: Bremer Kripo-Chef in der Klemme
■ Neue Zweifel an Gutachten über Todesursache von Emanule de Georgi / Wichtige Untersuchungen aus „Pietät“ versäumt Diagnose der Verletzungen durch Rückschlüsse gewonnen / Gerichtsmediziner: Italiener war nicht zu retten, konnte aber „überleben“
Ein Dreivierteljahr nach dem Bremer Geiseldrama könnte es für Bremens Kripo-Chef Peter Möller noch einmal verdammt eng werden. Mit einem ganzen Bündel offener Fragen und erheblichen Zweifeln an den Gutachten über die Todesursache des 14jähigen Emanuele de Georgi ging gestern der parlamentarische Untersuchungsausschuß nach der Vernehmung des Bremer Gerichtsmediziners Jobst v. Karger auseinander.
In einem vorläufigen Gutachten war von Karger seinerzeit zu dem Ergebnis gekommen: Emanuele de Georgi wäre bei rechtzeitiger notärztlicher Versorgung wahrscheinlich zu retten gewesen. Ein Notarztwagen war je
doch nicht da, als der tödliche Schuß fiel. Erst eineinhalb Stunden nach seiner Verletzung war der Junge im St.-Jürgen -Krankenhaus eingetroffen. Noch in der Nacht starb er. Anfang des Jahre korrigierte v. Karger seinen ursprünglichen Befund. In einem zweiten Gutachten kam der Gerichtsmediziner zu dem Ergebnis: Emanuele de Georgi hat zu keinem Zeitpunkt eine Chance. Er starb an Gehirnblutungen, die „operativ nicht zu beherrschen“ gewesen wären,
Genau diese Diagnose beruht allerdings lediglich auf Hypothesen und Rückschlüssen. Zweifelsfrei nachgewiesen wurden die tödlichen Verletzung von Blutgefäßen im Kopf des Jungen zu kei
nem Zeitpunkt. Aus „Pietät“, erläuterte von Karger gestern, habe man auf die dazu notwendigen Eingriffe verzichtet. Auch der Hamburger Spezialist und Neuro-Chirurg, Professor P. Voeltz, auf dessen Aussagen v. Karger sich in seinem zweiten Gutachten weitgehend stützt, konnte die tödlichen Gefäß -Verletzungen lediglich rekonstruieren. Ein exakter Nachweis durch eine Sektion war auch Voeltz, dessen Gutachten dem Ausschuß aus unerfindlichen Gründen bis heute nicht vorliegt, nicht möglich. Entsprechend wimmelt es in v. Kargers endgültiger Befund von „könnte“, „dürfte“ und „müßte“. Darüberhinaus ging v. Kargers Hamburger Kollege offensichtlich von ei
ner fachgerechten notärztlichen Versorgung Emanuele de Georgis am Einsatzort aus - eine Annahme, an der nach der bisherigen Beweisaufnahme des Ausschusses zumindest heftige Zweifel angebracht scheinen. Geradezu verzweifelt wirkt vor diesem Hintergrund die Beteuerung in v. Kargers Resumee, diese Frage sei letztlich unerheblich.
Allerdings: Selbst wenn Emanuele de Georgi durch ärztliche Kunst auf keinen Fall zu retten gewesen wäre - für Bremens Kripo-Chef Peter Möller könnte durchaus entscheidend sein, ob das Leben des italienischen Jungen möglicherweise zu verlängern gewesen wäre. Möller, gegen den die Staatsanwaltschaft
immer noch wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung ermittelt, hatte es trotz einschlägiger Dienstvorschriften versäumt, bei der Verfolgung des Geisel-Busses auch einen Notarztwagen mitzuschicken. Für die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Bremer Kripo-Chef kommt es nämlich nicht darauf an, ob Emanuele de Georgi hätte gerettet werden können, sondern ob er die Schußvrletzungen hätte überleben können - eine feinsinnige juristische Unterscheidung, auf die der Bundesgerichtshof in einem anderen Fall bereits 1985 hingewiesen hat: In einem höchstinstanzlichen Urteil kamen die Richter damals zu dem Ergebnis: Der Verdacht der fahrlässigen
Tötung ist bereits gerechtfertigt, wenn der Eintritt des Todes sich durch fachgerechte ärztliche Versorgung hätte verschieben lassen. Genau das wollte Gerichtsmediziner von Karger gestern nicht ausschließen. Von Karger: „Der Tod des Jungen war aufgrund der Schußverletzungen unvermeidlich, er hätte aber möglicherweise noch relativ lange leben können.“ Und auf Nachfrage, was er unter „relativ lange“ verstehe: „Möglicherweise Tage oder Wochen.“
Aufgrund solcher Ungereimtheiten wird der Untersuchungsausschuß jetzt entscheiden müssen, ob er weitere Mediziner laden muß, um die Schlußfolgerungen der Ärzte fachlich überprüfen zu können.
K.S.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen