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AKADEMIE DER GESCHWINDIGKEIT

■ Feelies im Loft

„Fuck up! Ihr könnt ja nur drei Songs!“ brüllt jemand hinter mir, und er hat recht damit.

Zwei Trommler, die aussehen wie die beiden Jungs, die es in jeder Klasse gibt, die immer ein bißchen zu dick waren, nicht richtig fett, aber halt unsportlich. Jeder kennt sie oder glaubt sie gut zu kennen, aber wenn man richtig nachdenkt, hat niemand bisher mehr als drei Worte mit ihnen gewechselt. Die beiden sitzen immer in der vorletzten Reihe, linksaußen an der Wand, tuscheln ständig miteinander und knuffen sich in die Seiten.

Zwei Gitarristen, extrem faul, aber schwer intelligent, einer trägt natürlich Brille, sie verabscheuen American Football und Baseball, bestenfalls das Basketballendspiel ziehen sie sich im TV rein, aber vorm Sportunterricht drücken sie sich konsequent. Dafür sind sie in Mathe gut, lesen in ihrer Freizeit Philosophen, vor allem Existentialisten und schreiben selbst Kurzgeschichten und schnelle, wütende philosophische Pamphlete, die das Leiden der Welt auf das persönliche Leid ihrer Verfasser reduzieren und die sie sich in schummrigen Cafes vorlesen. „Jules und Jim“ haben sie siebenmal gesehen und träumen von einem Boheme-Leben in den 30er Jahren in Paris oder Berlin.

In jeder Klasse gibt es natürlich auch das künstlerisch begabte Mauerblümchen, das überhaupt nichts mit den Problemen ihrer Klassenkameradinnen anfangen kann. Mode und Schminken sind ihr ein Buch mit sieben Siegeln und Cheerleaders sind ihr die verhaßtesten Menschen der Welt. Wenn sie nicht zuhause sitzt und malt oder Bass spielt, hängt sie mit den vier Jungs zusammen ab, und sie reden über fast nichts. Sie ist als Kumpel akzeptiert, eine Art Cliquenmutti und völlig geschlechtslos.

Zusammen sind die fünf eine verschworene Gemeinschaft und rechnen alle Möglichkeiten aus, wie man aus nur einem Riff einen Song machen kann, wie man es leicht mutiert, den Rhythmus unmerklich ändert, alles multipliziert und dividiert, ein wenig addiert hier, dafür subtrahiert an anderer Stelle. Schließlich wird alles wieder zurückgeführt und nocheinmal potenziert. Dabei werden sie immer schneller und schneller, loten die Grenzen der Geschwindigkeit aus, und es wird scheinbar noch einmal schneller, die Spannung steigt ins Unerträgliche und bricht gerade rechtzeitig und doch völlig überraschend ab.

Dabei hatte alles eher langsam begonnen, zarte folkige Klänge, ein wildes, aber ausgeklügeltes Rhythmusgeflecht, die Versuche der beiden Trommler, sich gegenseitig auszudribbeln, sich neckend, aber eigentlich verstehen sie sich ganz prächtig. Ein dünnes, zartes Folkgespinst, nur selten aufgebrochen von einer verzerrten Gitarre, aber langsam, noch langsamer wird es schneller, immer schneller und ruppiger, ohne aber aus dem Folkgerüst zu fallen, und zieht jeden in den Strudel. Als sie alle haben, als fast das ganze Loft wippt und hüpft - immer auf der Stelle, mit Pogo hat das absolut nichts zu tun -, ist es schon vorbei und die fünf verschwinden wortlos von der Bühne. Schlagartig wacht jeder auf, schüchterne Blicke nach links und rechts, Blinzeln, Leute wanken trunken ganz sanft, aber noch braucht niemand zu gehen, noch gibt es Zugaben.

Nach der dritten oder vierten Zugabe geht eine Bekannte: „Die kommen eh nicht wieder, die liegen da hinten, kurz vorm Herzinfarkt.“ Aber es kann immer noch schneller werden. Fast nur noch Cover-Versionen: „Dancing barefoot“, „I'm a believer“, Velvet-Medley, Neil Young, Beatles und nach dem „Egyptian Reggae“ von Jonathan Richman schreit derselbe, der sie am Anfang beschimpfte: „Hänschen Klein, ich will Hänschen Klein!“. Nach der siebten Zugabe will eigentlich immer noch niemand gehen, aber das Licht geht an, die Menge trollt sich, läßt die fünf Studenten in Ruhe, war eine gute Vorlesung und der gelungene Versuch, aus zwei Stunden eine tödlich schnelle Ewigkeit zu machen.

Thomas Winkler

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