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Boykottkosten fremdfinanziert

Die Grünen Bundestagsabgeordneten sollen ihre Strafbefehle wegen VoBo aus dem Ökofonds der Partei begleichen / SZ-Eigner kippten Hungerstreik-Berichterstattung  ■ * In der Fraktionssitzung der Bundestagsabgeordneten der

Grünen herrschte Schweigen. „Aufzeigen“, wie es die Abgeordnete Gertrud Schilling gefordert hatte, mochte erst recht keineR. Frau Schilling hatte wissen wollen, wer von den ParlamentarierInnen inzwischen klammheimlich die Bußgeldbescheide im Zusammenhang mit dem Boykott der längst vergessenenen Volkszählung bezahlt habe. Den Boykottaufruf hatte die Partei Anfang 1987 beschlossen. Dreiundzwanzig Abgeordnete hatten Strafbefehle erhalten, nachdem sie sich vor dem Bundestag mit einem Transparent mit der Losung „Volkszählungsboykott“ postiert hatten. Ergebnis des Rechtswegs: Geldbußen zwischen 600 und 3.000 Mark, von denen die Mehrzahl inzwischen rechtskräftig sind. Wer bezahlt hat, weiß auch der Fraktionsjustitiar nicht: „Die sind teilweise so schusselig, daß sie es nicht wissen“, zeigt aber Uwe Günther Verständnis. Wie sich in der Fraktionssitzung zeigte, ist den meisten das Einlenken doch wenigstens peinlich.

Über „Selbstpriviligierung“ und „doppelte Moral“ empörte sich der hessiche Abgeordnete Dietrich Wetzel, als sich heraustellte, daß die Strafbescheide auch noch aus den Geldern bezahlt werden, die die Abgeordneten eigentlich an den Ökofond der Partei abführen sollen. Dafür gibt es sogar einen Beschluß der Fraktion, förderte seine Nachfrage hervor. Etliche Abgeordnete hatten sich nämlich gegen den Bußgeldbescheid mit dem nachträglichen Hinweis gewehrt, auf dem Transparent habe nicht „Volkszählung - Volksentscheid“ gestanden, wie es die Fraktion beschlossen habe, sondern eben „Volkszählungsboykott“. Deswegen, so die Argumentation, zahle man eben auch nicht aus der Privattasche, sondern aus den Ökofond-Abgaben. * In den 40. Geburtstag der Bundesrepublik feierte man am vergangenen Montag in der Landesvertretung von NRW in Bonn. Udo Lindenberg malte die rot-grüne Vision an den Horizont und traf damit die in der Luft liegende Stimmung. Als die Kölner Rockgruppe BAP spielte, stand auch Schleswig -Holsteins Ministerpräsident Björn Engholm hüftsteif in der tanzenden Menge und ließ lediglich seine Pfeife im Takt wippen. * Wer sich wunderte, warum die ausgezeichnete Berichterstattung der 'Süddeutschen Zeitung‘ zum Hungerstreik der RAF-Gefangenen im April plötzlich aufhörte und nur noch Agenturmeldungen zu finden waren, bekam eine späte Aufklärung. Aus dem Justizministerium, so war jetzt zu erfahren, hatte es eine Beschwerde an die Herausgeber des Münchener Blattes gegeben. Vergrätzt war man im Ministerium, daß die Berichte sehr präzise den Unwillen der staatlichen Stellen und den Unwillen an einer Lösung des Konflikts nachzeichneten. Die liberale Zeitung reagierte prompt. Der Redakteur Klaus Dreher, immerhin SZ-Büroleiter in Bonn, durfte sich fürderhin anderen Themen widmen.

Gerd Nowakowski

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