.

In den Zeitungen spiegelte sich am Mittwoch der tiefe Konflikt zwischen Reformern und Konservativen in Partei und Regierung wider. So veröffentlichten sie am selben Tag und teilweise auf derselben Seite widersprüchliche Berichte über die Massenproteste gegen Ministerpräsident Li und Unterstützungserklärungen aus 25 der 30 Provinzen Chinas für Lis Entscheidung, das „Chaos“ zu beenden.

Während aus mehreren Städten der Volksrepublik erneut Massenproteste gegen Li gemeldet wurden, schien sich das öffentliche Leben in Peking weiter zu normalisieren. Busse und Taxen nahmen wieder ihren Betrieb auf, die Straßensperren wurden entfernt. Einziges Zeichen für den Machtkampf hinter verschlossenen Türen war der Run auf die Zeitungen, die sich die Menschen gegenseitig aus den Händen rissen, um - zwischen den Zeilen - mehr über den Ausgang des Kampfes zu erfahren. Auf dem Tiananmen-Platz harrten unter provisorischen Zelten noch etwa 15.000 Studenten weiter aus. Sie sind nach eigenen Angaben entschlossen, solange nicht zu weichen, bis ihre Forderung nach dem Rücktritt Lis und einem Dialog mit der Führung erfüllt wurden. Gleichzeitig kündigten sie für den Nachmittag eine Massenkundgebung in Tianjin, 120 Kilometer östlich Pekings, an.

Um die Massenbewegung besser zu koordinieren, gründeten sie einen „Dachverband“, dem neben Studenten auch Arbeiter, Intellektuelle und Einwohner Pekings angehören. Vorsitzender der Bewegung ist Studentenführer Chia Ling von Pekings Normal College. Nachdem sie tagelang unter Hochspannung standen, machte sich erstmals am Mittwoch Ermüdung unter den Studenten breit. Berichte über den Abzug der Soldaten kommentierte ein Student der Qinghua-Universität: „Sie haben sich zurückgezogen, das stimmt, aber sie sind noch nicht weg.“

In Hangzhou, der Hauptstadt der Provinz Zhejiang unweit von Schanghai, sollen Gerüchten zufolge 27 Studenten an den Folgen des Hungerstreiks gestorben sein. Eine riesige Protestwelle solle das Leben in der Stadt darauf völlig zum Erliegen gebracht haben.

ar Siehe auch Seite 9:

Unter anderem Interview mit einem Soldaten und ein Interview mit einer Pekinger Studentin über die erste Nacht des Widerstands

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