: Eile heißt der Wind
■ Große feministische Kleinprosa von Ruth Berlau
Sabine Kebir
Jedes Tier kann es, aber sie können es nicht mehr... Sie überfallen uns, anstatt uns zu umarmen, sie kaufen uns, anstatt uns zu gewinnen, sie betreiben uns wie ein Geschäft, bei dem etwas herauskommen soll... Sie können Brücken bauen und Eisenbahnen und Städte soviel sie wollen; sie können Geld scheffeln, Rekorde aufstellen und Kriege anzetteln, einer blutiger als der andere - für uns sind sie keine Männer. Dafür sind sie zu dumm und zu klug und zu unaufmerksam und zu verliebt und zu grob und zu fein. Hol sie der Teufel!“
Gemeint ist die Männerwelt und ihre offenbar kollektive Unfähigkeit, Frauen in der Liebesumarmung glücklich zu machen. Erzählt wird aus unterschiedlichen Perspektiven. Da erleben wir einen Geschäftsmann, der Samstagabend eigentlich lieber Bridge spielen würde, aber „seit Jahren eine feste Absprache“ mit seiner Frau hatte, daß „der Mittwoch und der Samstag für das Geschlechtsleben reserviert waren, Mittwoch das kleine, Samstag das große. Diese Regelung hatte er aus Amerika mitgebracht, wo die Leute es verstanden, Ordnung in ihre Angelegenheiten zu bringen ... er hatte es schon am letzten Samstag und Mittwoch nicht geschafft. Heute hatte er sich vorgenommen, es zu schaffen.“ Nach einem aufreibenden Arbeitstag besorgt er Blumen, tafelt zu Hause vornehm mit seiner Frau und führt sie in diverse Lokale, um dann um „zwei Uhr fünfzehn“ in ihr Schlafzimmer zu treten, bekleidet mit einem gestreiften Pyjama, „den sie selbst für ihn ausgesucht hatte. Sie lag in einem rosa Tüllnachthemd auf ihrem Barockbett. Er kletterte zwischen den Schleiern ins Barocke.“ Wer meint, daß nun etwas passiert, irrt. Der Mann schläft ein. Während sie „mit offenen Augen“ daliegt, „den Kopf zurückgeworfen“.
Des weiteren gibt es die Geschichte von dem Mann, der nur ins Bett seiner Frau steigen darf, wenn er ihr vorher etwas Teures gekauft hat, dann die Geschichte des ewig mißbrauchten Dienstmädchens, schließlich die Geschichte der sieben bei einem Straßenbahnunglück umgekommenen Frauen, die, im Krankenhaus aufgebahrt, um Mitternacht aufstehen und sich bei einer Tasse Kaffeen über die Ungeschicklichkeit ihrer Ehemänner auslassen. Und am Ende ist da noch eine Geschichte, die aus dem Rahmen fällt: eine an Kafka erinnernde Groteske in einem „Vergnügungspark“, in dem ausschließlich Gehandicapte Zerstreuung suchen, aber statt Lust nur Frust einheimsen. Eine Parabel.
Der weibliche Orgasmus kommt in der Regel nicht zustande und wenn er doch einmal zustande kommt, dann muß sich die Frau den Verdacht gefallen lassen, pervers zu sein, und der Mann benimmt sich „wie jemand, der Krabben pult, die er selbst nicht essen mag. Je schneller es überstanden ist, desto besser, und je schneller er es hinter sich bringen wollte, desto länger brauchte ich, wenn überhaupt etwas für mich dabei herauskam.“
Ist das alles noch aktuell? Haben Frauen heute nicht größere Chancen, aufmerksamen Liebhabern zu begegnen? Wagen sie selbst eher mal über die Art und Weise zu sprechen, in der sie geliebt werden möchten? Ich denke schon. Aber wenn die Geschichten der Ruth Berlau heute vielleicht auch weniger repräsentativ sind, möglich sind sie allemal noch immer.
Der Persona-Verlag macht es sich zur besonderen Aufgabe, Bücher über, aber auch von Frauen herauszubringen, die vom Nationalsozialismus verfolgt wurden und in der inneren oder äußeren Emigration keine Möglichkeiten hatten, ihre Werke zu veröffentlichen. In der Tat sieht die Bilanz weiblicher Schriftsteller gerade der antifaschistischen Exilliteratur bislang traurig aus. Wenn man als Frau schon Muße hatte zu schreiben, dann fehlten Beziehungen und Geld zur Veröffentlichung. Die einzige Frau, der im Exil der Sprung in die Berühmtheit gelang, war Anna Seghers. Ihr Roman Das siebte Kreuz wurde noch während des zweiten Weltkrieges in den USA verfilmt.
Die Dänin Ruth Berlau gehörte auch zu den Antifaschistinnen, deren Möglichkeiten zur Kreativität durch ihr Engagement und die Flucht vor der Hitlerarmee eingeschränkt wurden. Das in den dreißiger Jahren geschriebene, aber zweifellos von den Emanzipationsdebatten der zwanziger Jahre inspirierte Buch Jedes Tier kann es hatte sie selbst „vergessen, weil die Weltsituation sozusagen stärker und ernster wurde und Sexualität oder Lebensglück in den Hintergrund trat. Aber es wäre schade, wenn das Buch nur in dänischer Sprache existiert. Vielleicht kann man es doch rausbringen, gerade noch vor der Atombombe.“ So schrieb die Berlau 1951 an Peter Suhrkamp und scheiterte mit ihrem Frauenthema noch einmal an patriarchalischer Starrköpfigkeit.
Nachdem sie zehn Jahre zuvor enttäuscht darüber gewesen war, daß sie ihr Buch in Amerika nur in einer pornographischen Reihe hätte veröffentlichen können, schrieb ihr ein Freund: „Glaub mir, 'Jedes Tier kann es‘ geht als Frauenbuch oder gar nicht.“
Es „ging“ als Frauenbuch erst 1989 und wird sich vieleicht noch zu einem feministischen Klassiker mausern.
Ich hätte diese Rezension hier gerne abgebrochen und den Namen des Freundes lieber gar nicht erwähnt. Ich bin der Meinung, daß Ruth Berlaus Buch - auf dessen Herausgabe Insider schon lange gewartet haben, seit dem Erscheinen ihrer Lebenserinnerungen auch viele andere - ohne Verweis auf diesen Freund bestehen könnte, ohne erneutes Jammern über die tragische Liebesgeschichte, die Berlau mit ihm verband. Ich nenne ihn doch, weil ich meine, daß dieser Liebesgeschichte nach dem Erscheinen des Buchs doch noch eine neue Facette hinzugefügt werden kann: Es wird uns vielleicht gelingen, die „Schuldfrage“ an der Tragödie der Berlau zumindest neu zu stellen.
Der Freund gehörte zu den Männern der deutschen Kultur, die im Exil Höchstleistungen als Schriftsteller erreichten: Bertolt Brecht. Sein Werk wäre gerade auch in dieser Etappe weniger groß und weniger glänzend gewesen, hätte er nicht ganz spezielle Arbeitsbedingungen gehabt: den Luxus des Kollektivs. Er schrieb sehr früh am Morgen einige Stunden und ging das Geschriebene am Nachmittag mit Gesprächspartnern durch, oft dann auch noch an den Abenden, zu denen seine Ehefrau, die Schauspielerin Helene Weigel, tagtäglich Gäste herbeizutelephonieren sich mühte. Seine nachmittäglichen Gesprächspartner waren nicht immer, aber oft Frauen, die, von den Nazis verfolgt und ohne bedeutende Geldmittel, ohne Brecht im Exil verloren gewesen wären. Sowohl Margarete Steffin als auch Ruth Berlau - die freilich auch noch Schauspielerin gewesen war - schriftstellerten selbst. Mit ebenso großem und schleißlich sogar größer werdendem Ernst wurden sie aber immer mehr zu Mitgestalterinnen der Brechtschen Stücke. (Brecht an Berlau: „Ohne unsere Spaziergänge im Laubwald hätte ich den 'Puntila‘ nicht schreiben können.“) Sowohl als Frauen, als Ausländerinnen, aber auch als aktive Kommunistinnen war es ihnen kaum möglich, mit den verlagen der Exilländer ins Geschäft zu kommen. Selbst Brecht schrieb das meiste für die Schublade.
Obwohl damals auch für Brecht Überleben und späterer Weltruhm alles andere als sicher waren, sieht das Bild der Flüchtlinge in Skandinavien aus heutiger Sicht zunächst einmal so aus, als habe da ein Patriarch auf dem Rücken von Frauen an seinem Weltruhm gezimmert. Bei näherem Hinsehen sind die Frauen vielleicht doch eher Opfer der mißlichen Umstände als eines Mannes. Es gibt nämlich viele Anzeichen dafür, daß zumindest Margarete Steffin und vielleicht auch die Weigel in der Lage gewesen wären, Brecht zu verlassen, wenn sie nur die materielle Möglichkeit dazu gehabt hätten. Unter den gegebenen Umständen war es aber wohl das beste, aufkommende Eifersucht herunterzuschlucken, sich gegenseitig zu unterstützen und an Brechts Werk mitzubasteln, das man schließlich bewunderte und auch als wichtigen politischen Beitrag verstand.
Ruth Berlau hätte Brecht nie verlassen, und sie hat es auch dann nicht getan, als die aufreibende Liebes- und Arbeitsbeziehung für sie nur noch Frust brachte. Sie, die so klug über den Liebesschmerz anderer Frauen geschrieben hatte, war dem Mann Brecht verfallen, hörig, ihm, der gerade in den nahen Beziehungen auf „Abstand“, auf „Distanz“ aus war. Sie selbst konnte eine Liebesbeziehung nur und ausschließlich als totale Hingabe empfinden. Sie war die einzige von Brechts vielen Frauen, die an seiner Polygamie zerbrach.
Dabei hatte er sie nie wirklich verlassen wollen, wie er auch die anderen niemals verlassen hat. Er hatte es nur abgelehnt, in traditioneller Zweisamkeit zu leben. Wer das begriff und sich wie die Weigel eine Sphäre der Autonomie aufbaute, bekam wiederum für sich selbst „viel aus ihm heraus“.
Ja, für Brecht dachten, konzipierten viele andere. Es ist aber nur gerecht hinzuzufügen, daß Brecht auch für andere dachte und sogar schrieb. Für Elisabeth Hauptmann, die ihm die Idee zur Dreigroschenoper geliefert hatte, lieferte er die Idee, aber auch die Songs zu ihrem Stück Happy End. Margarete Steffin half er bei ihren Übersetzungen. Ruth Berlau berichtet in ihren Erinnerungen, daß auch Jedes Tier kann es eine Frucht engster Zusammenarbeit war, „am Schluß konnte man kaum noch herausfinden, wer was geschrieben hat“.
Die Idee zu dem Buch war ihnen gekommen, als Ruths Schwester wegen einer unglücklichen Liebesgeschichte in eine Nervenklinik eingeliefert wurde. Bei ihren Besuchen fand Berlau durch die Bekanntschaft mit anderen kranken Frauen heraus, daß die häufigste Ursache ihrer Leiden sexuelle Frustration war. Brecht interessierte sich für diese Geschichten, er riet ihr, sie aufzuschreiben. Von ihm stammte unter anderem die Idee jener Rahmenhandlung der sieben toten Frauen. Von ihm allein ist - laut Berlau - auch Der Vergnügungspark, der sich in der Tat als Erinnerungen an den Augsburger Plärrer lesen läßt.
Ich hoffe, daß an Ruth Berlaus Buch nun nicht dieselben beckmesserischen Maßstäbe individuellen Urheberrechts gelegt werden, wie an Brechts „kollektive“ Werke. Ich hoffe, daß niemand sagt: „Das hat sie ja gar nicht allein gemacht. Das Beste hat so und so er geschrieben!“
Quatsch. Die Stücke Brechts haben trotz aller Mitarbeit anderer seine unverwechselbare Sprache. Und Berlaus Buch hätte von keinem Mann geschrieben werden können. Besser wäre ein Nachdenken über die Produktivität solcherart Gemeinschaftsarbeit. Und Wut über frauenfeindliche Medienlandschaften.
Ruth Berlau: Jedes Tier kann es. Persona-Verlag, 164 Seiten, 25 DM.
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