: Die Lehre der KP-China von den zwei Glockenschlägen
■ Die Rede des chinesischen Staatspräsidenten Yang Shangkun vor Generälen in der ZK-Militärkommission läutete die Absetzung des Parteichefs Zhao Ziyang ein
Noch immer ist Peking der Unordnung verfallen. Vor fünf Tagen wurde das Kriegsrecht verhängt, konnte aber nicht angewendet werden. (...) Das Zentralkomitee hat sich immer bemüht, die Situation zu beruhigen, aber jetzt sind wir in Peking bei einem Aufstand angelangt. In fast allen Städten des Landes gibt es Unruhen. Sobald wir einen Schritt zurückgehen, gehen die anderen einen Schritt vor. Jetzt konzentrieren sie ihre Angriffe auf (Premierminister, d. Red.) Li Peng. Ihr Ziel ist, die Regierung und die kommunistische Partei zu stürzen. (...) Wie konnte es soweit kommen?
Einige alte Revolutionäre wie die Genossen Chen Yun, Li Xiannian, Peng Zhen, Deng Xiaoping, Wang Zhen und die verehrte Schwester Deng Yingchao (Vorsitzende des 6. Parteikongresses, Frau des früheren Premiers Zhou Enlai und Adoptivmutter von Ministerpräsident Li Peng, d. Red.) machten sich Sorgen und kamen zu folgender Schlußfolgerung: die Bewegung wurde von den Studenten ausgelöst, hat aber ihre Wurzeln in der Partei. Es gibt zwei Glockenschläge im ständigen Ausschuß des Politbüros und es gibt zwei Hauptquartiere. Der Kommentar der Volkszeitung vom 26. April hatte mit aller Strenge den Aufstand verurteilt, nachdem der ständige Ausschuß darüber diskutiert hatte, und wurde von Deng Xiaoping gutgeheißen. Zu diesem Zeitpunkt war Genosse Zhao Ziyang (Parteichef, d. Red.) nicht in Peking. Er wurde per Telegramm informiert und antwortete, daß er die Entscheidung des ständigen Ausschusses zu 100 Prozent unterstütze.
Die zwei Glockenschläge
Doch bei seiner Rückkehr am 29.April hatte er seine Meinung geändert. Er sagte, daß der Kommentar die Studentenbewegung vorschnell beschuldigt habe, eine Rebellion gegen die Partei und den Sozialismus zu sein. Er forderte, die Volkszeitung solle den Kommentar zurücknehmen. Anschließend hielt er noch mehrere Reden in diesem Sinn. Am 3.Mai erklärte er, daß China das Chaos nicht länger tolerieren könne, aber bezeichnete die Studentenbewegung auch als „patriotisch“. Einen Tag später, vor der Asiatischen Entwicklungsbank, äußerte er Verständnis für die Bewegung und sagte, es gebe viel Korruption, und daß die Regierung die Ziele der Studenten teile. (...)
Zu diesem Zeitpunkt sagte Genosse Deng, daß es zwei Glockenschläge im ständigen Ausschuß gebe. (...) Das war die Wende. (...) Wir haben diesem Problem mehrere Sitzungen gewidmet. Zhao blieb bei seiner Haltung. Er wagte es sogar, sie in Anwesenheit von Deng Xiaoping zu verteidigen. Er sagte, daß er die Meinung des Vorsitzenden (Deng, Vorsitzender der Militärkommission, d. Red.) nicht verstehe und die Vorstellungen des Restes des Politbüros nicht teilen könne. Er bot seinen Rücktritt an. Ich habe ihn überzeugt, davon Abstand zu nehmen, und ihm erklärt, daß es unser aller Schaden wäre, von unserer Haltung gegenüber der Studentenbewegung abzuweichen. Es wäre eine Ohrfeige gewesen für die Mehrheit der Professoren und Studenten in den Universitäten, die auf unserer Seite stehen. Sie hätten fliehen müssen. Die Parteikader wären verjagt worden. (...) Erscheinungen wie zur Zeit der Großen Kulturrevolution waren bereits aufgetreten. In Beida (der Pekinger Universität, d. Red.) hatten sie beispielsweise das offizielle Radio besetzt. (...)
Als die Studenten die beiden Glockenschläge im Zentralkomitee hörten, glaubten sie, daß jemand von der Parteiführung auf ihrer Seite stünde. So verdoppelten sie ihren Druck auf das Zentralkomitee und den Nationalen Volkskongreß, um den Kommentar vom 26.April zurückzuziehen. (...)
Die Sitzung
der greisen Revolutionäre
Die Genossen Li Xiannian (ehemaliger Staatspräsident, d. Red.) und Chen Yun (Chef der Partei-Disziplinarkommission, d. Red.) sind sofort nach Peking zurückgefahren und verlangten eine sofortige Sitzung der Parteiführung, um eine Entscheidung zu treffen. Andere Altgenossen wie Peng Zhen (früherer Vorsitzender des Volkskongresses, d. Red.), Wang Zhen (Chef der Parteischule und Vizepräsident der Disziplinarkommission, d. Red.), die verehrte Schwester Deng Yingshao und die beiden alten Marschälle waren ebenfalls besorgt. Sollte man zurückweichen oder nicht? Dem Druck der Straße weichen oder unbeirrt am Geist des Kommentars vom 26.April festhalten? Diese Sitzung war seit Jahren die erste, die von den alten, über 80jährigen Genossen abgehalten wurde, um über Probleme des Zentralkomitees zu beraten. Alle wurden darüber einig, nicht zurückzuweichen. Wenn wir nachgegeben hätten, hätten wir zugegeben, daß die Studenten im Recht gewesen wären, wir wären hinweggespült worden und die Volksrepublik China zusammengebrochen. Es hätte eine Restauration des Kapitalismus gegeben, wie es manche Amerikaner erhoffen. Der Genosse Chen Yun hat in dieser Beziehung etwas sehr wichtiges gesagt: die Früchte von 30 Jahren Krieg und Blutzoll unserer unzähligen Märtyrer zerstören zu lassen - das hieße, die kommunistische Partei zu verraten.
Die Unvernunft
des Genossen Ziyang
Am Morgen des 19.Mai ging der Genosse Ziyang auf den Tiananmen-Platz, um mit den hungerstreikenden Studenten zu sprechen. Und was tat er? Jeder normale Mensch muß sein Verhalten aberwitzig finden. Er entschuldigte sich für seine Verspätung, er weinte und sagte, viele Probleme würden sich nach einiger Zeit lösen lassen. (...) Er handelte, als habe er viele Klagen, die er nicht frei äußern könne. Die Parteikader in Peking, die seine Reden hörten, revoltierten gegen seine Disziplinlosigkeit. Noch am selben Abend sollte er bei einer Versammlung der Pekinger Parteikader anwesend sein und sogar eine Rede halten, doch im letzten Moment weigerte er sich hinzugehen.
Alle konnten jetzt sehen, daß er ein Problem hatte. Es war genau in dem Moment, als sich die Truppen auf den Weg nach Peking machten. Man mußte das Kriegsrecht um Mitternacht verkünden. Aber seinetwegen (wegen Ziyang, d. Red.) mußten wir die Verkündung verschieben. (...)
Als die Altgenossen entschieden hatten, nicht zurückzuweichen, schrieb Zhao Ziyang einen Brief an Deng und teilte mit, er könne nicht mehr auf seinem Posten bleiben, weil er nicht mehr einer Meinung mit Deng sei. (...) Aber er gestand auch zu, daß es besser wäre, eine Entscheidung zu treffen, als weiter gleichgültig zu verharren. (...) Er gab ebenfalls zu, daß er sich in der Minderheit befinde und sich die Minderheit der Mehrheit beugen müsse. Deng Xiaoping stimmte all diesem zu. (...)
Danach gab Zhao Ziyang seinen Posten ab.
Versagen im Kampf gegen geistige Verschmutzung
Deswegen sagen wir, daß die Wurzel des Bösen in der Partei liegt. (...) Die zwei Glockenschläge sind schon zweimal zu hören gewesen. Zunächst beim Thema Wirtschaft. Die Ungleichgewichte, die Inflation und das zu schnelle Wachstum sind schon vor fünf Jahren aufgetreten und seit drei Jahren schwerwiegend geworden. Aber man hat nichts getan, um dies zu bekämpfen. (...) Zum zweiten teilte Zhao die Ideen von Hu Yaobang (der frühere entmachtete KP-Generalsekretär) im Kampf gegen den bürgerlichen Liberalismus. Wenn wir unsere Kampagne gegen den bürgerlichen Liberalismus weiterverfolgt hätten (1987, nach der Absetzung Hu Yaobangs, d. Red.), wären wir jetzt nicht in dieser Lage. Die Kampagne dauerte nur 28 Tage, dann wurde sie beendet. Das, was sich jetzt hier abspielt, ist die Konsequenz unserer Schwäche im Kampf gegen den Liberalismus und die geistige Verschmutzung. Das Verhalten Zhaos ist von derselben Art wie die Schwäche Hus im Kampf gegen den bürgerlichen Liberalismus.
Bei einem Gespräch mit einem Ausländer (im März, d. Red.) hatte Deng Xiaoping betont, daß unser schwerster Fehler der letzten zehn Jahre gewesen sei, der Erziehung nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet zu haben, uns vor der schwierigen Arbeit gedrückt zu haben, gegen die Ideen zu kämpfen, die aufgrund unserer Politik der Öffnung aus dem Ausland kommen. Wir haben unsere Tradition des Kampfes und des bescheidenen Lebens nicht weitergeführt. Dengs Gedanken sind stimmig. Er beharrt auf den Vier Prinzipien.
Ora et labora
Das Zentralkomitee hat beschlossen, den Parteiführer zu wechseln, weil der jetzige den Ordern des Zentralkomitees nicht mehr gehorcht, sondern dickköpfig seine eigenen Ziele verfolgt. Er handelt derart, weil er im ständigen Ausschuß des Politbüros isoliert ist. (...) Manche sagen, daß alte Menschen über 80 Jahre die Probleme eines Landes nicht mehr lösen können. Aber in Wirklichkeit handelt es sich um eine Entscheidung der Mehrheit des Zentralkomitees. (...) Außerdem verdienen die alten Genossen den höchsten Respekt angesichts ihrer Verdienste um Partei und Land. Ohne erst von Deng Xiaoping, Li Xiannin, Chen Yun, den Marschällen Xu Xiangqian und Nie Rongzhen, der verehrten Schwester Deng Yingchao, von Peng Zhen und Wang Zhen zu sprechen - alle haben viel für das Land getan. Wie könnten sie in dieser schweren Stunde schweigen und Chinas Agonie betrachten, ohne einzugreifen?
Manche sagen, daß alle Entscheidungen in der Partei von einer einzigen Person getroffen werden. Das ist ein schwerer Irrtum. Unser Verhalten gegenüber der Studentenbewegung beruht auf einer korrekten Entscheidung der Mehrheit des Politbüros. Alle alten Revolutionäre, einschließlich Deng Xiaoping, sind vollkommen einer Meinung in diesem Punkt. Während des Gorbatschow-Besuchs hat Zhao Ziyang die historische Rolle von Deng Xiaoping betont, und das war richtig. Aber er hat auch gesagt, daß alle großen Fragen von Deng vorentschieden würden. Jeder kann sehen, daß er nur seine Verantwortung auf den Vorsitzenden Deng abschieben wollte.
Nachsitzen für die Armee
Die Hauptsache ist jetzt, daß die Armee stabil und einig ist. Ihr müßt sie überzeugen. In den großen Militärregionen gibt es keine Probleme, aber in den unteren Rängen? Manche Leute sagen: Wenn es doch drei Vizepräsidenten in der Militärkommission gibt, weshalb hat dann Deng allein entschieden, die Armee nach Peking zu schicken? Weil wir in der Armee unserem Vorgesetzten gehorchen. Wir, die Vizepräsidenten der Zentralen Militärkommission, sind nur Ratgeber. Bevor Deng seine Entscheidung fällte, hatte er mich angerufen, ebenso den General Hong Xuezhi, den Generalsekretär der Militärkommission, und der Verteidigungsminister Qin Jiwei ist persönlich zu Deng nach Hause gekommen.
Der Genosse Zhao Ziyang hat gewiß einige Sachen vollbracht, aber wir haben ihn zu sehr gelobt. Die Erfolge der vergangenen Jahre sind allesamt der Politik des Genossen Deng Xiaoping und des Zentralkomitees zu verdanken. Zhao hat sie lediglich angewendet.
Übersetzung aus dem Französischen: A. Smoltczyk
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