: Grußwort zum Kirchentag
■ An die Freunde des Kreuzes
Wolfgang von Wangenheim
Willkommen in Berlin-West, Freunde des Kreuzes! Ihr versammelt Euch wieder unter jenem Zeichen, das Euch teuer ist, das uns alle teuer zu stehen gekommen ist, unter dem Marterpfahl, dem antiken Galgen, dem Instrument der Unmenschlichkeit, das in Euren Augen eine höhere Menschlichkeit symbolisiert, welche an die Gottheit reicht; das Ihr deutet als ein Versprechen des Sieges von allem Guten über alles Böse, als Garantiezeichen für den erlösenden Übergang aus der Welt in eine andere, eine höhere, eine liebere.
Euer Glaube an die Passion hat das Gerät selber nicht umfunktioniert. Seine neuzeitlichen Varianten funktionieren noch immer. Bedenkt, daß das Zeichen auf das anbetende Gemüt nicht nur sänftigend wirkt. Bedenkt, daß Inquisitoren und Superintendenten dieses Kreuz, bemannt oder unbemannt, auf der Brust trugen, aus der sie im Namen des Bibel-Guten Böses taten. Bedenkt, daß an den Richtplätzen christlich -abendländischer Städte bis in die Neuzeit das hölzerne oder steinerne Bild von Golgatha stand: ein schöner Trost? Der Mittelklasseverbrecher konnte sehen, was ihm blühte. Die Kindsmörderin vor dem Ersäuftwerden, der Sodomit vor dem Verbranntwerden konnten sehen, was ihnen entging. Vom Kreuz auf Kriegsfahnen will ich erst gar nicht reden. Ich spreche nicht vom Mißbrauch, ich spreche vom innigen Gebrauch aus Übereinstimmung, von der stimulierenden Wirkung des Bildes geschehener Gewalt, vom Appell zur Tat.
Das Grundgesetz schützte Euren Glauben und meinen Unglauben. Ich bin erzogen, lau und formell, in Eurer Religion; ich habe die Kirche verlassen nach ernsthafter Prüfung meines Gewissens; ich toleriere Religionen und achte Kirchen und Sekten. Es täte mir leid, wenn ich religiöse Gefühle verletzte, aber sagen möchte ich dürfen und darf ich sagen: Meine tiefsten Gefühle werden verletzt durch Eure Religion. Ich darf behaupten: Das Marterl rechtfertigt das Martyrium, und das heißt für mich, die Folter und den gewaltsamen Tod. Ich darf verlangen: Bleibt mir vom Leibe und aus den Augen mit Eurem Kreuz!
Willkommen in Berlin, Freunde des Kreuzes, das und scheidet! Wenn Ihr des Wortes müde seid, so erholt Euch in Berlins Museen und seht, wie das Wort vielfache Kunstgewalt gewonnen hat - dort kommen wir wieder zusammen. In der Skulpturengalerie zu Dahlem weiß ich Madonnen, vor denen mein Unglaube schwach werden könnte; daneben findet Ihr gekreuzigte Männer und durchpfeilte Jünglinge, die dem Sadismus in uns allen schmeicheln. Zum Kirchentag aber möchte ich Eure Aufmerksamkeit hinlenken auf ein Bildwerk, welches illustriert, was ich meinte, denn in ihm darf die sonst in der Opferrolle, in Martyrium und Tod ausfantasierte Gewaltlust direkt zur Täterschaft animieren. Ich meine eine farbige Holzplastik von Ignaz Günther, entstanden um 1750: Der Erzengel Michael besiegt den Drachen.
Zwischen Gut und Böse das Letzte Gefecht, virtuos inszeniert über dem Schalldeckel der Kanzel einer süddeutschen Kirche. Stellvertretend für zwei rivalisierende himmlische Armeen kämpfen die beiden Anführer, zwei altgediente Herzöge Zebaoths, der eine loyal, der andere Putschist gegen einen obersten Herrn, der sich nunmehr absolut setzen will und dazu vom Rest der Welt Zustimmung und Unterwerfung braucht, der darum eifert gegen alle irdische und englische Konkurrenz, der jeden Ansatz zu erneuter Relativierung seiner Macht im Keim ersticken möchte, der alle Widersacherei zerhauen und zertreten läßt von Stellvertretern. Die Skulptur ist ein Warnzeichen: Seht, wie es dem ergeht, der bei uns nicht mitmacht! Der apokalyptische Kampf ist in seine vorletzte Phase getreten; das Böse unterliegt schon; mit letzter Kraft stemmt es sich gegen den unvermeidlichen Sturz und bietet sich so dem Stoß des Schwertes dar, zu dem das Gute bereits angesetzt hat.
Das Gräßliche ist formuliert mit äußerster Eleganz. Michael kommt gelaufen wie der Merkur des Giambologna und geflogen als deutscher Raubvogel (die Schwingen müssen ursprünglich größer gewesen sein); er hat die Formen einer Frau und ist die Rechtschaffenheit in Person, er glüht und wütet wie eine patriotische Kellnerin, welche einen betrunkenen Ausländer auskehrt. Auf dem Schild steht die lateinische Übersetzung des hebräischen Namens Michael: Wer ist wie Gott?
Wer ist es, der da liegt, fliegt, stürzt? Für die Kirchenväter ist es Luzifer, der prometheische Lichtbringer; der Verfasser der „Offenbarung“ nennt ihn Drache, Schlange, Teufel, Satanas. Und so sieht er auch aus, und er unterliegt, weil er so aussieht. Welche Glaubens - und Machtfragen auch immer zu diesem Kampf geführt haben der da geschlagen wird, hat es nicht anders verdient mit seiner dunklen Hautfarbe, mit Krallenfuß und Bockshorn und der gierigen, geilen, genußsüchtigen Nase! Rechtgläubigkeit hat dem Abweichlertum eine Fratze geschnitzt, damit der fromme Sinn zuschlagen kann im Hochgefühl der Rache für Golgatha: Hängt Ihr unsern Geheiligten, zertreten wir den Euren, den mit dem anderen Menschheitsprogramm, den Condottiere des Himmels!
Aber die Nase! Sie und den Schnitt des Gesichts hat auch Günthers lebensgroßer Täufer Johannes in der Münchner Nationalgalerie. Ich habe mir angesehen, was zeitgenössische Maler vom Aussehen des Bildhauers überliefert haben, und meine, daß er sich in diesem Kopf-Typ selber dargestellt hat und daß er damit sagen wollte: auch ich ein Frommer, auch ich ein Sünder!
Aber der Körper! Er ist nicht untierhaft zottig und schuppig, vielmehr menschlich glatt und kraftvoll und schön. Er könnte durchaus reizen und verführen, und in dieser Lage weckt er bei mir Mitschmerz und zärtliches Mitleid. Und ist das denn nicht ein fast vollkommener Schmerzensmann? Ist es nicht ein in die Horizontale gebrachter Kruzifixus? Wer ist wie Gott, wenn nicht dieser hier?
Seht hier, Freunde des Kreuzes, das leicht verfremdete Bild Eurer Andacht! Ich behaupte nicht, Christen wären sadistischer als andere Leute; ich wünsche mir nur, daß sie aufhören, so zu tun, als wären sie sanftmütiger. In Eure Kammer hängt anstelle des Kreuzes für eine Weile das Bild der schindenden Amtskirche, das Bild des Missionstriebes, das Bild Eurer Lust zum Großreinemachen. Um den Hals hängt Euch nichts.
Wolfgang von Wangenheim
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