: „WENN ICH ARBEITE, BIN ICH NICHT IN MEINEM KÖRPER“
■ Eine Nacht im Puff: Aus der Arbeitswelt der Huren in der Erlebniswelt von Männern
Zum warming up geht's ins Untergeschoß. Zehn Mark für die Empfangsdame hinter imposantem Schreibtisch. Hinter Vorhängen Bankreihen vor Monitoren, linker Hand. Geradedurch wieder ein Vorhang, wieder Bankreihen vor fickenden Paaren, verstrickt in unsinnigen Dialogen auf Großbildleinwand.
Der Puff liegt im Herzen Kreuzbergs, mit Rotlichtlaterne und geöffnet von 10 Uhr morgens bis 5 Uhr in der Früh. Zehn Frauen arbeiten hier in der zweiten Schicht. Die beginnt um 21 Uhr. Tagsüber erledigen fünf Frauen das Geschäft.
Es ist kurz nach Mitternacht, vereinzelt sitzen einige wenige Männer in den halbdunklen Kinoräumen. Hin und wieder taucht die eine oder andere Frau auf, in Arbeitskleidung: knapper BH, kurzes Hemd, schwarzes Dessous mit schnellem Verschluß. „Na, wie wär's mein Schatz“, ein gezielter Griff in den Genitalbereich der starren Kunden. „Na dann eben nicht. Fick dich doch selbst.“ Und wieder herrscht Ruhe unter dem lustvollen Stöhnen von der Leinwand.
Neben Getränke- und Kondomautomat führt eine Treppe nach oben in den Hausflur. Die Tür links öffnet sich in eine Wohnung. Der erste Gang geht zur Bar, unentschieden zwischen Imbißstube und Partykeller das Interieur: Girlanden an der Decke, Bierfässer mit Stehtischaufsatz, über der Theke eine Keilerkopf, daneben ein Monitor mit spritzenden Bildern und schmatzenden Geräuschen. Drei Männer stehen herum, jeder eine Mineralwasserflasche in der Hand: „Na, hast du heute schon gebumst?“ „Wahrscheinlich zu Hause.“ „Nee, zwischen die Rohre.“ Dröhnendes Gelächter, Schulhof in der Pause.
Petra kommt hinzu, kurze schwarze Pludershorts und weißer BH. Sie nimmt mich mit in einen der Arbeitsräume im vorderen Teil der Wohnung. Bevor sie die Tür schließt, klemmt sie ein Papiertuch zwischen Rahmen und Tür: „So weiß jeder, hier ist besetzt.“ Im Zimmer eine selbstgebaute Liege mit rotbespannter Matratze, daneben zwei Sitzelemente, braun, ein kleiner Tisch mit Plastikblumen darauf und einer Schale mit Bonbons. „Da greifen die Freier schon mal rein und nehmen sich 'ne Handvoll mit für die Kinder zu Hause.“
Petra zieht den Rolladen hoch und öffnet das Fenster. Wir lehnen uns nach draußen, jetzt fehlen nur die Kissen zur Armunterlage. Auf der Fensterbank kleben verdreckte Eierschalen, unter dem Staub noch rot. „Das sind die Reste von einer Frauendemo im letzten Jahr. Da haben sie unseren Laden mit Farbeiern beschmissen.“ Petra versteht die unsolidarische Haltung der militanten Feministinnen nicht: „Schließlich ist das hier unser Arbeitsplatz.“ (tja, da müßtest du wohl in Thailand oder sonstwo sein. Dann wärst du dir der verlogenen Solidarität sicher, schließlich könntest du dich ja auch nicht gegen sie wehren. sezza) Einige ihrer Kolleginnen hätten noch weniger Verständnis für diese Aktion gehabt. Gäbe es nicht die Prostituierten, wäre die Rate der Vergewaltigungen sicher noch höher, hätten sie gemeint.
Petra arbeitet drei Nächte in der Woche. Das Geld reicht für die Miete, zum Leben, der Rest wird gespart. Die Preise im Puff sind zivil. Wichsen kostet 20 Mark, Blasen mit Präservativ 40 und ficken auf dem Zimmer 50 Mark. „Das ist einigen Männern zu schäbig, die legen schon mal ein paar Scheine dazu.“ Ohne Präser läuft nichts, die Frauen haben immer welche zur Hand. „So'n normaler Präser im Mund, das geht noch, das schmeckt wie Löschpapier. Aber die beschichteten, das pure Gift.“ 90 Mark muß jede Frau pro Schicht an den Besitzer bezahlen, für Zimmermiete, Putz- und Lakenservice inklusive. „Da muß ich schon darauf achten, daß die Männer schnell abspritzen, damit sich das lohnt für mich.“ Deshalb mag Petra nicht die langen Gespräche, und nicht das ständig wiederkehrende Geschwätz: „Warum arbeitest du eigentlich hier? Das hast du doch nicht nötig“, und nicht die Einladungen für ein Treffen danach: „Die bilden sich tatsächlich ein, sie könnten mich draußen genauso haben wie hier, nur umsonst.“ Das Geschäft heute nacht läuft schlecht, es ist zu warm und kurz vor dem Monatsersten: „Am letzten Wochenende war Vollmond, da war mehr los. Bei Vollmond sind die ganzen Verrückten da und bringen Unruhe in den Laden.“
Als wir zur Bar zurückkommen, ist der Raum gut voll, rund zwanzig Männer, Kreuzberger Mischung: Arbeiter im Blaumann, Studenten, Türken, Schwarzafrikaner, Großväter, Taxifahrer. Ein Komplize stößt mich in die Seite: „War sie gut?“. Sein Blick prüft Petra.
Unruhe kommt ins Gedränge, die Empfangsdame durchkreuzt die Wartenden, Billetts in der Hand, ganz laut: „Wer will zur Life-Show? Zehn Mark und gleich geht's los.“ Brieftaschen werden gewendet, nicht viele, sechs Männer nur werden in einen halbdunklen Raum links der Theke geführt. Mittendrin ein rundes Bett mit Tigerfellimitat, an den Decken Spiegel, um das Bett herum Klappstühle, dicht gedrängt. Die Tür wird verschlossen, drei Frauen übernehmen die Regie: „Guten Abend, meine Herren! Wir begrüßen Sie ... Stellen Sie Ihre Gläser bitte unter die Stühle ... Zuerst sehen Sie ... Bitte absolute Konzentration ... Wer will freiwillig, einer zum Schaufick, zwei zum Blasen?“ Artige Finger gehen in die Höhe, die Wahl ist schnell getroffen: „Du mit Anja, der fickt Uschi, und du mein Süßer kriegst's von mir auf französisch.“
Das Licht wechselt, die Frauen placieren ihre Hinterteile in die Schöße der Männer, drücken, schubbern. Schnell und tonlos. Gleichzeitig erheben sie sich und wechseln auf die nächsten Männerschenkel, diesmal rittlings. Die Oberteile werden abgelegt, Busen unter Männernasen geschoben. Die eine oder andere Männerhand greift zu, an die Innenseite der Schenkel, an die Brust, zwischen die Beine. Die Augen der Männer sind geschlossen, die Köpfe zurückgelehnt. Die Frauen starren in die Luft. Und wieder wechseln sie die Partner. Kindergarten ohne Freude. Die Platte geht zu Ende, zwei Frauen verschwinden, ein neuer Titel dröhnt, das Licht wechselt, eine bleibt zurück, völlig nackt. Sie dreht sich auf dem Bett, streckt Körperteile in die Luft und entgegen. Ihre Langeweile ist offensichtlich, die der Zuschauer auch. Mit dem nächsten Plattenwechsel flammt neues Blitzlicht auf, und eine andere Frau kehrt zurück, mit einer Peitsche in der Hand. In zügigen Bewegungen schlägt sie das schwarze Utensil wechselweise links und rechts über ihre Schulter. Der junge Mann gegenüber reibt sich zwischen den Schenkeln, starrt über die Frau hinweg und will nach ihr greifen. Sie entzieht sich nicht, seine Griffe gehen daneben. Er läßt sich auf den Stuhl zurückfallen, mit beiden Händen hält er seinen steifen Schwanz unter der Hose. Der Sitznachbar wird von den anderen beiden Frauen abgeholt und in einen Raum nebenan geführt. Noch ein paar Schläge, die Musik geht zu Ende, sie rollt sich vom Bett, holt ein Kondom und dann dem jungen Mann den Schwanz aus der Hose. Sie zieht das Gummi über, kniet zwischen seinen Schenkeln, nimmt den gesicherten Schwanz in den Mund, ihr Kopf geht hoch und runter. Der andere wird wieder reingeführt, nackt, seine Partnerin hält den steifen Kondomschwanz in der Hand. Rücklinks plumpst er auf das Bett, sein Glied steil aufgerichtet nach oben, Arme und Beine weit vom massigen Körper gespreizt. Sie läßt sich auf dem Schwanz nieder, ihr Körper geht hoch und runter. Ein alter Mann erhebt sich von seinem Stuhl, hastig zieht er Hose und Unterhose herunter. Die dritte Frau überzieht seinen steifen Schwanz, und über ihn gebeugt arbeitet ihr Mund. Er läßt sich geräuschlos auf den Sitz zurückgleiten. Was ist Sexualität?
Doch der Fake funktioniert. Die Frau auf dem Bett springt von dem Mann, die Platte ist noch nicht zu Ende, streift das gefüllte Kondom ab und geht. Der Alte erhebt sich wieder vom Stuhl, auch seine Partnerin zieht ihm das benutzte Gummi ab und tupft mit einem Papiertuch sorgfältig Schwanz und Schenkel ab. Der junge Mann sieht mit großen ernsten Augen auf den Kopf, der sich noch immer zwischen seinen Schenkeln bewegt. Helles Licht geht an, die Musik hört auf, die Männer ordnen ihre Kleidung, die Frauen räumen Flaschen und Gläser unter den Stühlen weg. Nur der junge Mann sitzt noch immer da. Sie hat sich inzwischen erhoben und will gehen. Er hält seinen erigierten Schwanz in der Hand und mault: „Aber ich bin doch noch garnicht gekommen.“ Alle drei Frauen umringen ihn: „Jetzt ist aber Schluß, hau endlich ab.“
Draußen an der Bar setze ich mich zu Katja. Sie ist müde, fünf Kunden hat sie auf dem Zimmer gehabt, einen vor der Leinwand. Sie will etwas essen. Mittagspause ist immer gegen 2 Uhr, das Hausfaktotum, ein geistig Behinderter, versorgt die Frauen mit Pizza oder Kebab. „Natürlich müssen wir das selbst bezahlen.“ Katja ist seit sechs Jahren in dem Job, zuerst auf der Straße, dann in den verschiedensten Clubs. Gerne arbeitet sie mit schönen Körpern: „Ein ästhetisches Vergnügen.“ „Und die ganz jungen Männer mag ich, die zum ersten Mal kommen. Sie sind unsicher, und ich genieße es, in die Aura ihrer Unschuld einzutreten.“ Aber sonst sei sie nicht in ihrem Körper, wenn sie arbeitet. Der sei ihr Handwerkszeug - fertig.
Sie ist froh, daß sie heute nacht nicht für die Lifeshow eingeteilt wurde. „Das macht man eigentlich nur, um die Männer auf Touren zu bringen, damit sie danach noch mit aufs Zimmer kommen.“ Sie ist immer wieder überrascht von der Atmosphäre bei der Show: „Wenn wir Freiwillige suchen für den Schaufick, dann fangen die Männer an, miteinander zu diskutieren. Quasi kollektiv wird dann entschieden, wer sich opfern muß. Aber die Männer haben kein Interesse an den Frauen, sie beobachten ganz genau, was ihr Stellvertreter macht, das turnt sie an. Wir sind wohl mehr so was wie ihr Medium, damit sie zusammenkommen.“
Elmar Kraushaar
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