: „Krankenpflege im Akkord ist Mord“
■ Das Pflegepersonal im Krankenhaus Ost trat gestern in den Streik / Druck auf Tarifkommission
Scharenweise hingen die Bettlaken aus den Fenstern, doch abseilen wollte sich gestern keiner. An der grauen Betonfassade des Krankenhauses prangte in leuchtend-roten Buchstaben „Pflege im Akkord ist Mord“. Vor dem Haupteingang , inmitten der Luftballons und Kaffeetassen, jede Menge grüne und weiße Kittel - im Zentralkrankenhaus Bremen-Ost wurde gegen den Pflegenotstand mobil gemacht.
„Auf der 53 hat der Chefarzt heute morgen alleine Visite gemacht.“ Die Streikversammlung
pfeift und klatscht. Von der Station 91, der Chirurgie wird berichtet, daß „ein Arzt die Nachtschränkchen sauber gemacht hat“. Heftiger Beifall und die besorgte Nachfrage, ob das denn auch geklappt habe. Und auf der 93 hätten die Ärzte „schon um viertel nach sechs auf der Matte gestanden und gefragt, was zu machen“ sei. Durchweg positive Berichte machten gestern mittag um eins im überfüllten Konferenzsaal des Krankenhauses Bremen-Ost die Runde, als die Streikenden bei bester Laune die Lage
erörterten.
Um sieben Uhr waren mehrere hundert Beschäftigte in den Streik getreten, um ihren Forderungen nach besserer Bezahlung und personeller Ausstattung Nachdruck zu verleihen. Gleichzeitig sollte der ÖTV-Tarifkommission angesichts der Ende der Woche fortzusetzenden Verhandlungen die Entschlossenheit des Pflegepersonals vor Augen geführt werden. So war der Pflegedienst in Bremen-Ost auf die Notbesetzung reduziert, alle Stationen und Funktionsbereiche in den Ausstand mit einbezogen, ohne daß die Türen versperrt blieben oder Streikposten aufzogen. Nur eine Station, die Lungenmedizin, bestand auf ihrer Arbeitsroutine und weigerte sich „trotz mehrmaliger Aufforderung, die Arbeit niederzulegen“. Heiko Küpper, Vertrauensmann und Personalrat: „Ein so guter Streik braucht auch einen richtigen Streikbrecher.“
Mit Beginn der Frühschicht verweigerte das Pflegepersonal Schreibarbeiten und die ärztlichen Routinetätigkeiten. Überwiegend positiv war die Resonanz der ÄrztInnen, die selber Hand anlegten: beim Bettenschieben, bei der Essensausgabe oder der Blutentnahme. Auch viele Patienten unterstützten die Streikenden. Mit der alltäglichen „Lari -Fari-Pflege“ erklärten das Schwesternschülerinnen. „Wenn man keine Zeit hat, mal mit den Patienten zu schnacken, dann merken die, wie knapp das alles für uns ist.“ Sie alle streiken selbstver
ständlich mit, weil sich die „Arbeitsbedingungen endlich ändern müssen, sonst hören wir mit dem Beruf wieder auf“. Die gewerkschaftlichen Forderungen allerdings, für die sie jetzt kämpfen, finden sie „total lächerlich“. Mehr als achtzig Mark würde selbst die Maximalforderung der ÖTV nicht für sie bringen.
Ohne Rückendeckung durch den Geschäftsführenden Hauptvorstand der ÖTV in Stuttgart hatten sich am Montagabend die Bremer Kreisverwaltung und der Bezirksvorsitzende Weser-Ems hinter die Streikabsichten der Bremen-Ost-Belegschaft gestellt. Von „Informationsveranstaltungen“ sprachen dann auch die anwesenden Gewerkschafts-Funktionäre, wenn sie an Streik dachten. Die „unbedingte Streikbereitschaft“ war auch nach sechs Stunden nicht zu bremsen.
Die überaus gut besuchte Personalversammlung beschloß die Fortführung der Aktionen auch in der Spätschicht. „Die sollen mitkriegen, daß im Krankenhaus auch abends und nachts gearbeitet wird. Deshalb bin ich dafür, auch die Spätschicht zu bestreiken.“ Diese Äußerung einer Krankenschwester gab den Ausschlag, alle taktischen Überlegungen, wann welche Aktion am effektivsten sei, zurückzustellen und die Gunst der Stunde zu nutzen. Heute (Mittwoch) wollen sie darüber hinaus mit einer Abordnung das Personal vom Krankenhaus Bremen-Nord bei deren Aktionen unterstützen.
Andreas Hoetzel
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen