: Die CDU fordert Abbitte
■ Die Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses soll gegen ihr Gewissen die Mahnworte zur Wiedervereinigung sprechen - oder zurücktreten, meint Diepgen
Die Weigerung der Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses, Hilde Schramm (AL), die Sitzung am Donnerstag mit den Mahnworten zur Wiedervereinigung zu eröffnen, nutzt jetzt die CDU-Opposition zur Stimmungsmache gegen den rot-grünen Senat. Bundeskanzler Kohl leistet Schützenhilfe aus Bonn. Die von Hilde Schramm gewünschte Debatte um die Formel, in der das Bekenntnis zur „Wiedervereinigung Deutschlands und seiner Hauptstadt Berlin“ festgelegt ist, findet nicht statt.
Einen „erschreckenden politischen Skandal“ hat Bundeskanzler Kohl darin entdeckt und das Verhalten der „linksradikalen Alternativen Liste“ als „keine zufällige Entgleisung“ bezeichnet. Nicht die Wiedervereinigungsformel verdiene es, „ein Relikt aus dem Kalten Krieg“ (Schramm) genannt zur werden, sondern die „unmenschlichste Grenzanlage der Welt“. Kohl meint damit die Mauer.
Nachdem bereits am Donnerstag der Abgeordnete der Republikaner Andres den Rücktritt der Vizepräsidentin gefordert hatte, will jetzt auch Eberhard Diepgen, daß Hilde Schramm „Konsequenzen zieht“. In einem gestern veröffentlichten Brief an sie fordert der Oppositionsführer Klarheit darüber, „daß Sie erstens auf solche provokativen Aktionen zum Schaden des Parlaments in Zukunft verzichten und zweitens bereit sind, die Sitzungen des Abgeordnetenhauses mit der von Willy Brandt stammenden Formel künftig zu eröffnen“.
Der Verdacht drängt sich auf, daß Präsident Wohlrabe (CDU) die Vizepräsidentin bewußt in diese Lage gebracht hat. Hilde Schramm hatte, nachdem ihr die Sitzungsleitung zugefallen war, an Wohlrabe geschrieben und ihn gebeten, sie von dieser Pflicht zu entbinden. Sie teilte Wohlrabe auch ihre Absicht mit, auf eine Änderung der Formel hinzuarbeiten. Doch Wohlrabe hatte darauf nicht reagiert. Er eröffnete dann allerdings nach dem Eklat selbst die Sitzung mit den Mahnworten.
Marianne Brinkmaier (SPD), ebenfalls Vizepräsidentin, kritisierte gestern ihre Amtskollegin Schramm. Zwar sprechen sich die Sozialdemokraten ebenfalls für eine zeitgemäßere Formel aus, doch solle man solange, bis diese gemeinsam mit der CDU gefunden sei, an den alten Mahnworten festhalten.
bf
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