: Jesus, Konfuzius und John Lennon, der Beatle
■ Das Fernsehen der Mächtigen und das rebellische Theater in Schanghai
Klaus Diederichsen
Die Staatspresse wird in China nur wenig gelesen und außerdem gibt es ja noch immer 200 Millionen Analphabeten. Die Regierung setzt deshalb vor allem auf den Einfluß des Fernsehens. Auch in den engsten Schanghaier Behausungen stehen oft schon Fernsehgeräte auf dem Schrank. Neben billigen amerikanischen Krimi-Serien oder dem deutschen Traumschiff-Epos flimmern vor allem meist noch schlechtere chinesische Eigenproduktionen in die Wohnquartiere. Klagen über die armselige Qualität des Fernsehprogramms werden selbst in der amtlichen 'China Daily‘ geführt. Die Zeitung macht schlechte Drehbuchautoren und die „fehlende Auswahl nach Qualität“ dafür verantwortlich.
Eine bessere Auswahl der leitenden Fernsehredakteure wird wohlweislich nicht gefordert.
Die Schanghaier Film-Studios galten einmal als das „chinesische Hollywood“. Heute werden dort nur 15 Kinofilme im Jahr produziert. Der Arbeitsschwerpunkt verlagert sich auf Fernsehproduktionen. Inhaltlich anspruchsvollere Filme wie Hibiscus-town von Xie Jin werden seltener. „In diesem Jahr werden sie viel Schreien und Boxen aus den Studios hören“, meint Chen Lixing, Pressesprecher der Filmstudios, „wir machen in diesem Jahr vor allem Kung-Fu und Abenteuerfilme.“ Das Publikum wolle jetzt keine ernsten Filme mehr sehen, die sich wieHibiscus-town mit der Kulturrevolution beschäftigen. Gefragt seien Streifen nach dem Strickmuster von James Bond.
Durch ein neues Vertragssystem müssen die Studios inzwischen einen Teil des finanziellen Risikos selbst tragen. Deshalb werden überwiegend anspruchslose Filme produziert, die schnellen Profit versprechen.
In China werden jährlich 5.000 Fernsehfilme gedreht. Mit der Logik von Ort und Zeit oder den Grundregeln eines erträglichen Bildschnitts gehen viele Regisseure sehr großzügig um. Oft bestimmen propagandistische Ziele den Inhalt. Ein beliebtes Stereotyp ist ein Verbrecher, Dieb oder Abweichler, der unter Tränen seine Sünden bereut und in den Schoß der Gesellschaft zurückkehrt.
Die chinesische Serienverfilmung der Autobiographie des Letzten Kaisers zeigt endlos lange Szenen mit dem reuigen Monarchen, der sich nach einer Umerziehung zu einem guten Proletarier gewandelt hat. Der Höhepunkt der Serie ist eine Audienz des alten Kaisers bei den „neuen Kaisern“ Mao und Chou Enlai. Sie bitten den unterwürfigen Greis auf einen Ehrenplatz an ihrer Seite. Der Film macht den Zuschauern deutlich: Selbst der alte Kaiser unterwirft sich den neuen Herrschern. So ist die gesellschaftliche Harmonie gesichert.
Kritik an der Regierung ist in den Tageszeitungen und elektronischen Medien praktisch ausgeschlossen. Kritische Intellektuelle suchen den Weg an die Öffentlichkeit über Literatur und Theater. Der 45jährige Dramatiker Sha Yexin griff schon 1979, kurz nach dem Sturz der sogenannten „Viererbande“ und dem Beginn der wirtschaftlichen Reformpolitik die Korruption und Vetternwirtschaft unter Parteikadern an. Sein Drama Wenn ich es wirklich wäre beschäftigte sogar die Partei- und Regierungschefs. Deng Xiaoping forderte 1979 auf einem Schriftstellerkongreß, die Literatur solle nicht kritisieren, sondern die wirtschaftliche Modernisierung Chinas propagieren und die heldenhaften Taten der verdienten Funktionäre darstellen. Sha Yexins Stück wurde verboten.
So beschäftigte sich Sha Yexin mit weniger brisanten Stoffen. ImBürgermeister Chen Yi schildert er den Mord der „Viererbande“ während der Kulturrevolution am Schanghaier Bürgermeister und mit der Komödie Die geheime Geschichte von Marx über das Privatleben des Philosophen wurde er bei Jugendlichen populär. 1986 stieg er zum Intendanten der Schanghaier Bühnen auf - noch gerade rechtzeitig, bevor der liberale Parteivorsitzende Hu Yaobang für die ersten großen Studentenunruhen 1986/87 verantwortlich gemacht wurde und seinen Posten verlor.
Sha Yexins neueste Politkomödie Jesus, Konfuzius und John Lennon der Beatle wurde im September 1988 im Jangtse -Theater uraufgeführt. Im Stile des italienischen Dramatikers Dario Fo treibt er die Phänomene des „Zeitgeistes“ auf die Spitze und spricht damit vielen Jugendlichen aus der Seele. Denn sie fühlen sich zwischen den alten revolutionären Normen wie Gleichheit und den Maximen der Wirtschaftsreformen wie Leistung und Gewinnstreben hin- und hergerissen.
Sha Yexins Komödie beginnt mit einem Streit im Himmel zwischen Jesus, Konfuzius, John Lennon und dem christlichen Gott, der in seinen langen weißen Bart schimpft. Denn aus einem Flugzeug warf jemand eine leere Coladose auf sein kahles Haupt. Deshalb will Gott die Menschheit zum Teufel schicken. Doch John Lennon nimmt die Menschen vor Gottes Zorn in Schutz. Sie hätten schließlich auch so gute Erfindungen wie Ventilatoren gemacht. Da im Himmel eine tropische Hitze wie im Schanghaier Hochsommer herrscht, wird Gott neugierig und schickt das Trio auf die Erde.
Nach einer Zwischenlandung auf dem Mond fliegen sie zuerst in das „Land der goldenen Menschen“, in dem die Gesetze des freien Kapitalismus herrschen. Führer des Landes ist der „goldene Mann“, dem fast alle Unternehmen gehören.
Als die drei „Außerirdischen“ eintreffen, hat der gerade seinen prall gefüllten Goldbeutel verloren.
Jesus hebt das Fundstück auf und will es dem „goldenen Mann“ zurückgeben, aber John Lennon erklärt ihn deshalb für verrückt, denn im „Land der goldenen Menschen“ seien sie ohne Geld völlig aufgeschmissen. Konfuzius macht den typisch chinesischen Kompromißvorschlag: Man solle eine Hälfte des Geldes als Finderlohn einstreichen und den Rest zurückgeben. Schließlich setzt sich Jesus durch, und die drei geben das Geld zurück. Doch gerade dafür werden sie eingesperrt, denn Ehrlichkeit ist im „Land der goldenen Menschen“ verboten. Die drei Exoten kommen noch glimpflich davon, weil sie für die Fluggesellschaft des goldenen Mannes als Werbegag auftreten sollen.
Aus traditionell chinesischer Sicht steht in diesem Land alles auf dem Kopf. Darling, die Freundin des „goldenen Mannes“, macht sich an John Lennon heran, man wechselt den Partner wie das Hemd, und im Zweifelsfall ist ein Rendez -vous mit der Freundin wichtiger, als sich um die Eltern zu kümmern. Die in China noch immer wirksamen Ideale wie Respekt vor dem Alter und außereheliche Enthaltsamkeit werden mit Füßen getreten.
Enttäuscht von der Sex- und Geldgier im „goldenen Land“ fliegen Jesus, Konfuzius und John Lennon weiter ins „Land der violetten Menschen“. Hier ist wie zu Zeiten Maos und der Kulturrevolution die Gleichheit das oberste Gesetz. Alle Wände und Möbel sind violett angemalt, man trägt violette Kleidung und vom Himmel hängen violette Klodeckel herab. Konfuzius muß unbedingt aufs Klo. Doch die violetten Polizisten halten ihn mit Gewalt zurück. Denn pinkeln darf man in diesem gleischgeschalteten Land nur, wenn zugleich der „große Kaiser“ sein Geschäft verrichtet. Eine kaiserliche Klospülung gibt schließlich das erlösende Signal. Konfuzius rafft seinen langen Zopf auf und fragt nach dem...
„Gibt's nicht“, lautet die Antwort, denn der Unterschied zwischen Mann und Frau sei hier abgeschafft. Die violetten Polizisten wollen nun auch die drei Gäste mit einer großen Heckenschere entmannen. Die drei wissen keinen Ausweg mehr und schreien verzweifelt um Gottes Hilfe. Aber der Himmel schweigt.
Die Schauspieler reißen sich die Perücken vom Kopf und verkünden dem Publikum die Moral der Geschichte: „Es gibt unterschiedliche Länder und Systeme. Doch wer sich keinen eigenen Ventilator wünscht (in China wird es ja sehr heiß), der soll die Hand heben.“ Außer dem Applaus hebt sich natürlich keine Hand.
Bei den jugendlichen Zuschauern kommt das Stück sehr gut an, obwohl es im oberflächlichen Klischee steckenbleibt und so auch noch dem gehobenen Parteifunktionär erlaubt, herzlich mitzulachen.
„Sha Yexin darf nicht zu deutlich kritisieren“, meint die 24jährige Chemiestudentin Chao Tsuli nach der Vorstellung, „viele ältere Autoren sind durch die Verfolgungen während der Kulturrevolution noch eingeschüchtert.“ Im Vergleich zu früher könne man aber schon mehr aussprechen. Aber eben nicht alles.
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