: Berliner Polizeieinsatz gegen Rot-Grün
Ließ die Berliner Polizeiführung den rot-grünen Senat am 1.Mai gezielt in die erste Krise schlittern? / „Die Einsatzstrategie war eine einzige Katastrophe“ ■ Aus Berlin Till Meyer
Das Einsatzkonzept, nach dem die straßenkampferprobte West -Berliner Polizei zum diesjährigen 1.Mai nach Kreuzberg ausgerückt war, hatte alle Eventualitäten einbezogen. Noch vor zwei Jahren war das anders: Damals hatte sie „die Lage völlig falsch eingeschätzt“ und war mit nur 400 Beamten rund um das traditionelle Kiezfest am Lausitzer Platz in Kreuzberg präsent - und mußte prompt die Flucht ergreifen: Jung und Alt, Türken und Deutsche nutzten die polizeifreie Zeit und plünderten kurzerhand Laden und Lädchen, Wäschegeschäfte ebenso wie Supermärkte, von denen einer nach vollzogener Leerung bis auf die Grundmauern niederbrannte.
Im Jahr darauf, zum 1.Mai 1988, hieß die Polizeidevise dann: Knüppel aus dem Sack. Berlins damaliger CDU-Senat setzte auf Härte. Seine Bilanz: Hunderte zum Teil schwer verletzte Bürger, 134 Festnahmen, verprügelte Journalisten und, im Eifer des Gefechts, drei von der Spezialprügeleinheit EbLT verhauene Polizeiführer. Zu den schärfsten Kritikern der polizeilichen Gewaltausbrüche gehörte seinerzeit der Sicherheitsexperte der SPD, Erich Pätzold.
Ein Jahr später, unter rot-grüner Regierung, tritt die sturmerprobte Berliner Polizei, diesmal unter der politischen Verantwortung des neuen Innensenators Pätzold, erneut zum 1.Mai an - um sich nach Strich und Faden verhauen zu lassen. Die gleichen Polizeiführer, die noch vor Jahresfrist „eine Blutspur durch Kreuzberg gezogen haben“, so damals die Alternativen, erwiesen sich unter Rot-Grün als ausgemachte Dilettanten. Die Aufräumungsarbeiten in Kreuzberg hatten noch nicht begonnen, da machte die oppositionelle CDU die Schuldigen aus: Pätzold und die Alternativen. Die Führungsspitze der Berliner Polizei sekundierte die Anwürfe gegen ihre politische Führung und spielte der Springer-Presse das Protokoll einer internen Vorbesprechung zwischen Polizeiführung und dem Innensenator zu. Hauptvorwurf aus der Polizeispitze: Die politischen Vorgaben des Senators seien „Weisungen“ zur Einsatzstrategie gewesen und hätten den Aktionsraum der Polizei auf „Null“ gebracht. Zentrale politische Vorgabe des Senators: Deeskalation. Und so sei man eben verfahren.
In der Tat, eine Polizei, von der man seit Jahren erleben kann, daß sie sich „hartes Durchgreifen“ zur Maxime macht, hat sich am 1.Mai 1989 ihrer eigenen Logik zuwider verhalten - und damit Rot-Grün kräftig in die Pfanne gehauen. Unbestritten dürfte zwar sein, daß ein paar hundert zum Trouble bereite Leute, egal welche Einsatzkonzeption die Polizei verfolgt, auch zu ihrem Trouble kommen. „Die Polizei operiert als großer Verband, und wenn der nicht von der Einsatzzentrale lagebedingt geführt wird, gibt es Schlamassel“, kommentiert ein Beamter der mittleren Führungsebene das Desaster vom diesjährigen 1.Mai. Demnach hatte der alle Jahre wieder zum gleichen Termin und am gleichen Ort ausbrechende „spontane Riot“ seine „militärischen Erfolge“ in dieser Größenordnung offenbar der CDU und ihrer Seilschaft im Führungskader der Polizei zu verdanken. „Die Sicherheitspolitik“, so der abgewählte CDU -Exregierungschef Diepgen direkt nach der Mai-Randale, wird von dem rot-grünen Senat „nach dem Verständnis der linksextremen Gegner dieses Staates“ praktiziert. Davon kann allerdings keine Rede sein, die politischen Vorgaben des SPD -Innensenators waren klar. Am 24. und 27.April hatte Pätzold seine Polizeiführer zum Gespräch geladen - einziges Thema: mögliche Ausschreitungen anläßlich der Mai-Umzüge und des Kiezfestes auf dem Lausitzer Platz. Anwesend: der Leiter des Einsatzes, Polizeidirektor Ernst, Polizeipräsident Schertz und die Landespolizeidirektoren Kittlaus und Leupold. Über beide Gespräche fertigten die Polizeioberen „Protokolle“ an, die sie zwar nicht mehr dem Senator vorlegten, dafür aber in die Polizei gaben.
„Diese Protokolle,“ so Pätzold, der von deren Existenz erst nach dem 1.Mai aus der Springer-Presse erfuhr, hatten „angeblich Vorgaben und Weisungen enthalten“, die er, Pätzold, nie gegeben hatte. Pätzolds tatsächliche Vorgaben: so wenig Polizeipräsenz wie möglich, um „unnötige Reibungen zu vermeiden“, aber auch: Die Polizei soll den Aufzug in den Seitenstraßen entlang der Demoroute begleiten, die Polizeiführung hat selbst zu entscheiden, welche gebotenen Maßnahmen sie für die jeweilige Situation trifft, um Ausschreitungen möglichst zu verhindern oder zu begrenzen, gegen Gewalttäter hat sie entschlossen vorzugehen, gegenüber anderen Bürgern aber große Sensibilität zu zeigen. In den internen Polizeiprotokollen „klingen diese Prinzipien allerdings nur als Tendenzen an“, beklagt sich Pätzold mit Schreiben an seinen Polizeipräsidenten vom 7.Mai.
Pätzolds „Vorgaben“ hatten natürlich nichts mit „linksextremer Sicherheitspolitik“ zu tun. Und doch war vieles anders: Beharrlich ging die Polizeiführung von nur 2.000 Demonstrationsteilnehmern aus, obwohl es auch andere Erkenntnisse gab. Informanten des Verfassungsschutzes meldeten noch am 1.Mai, „daß es während und nach der Demo zu Ausschreitungen kommen wird“. Für den Fall, so Einsatzleiter Ernst in einem Vorgespräch mit der AL am 26.April, „werden wir eingreifen“. Für alle gefährdeten Objekte entlang der Demoroute werde Objektschutz angeordnet; zudem, so Ernst weiter, werden starke Kräfte den Aufzug auf Seitenstraßen begleiten. Auch das Tragen von Haßkappen während der Demo wolle er nicht dulden und schon gar nicht „das Abmarschieren eines geschlossenen Blocks von Störern in Richtung Festplatz“ zulassen.
Nach der Logik des Polizeiführers Ernst und den Vorgaben des Senators hätte die Demonstration bereits eine halbe Stunde nach ihrem Abmarsch um 13.30 Uhr aufgelöst werden müssen: Entlang der Demonstration klirren die Scheiben von Sex-Shops, Spielhallen und Videoläden. Eine Stunde später werden zwei Supermärkte geplündert und alte Reifen angesteckt. Banken, Spielhallen und diverse „Salons“ verlieren auch in Neukölln ihre Scheiben. Der „Objektschutz“ zieht allerdings in der Regel erst auf, wenn die Demo bereits vorbei ist. Auf dem Weg zur Abschlußkundgebung wird noch eine Woolworth-Filiale ausgeräumt. Inzwischen gibt es zwei Blöcke Haßkappenträger innerhalb der zeitweise auf 10.000 Teilnehmer angewachsenen Demonstration. Nach der Plünderung von Woolworth schlägt die Demoleitung der Polizei vor, die Demonstration jetzt aufzulösen. Im polizeilichen Führungsstab hält man sich bis 20 Uhr allerdings völlig bedeckt.
Nachdem der Demonstrationszug fast zwei Stunden ohne Einschreiten der Polizei seinen Weg ziehen konnte, rückt die Einsatzbereitschaft 21 mit 60 Mann zur „einschließenden Begleitung“ an. Die Demonstration ist zu Ende, keine Festnahmen, keine Prügelorgien. Ein Block von gut 400 Haßkappenträgern geht geschlossen in Richtung Lausitzer Platz, dort ist das Fest in vollem Gang, und gut 12.000 Besucher drängeln sich auf dem Platzviereck. Die Polizei hat längst die „Phase II“ eingeleitet - unfriedlicher Verlauf. Aber jetzt nimmt erst mal der bisherige Einsatzleiter Ernst seinen Hut und macht Feierabend. Statt an seinen Stellvertreter, den zweiten Mann dieses Einsatzes, Befehlsstellenleiter Döring, übergibt Ernst die Führung an den in derartigen Einsätzen unerfahrenen Polizeioberrat Hinzke.
Um 17.17 Uhr erklären die Festveranstalter das Fest für beendet. Fluchtartig verlassen Veranstalter und Besucher den inzwischen von Tränengasnebel überzogenen Platz. An der Nordseite des Platzes waren kurz zuvor die 60 demobegleitenden Polizisten durch quer über die Straße gestellte Großcontainer und einen Steinhagel gestoppt worden. Waren bereits während der Demo die Vorgaben der Polizeiführung, „bei Störung der öffentlichen Sicherheit unverzüglich einzuschreiten“, nicht umgesetzt worden, so chaotisierte die Polizeiführung jetzt erst recht. Bis 20 Uhr dominierte „eine veheerende Einsatzkonzeption, obwohl es nicht viel mehr Störer waren als 1988“, resümierte ein Hauptkommissar das Desaster. Über 1.600 Beamte mit schwerem Gerät waren inzwischen im Einsatz - mehrheitlich allerdings weit weg vom Geschehen. Etliche Einsatzbereitschaften hatten bereits während der Demo Gammeldienst an weit abgelegenen Orten geschoben und waren selbst dann nicht eingesetzt worden, als die Bereitschaftsführer das forderten. Die einen bekamen vom Führungsstab keinen Einsatzbefehl, andere wurden zu spät herangeführt und wieder andere „blieben einfach im Verkehrsgewühl stecken“, so die „EB 41“.
Derweilen hatte sich für die 300 eingesetzten Beamten vor Ort um den Lausitzer Platz eine brenzlige Lage ergeben. Zweimal zogen Polizisten ihre Waffe, „weil sie von Vermummten bedroht wurden“. Auf dem Görlitzer Bahnhof gegenüber des Lausitzer Platzes wurde dem Polizisten Bork gegen 19 Uhr die Dienstwaffe geklaut, und die Besatzung eines festgefahrenen Wasserwerfers dachte bereits an Aufgabe des Panzerungetüms. „Diese Defensive, in die wir da geraten waren, war nur deshalb möglich, weil die Einsatzleitung uns nicht lagebezogen eingesetzt hat“, beschwerte sich ein Hauptkommissar später bei seinem Dienstherrn Pätzold.
Davon wollen die Polizeiführer allerdings nichts wissen. Sie weisen jede Verantwortung für das Dilemma zurück und machen Stimmung gegen die Regierungskoalition. Knapp 16.000 „anständige Berliner“ folgten dann auch einem Aufruf der Gewerkschaft der Polizei und der CDU und forderten lautstark: Rot-Grün muß weg. Einen Protestbrief von 18 Polizeiführern, unter ihnen alle Abschnittsleiter, an den Innensenator mit der Forderung nach „härterem Durchgreifen“ wollte der Senator vor Klärung der Vorfälle um den 1.Mai allerdings nicht annehmen. Der Senator ließ die Hardliner wissen: Die Obristenrevolte ist sofort niederzuschlagen.
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