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LIEBESERKLÄRUNGEN

■ Leni Stern und Wayne Krantz im Quasimodo

Zwei Neue betreten das Klassenzimmer, der Lehrer stellt sie kurz vor. „Sind die sitzengeblieben oder haben sie ein Jahr übersprungen?“ Tuschel. „Die gucken sich so komisch an, ist das etwa ein Pärchen?“ „Ach, die spielen zusammen Gitarre, kommen aus New York, scheinen sich aber gut zu verstehen. Nu‘ laß sie doch erstmal was vorspielen.“

Die beiden, unsicher, holen sich zwei Hocker, stöpseln die Gitarren ein und spielen blind drauflos. Nichts Lautes, nichts Rabiates, schüchterne Akkordfolgen, liebliches Zirpen, Harmonie in Gitarren gegossen. Und dabei so perfekt, so einnehmend heiter, oder um es noch schlimmer zu sagen: ästhetisch. Völlig einlullend.

Leni Stern tippt mit ihren hohen Absätzen aufs Fußpedal, der andere Fuß wippt im Rhythmus der Musik, sie neigt ihren kurzgeschorenen Kopf zur Seite, blickt aus den Augenwinkeln zu Wayne hinüber. Die Rollen werden vertauscht, sie versteckt klitzekleine Melodielinien zwischen den Saiten, er spielt den Handwerker, hämmert und zimmert zurecht, entdeckt Unebenheiten, legt noch ein wenig Mörtel hinzu, preßt ihn unter sanftem Druck auf die Oberfläche, glättet noch einmal mit der Kelle nach, taucht das staubige Brett ins Wasser und reibt es kreisend über die frisch verputzte Stelle. Das Loch ist verschwunden, alles glatt, nur ein wenig Sand rieselt hinab. Wayne Krantz ist zufrieden, lächelt Leni an, sie lächelt zurück, und das Publikum klatscht. Noch so ein kleines Meisterstück, und die Familienvilla auf Long Island kann bezogen werden.

Amerikaner sind merkwürdige Musiker. Entweder spielen sie wie die Teufel und schlagen alles zu Brei, zerstören die Traditionen radikal. So wie „Last Exit“. Oder sie kämpfen verzweifelt um Harmonie, versuchen das Schöne inmitten der Müllkippe zu schaffen. Gitarristen wie Ralph Towner oder Pat Metheny haben schon vor Jahren ähnlich am perfekten Jazzsong gefeilt wie heute Leni Stern und ihr Freund Wayne Krantz. Ganze Plattensammlungen ersticken an Alben mit überästhetisierten Covern und dem dunkelgrünen Label für gediegenen Jazz in der Mitte - ECM. Damals hatte Jazz dieser Richtung Konjunktur, er war zeitgemäß, paßte zum intensiven Gespräch mit Vanilletee und Räucherstäbchen.

Heute erzeugt Musik, deren erstes Ziel es ist, Harmonie und Glück zu verbreiten, zunächst angenehmes Erinnern, dann Langeweile, und irgendwann hofft man nur noch auf kreischende Freaktöne a la Caspar Brötzmann. Harmonie eingezwängt in einen Konzertsaal, und hinter den Türen bricht alles zusammen.

Um es noch pathetischer zu sagen: Kann man sich gleichzeitg über den vorher im Radio gemeldeten Tod von Tausenden Menschen in China ereifern, einen toten Tyrann im Iran feiern und dazu ein Gitarrenpärchen auf der Bühen bewundern, das seine Liebe in tönenden Gedichten zelebriert? (ach mensch, waren die zeiten vor zehn jahren vielleicht anders? Nur die wahrnehmung von uns einzelnen ändert sich und damit die akzeptanz von diesem oder jenem. Aber spiele doch nicht katastrophen gegen musikalische harmonie aus. sezza)

Andreas Becker

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