: SCHLÄGERS LEIDLIED
■ Musikalisches Herzfett aus den Fünfzigern
Wenn Jahrzehnte ausgestellt werden, kann man sich einer heiteren Miene nicht erwehren: wiehernd bricht sich jetzt los, was so todernst einst war, richtig anständig leichenbittermienig eine Meinung ergab. Der Schlager der fünfziger Jahre: wozu eignet sich der noch beim Hören, wenn nicht zur fetten Ablache über ein krudes Jahrzehnt Besinnungslosigkeit zwischen wuseliger Sexualität und dem Hauruck der Idylle, Tannenwaldwörtherseedreimädelförsterhausetc. Aber wartet nur ein Weilchen, dann lacht man über euch.
Der Schlager läßt sich nicht ganz einfach zum 89er Remix, Schaden auf 45, aufklärungsrollenmäßig wegsampeln. Und auch nicht süffisant auf einen Spaß alter Zeit lotsen, mit dem lockeren Wink einer späten Gnade vor dem fröhlichen Publikum. Da ist mehr: in den Texten träufelt die Germanenseele auf das kollektive Empfinden einer schweren Zeit, die sich, gottlob, bald zum Besseren wandelte. Das es bald besser werde, ahnte die Schlagerindustrie frühzeitig und produzierte Parolen zum Durchgraben der Trümmer auf das Licht zu, das in der tiefsten Nacht am nächsten ist (mit Durchhalteparolen hatte man Erfahrung). Als das Grundgesetz schon eine Vatergeburt war und die Währungsreform jedem nur ein paar Mark gab (die einen gabens aus, die anderen hießen wie die großen Rüstungsfirmen im Krieg), da sang Willi Höhne von der Sonne, die auf den Regen folgt und Detlev Lais: „Es wird alles wieder gut“, um nur zwei Kopf-hoch-es-wird-schon -wieder-Lieder aus dem Jahr 1950 zu nennen. Wie hoch der Kopf 1953 schon wieder ragte, läßt Schurickes „Auf Wiedersehen“ ahnen: in Zukunft wird es dreimal so schön werden wie bisher angenommen, und das ist doch ein prächtiger Ersatz für das Tausendjährige Reich.
Wie man sieht: Der Schlager läßt Politik durchaus nicht außen vor, sondern bringt nur auf verschlungenem Wege die schiefe Seelenlage der Nation zum Ausdruck: durchaus einseitig zwar, dafür aber mit Musike und Liebe inklusiv. Liebe ist Schlagerdauerbrenner, eine Tonne voller Emotionen, mit der der Rest Aussage eingeseift wird. Durch dieses Tal muß jedes Lied gehen, denn in unruhigen Zeiten ist eine Partnerschaft ein sicherer Ort und ein Schlagertext einer, an dem das Ungemach der Welt ausgehandelt werden kann. Ich will gar nicht behaupten, daß man es anders meinte, nur, daß man es nicht anders an die Leute zu bringen wußte. Wenn Marmor, Stein und Eisen bricht (so Drafi Deutscher, der mit diesem Lied 1965 das Krachen im Gebälk der formierten Gesellschaft vernahm), tut dies nur die Liebe nicht.
Und wenn man über Führer, Volk und all das nicht mehr singen mag und darf, die Leichen im Keller aber an die Türe klopfen, dann wird ein Liebeslied daraus: „Ich hab mich so an dich gewöhnt“ singt Billy Buhlan 1950 dem Vergangenen hinterher und wird von Bruce Lows „Schiff ohne Segel“ eskortiert.
Die Niederlage, denn anders wurde die Befreiung vom Faschismus nicht erlebt, war total; zerschmettert lag Volk ohne Führer mit keinem Ausblick auf einen Horizont in einer Heimat, an die man sich besser nicht erinnern wollte, weil man besser nicht dagewesen war. Heimatlos, orientierungslos: ein großes Schlagerthema der Fünfziger, das seinen Beginn schon 1944 hat, mit Hans Albers und La Paloma; der Seemann und das Schifferklavier balancierten zwischen militärischer Expansion und Geworfenheit hin und her. Eben noch ein Landsermärchen, wurde es durch die gequält gedrückte Stimme von Albers aufgehoben, hin zum „Seemann, deine Braut ist die See, und nur ihr allein kannst du treu sein“. Ein Treueschwur immerhin, den man eigentlich nur dem GröFaZ geben durfte. Obwohl die deutsche Heimat schon 1944 unterzugehen beginnt, trieb sie ihr Atlantisunwesen noch 1957 bei Freddy Quinns „Heimatlos“. Er legte damit ein Lied vor, das sich seiner Wurzeln nicht mehr vergewissern kann und mit dem Blätterwerk die Gitarre schlägt, um der eigenen Existenz zu lauschen.
Was aber tun Menschen, denen der Entnazifizierungsboden unter den Füßen zu heiß ist? Sie reisen - entweder über den Vatikan nach Südamerika - oder einfach in den Urlaub. Irgendwo, irgendwo muß ein Platz sein, an dem der Deutsche seinen Liegestuhl aufstellen kann. Zuerst suchte er in den noch erreichbaren Grenzen des großdeutschen Reiches. Das hatte den Vorteil, vorläufig unter sich zu bleiben, um sich gegenseitig auf die nicht dabeigewesene Schulter zu klopfen (wir sind alle KLEINE Sünderlein). Hits von damals: „Pack die Badehose ein“, um zum Wannsee zu fahren, „Die Fischerin vom Bodensee“, „Heideröslein“, „Das Echo vom Königssee“ die Reihe kann noch zeilenlang fortgesetzt werden.
Bald aber geht es schon über die alten Anschlußgrenzen hinaus, Richtung Italien. 1949 erste Fühlungnahme durch Rudi Schuricke („Wenn in Capri die rote Sonne im Meer versinkt“, freut sich der Antikommunist); um 1956 dann die große Italienwelle in den Hitlisten als Rückfluß einer Urlauberwoge, die mit VW-Käfer und Fotoapparat das erledigte, was die Wehrmacht liegenlassen hatte. „Komm ein bißchen mit nach Italien“, „Arrividerci Roma“, „Ciao, Ciao Bambino“ machten aus Italien das Traum-Urlaubs-Schlager -Land, das es bis heute geblieben ist. Das nächste, zuerst schlagermäßig und dann touristisch erschlossene Land wird Spanien sein; wer sich wundert, warum Frankreich übersprungen wurde, der findet die Erklärung in der Vergangenheit, die den Deutschen in Spanien sozusagen mit offenen Armen empfing (sieht man einmal ab von dem ewig lüstern lockenden Paris, dem Ort, an dem in der Phantasie die Sexualität freien Lauf bekam: „Ganz Paris träumt von der Liebe“ und die „Pigalle ist eine kleine Mausefalle“).
Doch in den Fünfzigern war man nicht nur heimat-, sondern auch vaterlos. Die Männer: auf dem Feld der Ehre umgenietet oder nach Sibirien verpackt. Rita Wottowa sang noch 1956 ihrem verlorenen Vater hinterher und die Väter antworteten im gleichen Jahr mit Heimweh, einem Lied wie direkt aus der Taiga. 1958 wurde das Jahr der Heimkehrerverarbeitung im Schlager. Mal lustig wie beim „Lachenden Vagabund“ von Fred Bertelmann, mal besinnlich wie „Endlos sind die Straßen“ von den Teddys oder einfach rührselig wie Freddys „Der Legionär“.
Freddy Quinn war der Megastar des deutschen Schlagers in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre und seine Texte jammern von Heimat, Ferne, Verlorenheit und der Erinnerung an Vergangenes. „So schön, schön war die Zeit“ summt ein Männerchor beim Legionär im Hintergrund, und darauf liegt die gebrochene Stimme des Jungen, der bald wiederkommen soll, die Fremde beklagt, die einst so reizte. Das Schicksal von Freddy Quinn könnte man fast tragisch nennen, wurde er doch von der Studentenrevolte überrollt und taugte nach 1968 nur noch als Star in der Manege oder als Country-Moderator im TV. Fast, denn verziehen wird ihm das Lied „Wir“ nicht, worin er 1968 den langhaarigen Kaputtmachern eine hochkochende Volksseele anbrutzelte, die zum NPD-Parteitag das Maggi in der Suppe war.
Daß die Legionäre wieder nach Hause kommen sollten, hatte noch einen zweiten, außerhalb der wunden Wiegelieder liegenden Grund: man brauchte sie für die seit 1955 bestehenden andere Wehrmacht. Auch die Wiederbewaffnung wurde von der Schlagerindustrie zum Thema gemacht: 1956 mit „Verdammt in alle Ewigkeit“ und „Geisterreiter“, zwei Instrumentals und Country & Western-Stücken auf Hunnenart (bei „Verdammt in alle Ewigkeit“ noch mit einem Stillgestandengeblase als Zugabe am Anfang). Daß es militärisch eher amerikanisch-marlboromäßig tönte, ist nur auf den ersten Blick verwirrend. Man denke an die Westbindung, und außerdem wollte man beim nächsten Mal auf der richtigen, also Gewinnerseite stehen. Darum pfiffen 1958 alle Spatzen von deutschen Dächern nur ein Lied, den Hit der Hits, die absolute Nr.1 des Jahres: den River-Kwai-Marsch. Und wer so gut pfeifen und marschieren kann, der hat sich auch die atomare Bewaffnung verdient, die der Bundestag im gleichen Jahr mehrheitlich beschloß. Da war auch der Metzgersohn F.J. Strauß noch Verteidigungsminister.
Am Ende der Fünfziger hatte sich im Großen und Ganzen aber auch im Schlager die heile Welt normalisiert: man sang von erreichbaren und exotischen Fernen, von der Liebe, die schnurstracks in die Ehe führt. Daß sich mit dem HonululuStrandBikini, von Catherina Valente kongenial ins Deutsche übertragen, ein moralischer Bruch andeutete - das ist ein anderes Kapitel.
Heise/Gunske
Im Rahmenprogramm der „Falschen Fuffziger“ am 14.6. kommentierte Gesangsdarbietung von Schlagern der fünfziger Jahre im Treppenhaus, Albrechtstraße 129.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen