: Rehabilitationshilfe für Folteropfer in der Türkei
80 Prozent aller Gefangenen in der Türkei leiden an Gesundheitsschäden durch Haftbedingungen / Rehabilitationszentrum in der Türkei geplant / Mitbegründerin des türkischen Menschenrechtsvereins auf Europareise ■ I N T E R V I E W
taz: Frau Firtina, welchen Zweck hat Ihre gegenwärtige Rundreise durch Europa?
Leman Firtina: Ich bin Mitbegründerin und zweite Vorsitzende des Menschenrechtsvereins in der Türkei, der 1986 gegründet und 1987 offiziell zugelassen wurde. Ich wurde hierher eingeladen, um über Menschenrechtsverletzungen und politische Verfolgung in der Türkei seit dem Militärputsch 1980 zu berichten. Der Verein hat verschiedene Kampagnen durchgeführt, unter anderen für die Abschaffung der Todesstrafe und eine Generalamnestie für alle politischen Gefangenen. Ich möchte unsere Arbeit in Europa bekannt machen. Für die Reise bin allerdings alleine ich verantwortlich, ich spreche nicht im Namen des Vereins.
Welche Menschenrechtsverletzungen gibt es derzeit in der Türkei?
Ein aktuelles Beispiel von Menschenrechtsverletzungen sind die Vorfälle am 1.Mai, wo über 500 Personen festgenommen worden sind und jetzt wegen „illegaler Demonstration“ vor ein Staatssicherheitsgericht gestellt werden. Das ist ein Sondergericht, das nach Aufhebung des Kriegsrechts das Militärgericht abgelöst hat; von drei Richtern ist immer noch einer ein Militär. Der 1.Mai ist überall in der Welt der Tag der Arbeit, nur in Südkorea und der Türkei ist dieser Feiertag verboten. Wir fordern, daß wir diesen Tag wie der Rest der Welt als Feiertag begehen können.
Der Menschenrechtsverein will Geld für ein Rehabilitationszentrum für Folteropfer sammeln. Wie soll das geschehen?
Bevor ich hierherkam, besuchte ich sehr viele Gefängnisse in der Türkei und mußte feststellen, daß ungefähr 80 Prozent aller Gefangenen und gerade Entlassenen an Krankheiten leiden, die nicht behandelt werden: Krebs, Lähmungen, unbehandelte Amputationen, Zahnausfall, Augenkrankheiten. Für diese Meschen, die Opfer von Folter und von schlechten Bedingungen im Gefängnis sind, will unser Verein ein Rehabilitationszentrum gründen, das Gelder aus dem Ausland sammeln darf. Es kann aber jetzt schon Geld gesammelt werden, damit die Stiftung weiß, mit welchen Mitteln sie rechnen darf.
Warum geht es den Gefangenen so schlecht? Gibt es keine Ärzte?
Erstens sind die hygienischen Bedingungen und die Ernährung im Gefängnis sehr schlecht. Zweitens gab es seit dem Militärputsch eine große Zahl von Hungerstreiks, die die Gesundheit der Häftlinge stark angegriffen haben. Es gibt zum Beispiel eine Frau namens Aysel Zehir, die nach einem Hungerstreik schon seit Jahren im Koma liegt und keinen Paß bekommt, um im Ausland behandelt zu werden. Drittens kümmern sich die Gefängnisärzte nicht ausreichend um die Gefangenen; wenn Anträge gestellt werden, dauert es sehr lange, bis die Gefangenen in ein Krankenhaus verlegt werden. Und dort werden sie dann oftmals mit Ketten ans Bett gefesselt und von Wärtern bewacht. Viertens können sich Entlassene oft nicht behandeln lassen, weil das gegen teures Bargeld bezahlt werden muß.
Hat der Menschenrechtsverein Schwierigkeiten in seiner Arbeit?
Erstmals haben wir finanzielle Probleme, weil wir uns nur über inländische Spenden und Beiträge finanzieren können. Deswegen verkaufen wir Anstecknadeln und Bilder von Gefangenen. Außerdem spüren wir politischen Druck. Als wir die Kampagne für Generalamnestie und gegen die Todesstrafe durchführten, wurden Mitglieder von uns beim Unterschriftensammeln festgenommen und vor Gericht gestellt, schließlich allerdings freigesprochen. Auch der Vorstand wurde angeklagt und schließlich freigesprochen, weil er angeblich über die festgelegten Ziele hinausgegangen war in der Türkei dürfen sich nur Parteien und nicht solche Vereine wie wir politisch äußern. Wir erwarten auch bei der Errichtung des Rehabilitationszentrums Probleme, aber das kann man jetzt noch nicht absehen.
Interview: Ute Scheub
Spendenkonto für die Behandlung von Folteropfern in der Türkei: 6433288, Angelika Claußen, Sparkasse Bielefeld, BLZ 48050161, Stichwort Behandlungszentrum
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